Grenzsoldaten bewachen die polnische Grenze zu Belarus, während auf der anderen Seite des Zauns Tausende Menschen darauf hoffen, in die EU einreisen zu können.Bild: Getty Images Europe / Handout
Exklusiv
15.11.2021, 18:1115.11.2021, 18:22
In der Diskussion um den Umgang mit Tausenden Menschen, die an der belarussischen Grenze zu Polen festsitzen, stellt sich vielen die Frage, warum die EU die Menschen nicht einreisen lässt.
Die watson-Redaktion hat diese Frage an den ehemaligen Außenminister Polens und stellvertretenden Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments, Witold Waszczykowski, gestellt.
Witold Waszczykowski ist Mitglied der rechtsnationalistischen PiS-Partei in Polen.Bild: www.imago-images.de / bDonat Brykczynski
Seiner Ansicht nach seien diese Menschen keine Geflüchteten. Er sagt: "Zunächst einmal gibt es dort keine Flüchtlinge. Der Mob von Menschen, der die polnisch/europäische/Nato-Grenze angreift, besteht aus illegalen Migranten, die das Lukaschenko-Regime aus dem Nahen Osten, Afrika und einige von ihnen aus Russland an die Grenze gebracht hat"
Zur Einordnung: Waszczykowski ist Mitglied der in Polen regierenden PiS-Partei. Sie gilt als rechtsnationalistisch. Im EU-Parlament gehört er der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer an, in der unter anderem auch die AfD vertreten ist. Diese Fraktion hat sich 2009 gegründet, ist (national)-konservativ, EU-kritisch und in Teilen auch rechtspopulistisch.
Waszczykowski sagt, diese Menschen, die momentan zu Tausenden im Wald zwischen Belarus und Polen festsitzen – und wegen der immer tiefer sinkenden Temperaturen drohen zu erfrieren – beteiligten sich "bewusst am Hybridbetrieb oder werden von Lukaschenko in die Irre geführt".
Die staatliche belarussische Nachrichtenagentur Belta veröffentlichte am Montag erneut Fotos von Menschen, die sich in provisorischen Lagern an Lagerfeuern wärmen. Die Menschen, die von belarussischen Sicherheitskräften ins Grenzgebiet gedrängt worden sein sollen, harren trotz Minusgraden im Wald aus. Mehrfach versuchten größere Gruppen, die Zaunanlage in Richtung Polen zu durchbrechen.
Geflüchtete wärmen sich an einen Feuer. Sie warten bei Minusgraden im Wald auf Rettung.Bild: www.imago-images.de / Oksana Manchuk
Die EU wirft dem autoritären belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, Menschen aus Krisengebieten einschleusen zu lassen und sie dann in Richtung EU-Außengrenze zu drängen. Polens Grenzschutz äußerte zuletzt die Befürchtung, belarussische Sicherheitskräfte bereiteten die Migranten auf einen Durchbruch der Sperranlage vor.
Im Camp hatte sich offenbar das Gerücht verbreitet, zu Wochenbeginn werde die Grenze geöffnet und die Menschen weiter nach Deutschland gelassen. Sowohl Polen als auch die Bundesregierung dementierten dies von offizieller Seite.
Laut dem EU-Politiker Waszczykowski könnten diese Menschen über die offiziellen Grenzübergänge offiziell nach Polen einreisen, "um sich registrieren, verifizieren und ausweisen zu lassen".
"Seien wir nicht naiv. Das ist keine Migrationskrise. Es ist eine mit Russland koordinierte Hybridoperation, um unseren Teil der EU zu destabilisieren"
Er sagt auf watson-Anfrage: "Wenn sie als Flüchtlinge gelten, müssen sie in Polen bleiben. Wenn sie keinen Anspruch auf den Flüchtlingsstatus haben, werden sie nach Weißrussland oder in den Nahen Osten zurückgeschickt. Sie wollen dies aber vermeiden, weil sie nach Deutschland wollen."
Die Grenzen einfach zu öffnen, kommt für den Politiker nicht infrage: "Lukaschenko hat diesen Konflikt geschaffen. Er ist Teil des Problems, nicht Teil der Lösung. Wir können nicht anfangen, mit ihm zu verhandeln."
Polen sei bereit, den Menschen an der Grenze zu helfen. An den polnischen Grenzübergängen stünden Lkw mit humanitärer Hilfsgütern bereit. Aber: "Die Zustellung wird von den belarussischen Wachen verhindert. Seien wir nicht naiv. Das ist keine Migrationskrise. Es ist eine mit Russland koordinierte Hybridoperation, um unseren Teil der EU zu destabilisieren"
Waszczykowski nennt drei Punkte, mit denen er diese Lage entschärfen würde:
- "Neue und mehr Sanktionen gegen Weißrussland.
- Diplomatischer Druck auf Staaten des Nahen Ostens, den Migrantenstrom zu verhindern.
- Aufbau starker Grenzzäune, Unterstützung unserer Bemühungen zur Verteidigung der EU/NATO-Grenze."
Tatsächlich sind das auch Reaktionen, die die EU momentan in Erwägung zieht, beziehungsweise plant. Bundesaußenminister Heiko Maas drohte am Wochenende Fluggesellschaften, die sich weiter am Transport von Geflüchteten über Belarus beteiligen, Überflugrechte und Landegenehmigungen in der EU zu entziehen.
Auf Twitter schrieb Maas: "Alle Fluglinien sollten dem Beispiel von Turkish Airlines und anderen folgen und sich Lukaschenkos Schleusergeschäft konsequent verweigern." Und weiter: "Für alle, die das nicht tun, werden harte Sanktionen kommen."
Eine Anfrage von watson an den SPD-Außenminister blieb indes unbeantwortet.
Unterdessen erwägt Polen laut dem Regierungschef Mateusz Morawiecki, eine NATO-Sondersitzung zur Lage an der Grenze zu beantragen.
(Mit Material von dpa)
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