Liz Truss tritt in die Fußstapfen von Boris Johnson als neue britische Premierministerin. Bild: IMAGO/ZUMA Wire / Tayfun Salci
Analyse
05.09.2022, 19:5005.09.2022, 19:57
Die Tory-Partei hat entschieden: Die neue Premierministerin des Vereinigten Königreichs heißt Liz Truss. Die ehemalige Außenministerin hat sich gegen ihren Konkurrenten Rishi Sunak durchgesetzt. Sie ist nun auch die neue Chefin der Konservativen Partei und demnach Nachfolgerin von Boris Johnson.
Liz Truss hält ihre erste Rede als britische Premierministerin. Bild: IMAGO/Parsons Media / Martyn Wheatley
Der britische Politikwissenschaftler Anthony Glees ist wenig begeistert – vor allem über Truss Siegesrede. "Ihre Rede war schwach, wie alle Reden von ihr", sagt er im Gespräch mit watson. Sie verspricht, dass sie bei der Senkung der Steuern, dem Wachstum der Wirtschaft und der Bewältigung der Energiekrise "mutig" sein will.
"Her giggles were uninspiring", sagt der Professor von der Universität Buckingham. Was so viel heißt, wie "Ihr Kichern war wenig inspirierend." Denn sie habe eine gewaltige Aufgabe vor sich. Doch wer ist Liz Truss und für welche Politik steht sie?
Populistische Äußerungen zu Flüchtlingen, Linken und Umweltaktivisten
Die neue Regierungschefin des Vereinigten Königreiches wird dem rechten Flügel der Partei zugeordnet. Die 47-Jährige konnte im innerparteilichen Wahlkampf vor allem mit dem Vorhaben überzeugen, trotz enorm hoher Inflation sofort die Steuern senken zu wollen.
Außerdem sammelte sie Punkte bei der Parteibasis – die deutlich älter, männlicher und wohlhabender als der Durchschnitt der britischen Bevölkerung ist – mit einer konfrontativen Linie gegenüber der EU und populistischen Äußerungen zu Flüchtlingen, Linken, Umweltaktivisten sowie gesellschaftlichen Minderheiten.
"Sie sagt das, was die Partei hören will."
Politikwissenschaftler Roland Sturm
Dabei galt Truss zu Beginn ihrer Karriere als liberal und EU-freundlich. Sie war sogar Mitglied der Liberaldemokraten. Jetzt betiteln sie Medien als "Thatcher 2.0" und Brexit-Hardlinerin, die mit den Rechten liebäugelt. Denn Truss eifert der "Iron Lady", Magaret Thatcher, nach, die als erste Premierministerin das Vereinigte Königreich stark geprägt hat.
Die Opportunistin Truss fließt mit dem Strom
"Truss will etwas werden und zeigt sich dabei äußerst anpassungsfähig sowie ehrgeizig", erklärt der Politikwissenschaftler Roland Sturm. Er ist Professor an der Friedrich-Alexander Universität in Erlangen. Um ihre Ziele zu erreichen, hat Truss laut des Experten ihre Meinung oft radikal verändert. "Sie sagt das, was die Partei hören will", meint Sturm im Gespräch mit watson. Dass diese Taktik nicht immer aufgeht, zeige ihre Äußerung über den französischen Präsidenten Emmanuel Macron.
Die ehemalige britische Außenministerin Liz Truss fiel mit unangebrachten Äußerungen auf, war außerdem auch Justizministerin.Bild: AP / Frank Augstein
Während einer Wahlkampfveranstaltung in Norwich wurde Truss gefragt, ob sie Macron als "Freund oder Feind" sieht, zur Überraschung vieler antwortet sie: "The jury is still out", was so viel heißt wie: Das ist noch nicht entschieden. Laut Sturm ist so eine Aussage für eine Außenministerin unprofessionell. Doch ihre Partei wird es gefreut haben – denn die EU ist für die Brexit-Freunde der größte Feind.
Truss könnte zum Problem für die EU werden
Sturm zufolge wird Truss den Kurs ihres Vorgängers Boris Johnson fortsetzen. Für die EU sieht er eine Verschlechterung der diplomatischen Beziehung voraus. "Vor allem Deutschland sei schuld an allem", erklärt Sturm die Argumentationslinie und weist auf die Brexit-Verschwörungstheorien hin, die innerhalb der Partei von Truss kursieren.
Die Verbündeten von Truss sind laut Glees alles Männer und Frauen mit EU-feindlichen und harten Brexit-Überzeugung.
Dazu zählt Glees unter anderem:
- Truss' Parteikollege Kwasi Kwarteng sei Glees zufolge angeblich ein wirtschaftlich "hungriger Mann des freien Marktes". Er wolle das Vereinigte Königreich in ein "Singapur an der Themse" verwandeln: niedrige Steuern, Abschaffung der EU-Arbeitsvorschriften.
- Generalstaatsanwältin Suella Braverman sei unerbittlich gegen das europäische Menschenrechtsgesetz.
- Der leidenschaftliche Brexiter Jacob Rees-Mogg dürfte sich auch als Zündstoff für weitere Konflikte mit der EU erweisen.
Für die Ukraine sieht Sturm keinen Kurswechsel der britischen Regierung voraus. Wie Johnson wird Truss die intensive Unterstützung des Landes fortsetzen. Die größten Herausforderungen für Truss erwarten sie laut Sturm innerhalb des Landes: Inflation, Streiks und Energiekrise. "Hier will Truss die Thatcher-Karte ausspielen", meint Sturm.
Truss eifert Thatcher nach
Margaret Thatcher, auch als "Eiserne Lady" bekannt, war die erste Premierministerin des Vereinigten Königreichs. Wie Truss sah auch Thatcher sich mit den gleichen innenpolitischen Problemen konfrontiert. "Sie bittet sogar Patrick Minford, den ehemaligen Wirtschaftsexperten von Thatcher, um Rat", sagt Sturm. Er bestärke Truss in ihrem Vorhaben, die Steuern, trotz hoher Inflation, zu senken. Dabei fragt sich Politikexperte Sturm, wie die Regierung dann aber Programme finanzieren will, um etwa die Energiekrise zu stemmen.
Margaret Thatcher war bekannt als "Iron Lady" und veränderte das Land als britische Premierministerin.Bild: ap / Lefteris Pitarakis
Auch Glees kritisiert die Steuersenkung von Truss, um die Wirtschaft wachsen zu lassen.
Er sagt dazu:
"Das kann nicht funktionieren. Vor allem angesichts eines immer härteren Brexit kann die britische Wirtschaft nicht wachsen. Truss könnte sechs Monate Wachstum erreichen, aber die Inflation wird ansteigen und es wird zum Knall kommen – einer totalen Pleite."
Weiter warnt Glees, dass die britische Wirtschaft in eine Rezession schlittert. Die Inflation werde bis Januar 2023 voraussichtlich 20 Prozent erreichen. "Die Energiekosten zwingen viele ärmere Menschen dazu, sich zwischen Heizung und Nahrung zu entscheiden", meint der britische Experte.
Sturm zufolge habe Truss keine richtige Idee, die Probleme anzupacken. Aber auch innerhalb ihrer eigenen Partei kann es ungemütlich werden.
"Truss ist kein 'Boris mit Rock'".
Britischer Experte Anthony Glees
Nicht alle Konservativen stehen hinter Truss
Unter den Konservativen gibt es Sturm zufolge noch immer eine Gruppe, die sich Boris Johnson zurückwünscht. Andere trauen Truss den Job als Premierministerin nicht zu. Laut Sturm gehen einige Konservative davon aus, dass sie versagen wird und es bereits im Oktober 2023 zu Neuwahlen kommt.
"Truss ist kein 'Boris mit Rock'", teilt der Brite Glees aus. Die neue Premierministerin sei viel abhängiger als Johnson von den Parteikolleg:innen, die einen harten Brexit verfolgen. "Außerdem fehlt es Truss an Johnsons Charisma und rhetorischen Fähigkeit."
Der Ex-Premierminister Boris Johnson räumte aufgrund der "Partygate-Affäre" seinen Posten.Bild: AP / Matt Dunham
Johnson scheidet nach zahlreichen Skandalen auf Druck seines Kabinetts aus dem Amt aus. Die "Partygate"-Affäre um verbotene Lockdown-Feiern in Johnsons Amtssitz hatten ihn ins Wanken gebracht. Mehrere weitere Skandale und sein Umgang damit brachten ihn letztlich zu Fall.
"Aber er könnte die Churchill-Karte spielen", sagt Sturm. Wie Thatcher ist auch Winston Churchill einer der bekanntesten Premierminister des Landes. Der Staatsmann verließ einst die Politik und kehrte dann wieder zurück. Alles ist demnach auf der britischen Insel möglich.
Truss und Johnson besuchen als Nächstes die Queen
Bereits am Dienstag findet der Wechsel an der Spitze der britischen Regierung statt. Johnson wird sich ein letztes Mal als Premier an die Bevölkerung wenden und danach sein Amt an Truss übergeben. Sowohl er als auch seine Nachfolgerin reisen danach nach Schottland und werden nacheinander von Queen Elizabeth II. empfangen, die auf ihrem Landsitz Schloss Balmoral ihren Sommerurlaub verbringt.
Queen Elizabeth II. wird Liz Truss als neue Premierministerin empfangen. Bild: dpa / Ben Stansall
Ob Truss in die Fußstapfen der "Iron Lady" tritt, wird sich zeigen. Allerdings war Thatcher für ihre eiserne Haltung bekannt, wobei Truss mit dem politischen Wind segelt – solange dieser sie an die Spitze trägt.
Für Glees ist Truss keine Margaret Thatcher. Denn diese glaubte an den riesigen europäischen Binnenmarkt, an die Bekämpfung der Inflation vor Steuersenkungen, und war eine hochintelligente Frau mit einem ausgeprägten wissenschaftlichen Verstand, die auf Expert:innen hörte.
(mit Material der dpa)