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Corona-Pandemie: Was für 3G, 2G, Impfpflicht spricht – und was dagegen

11.10.2021, Nordrhein-Westfalen, M
Studierende mit Mund-Nase-Bedeckung während einer Vorlesung an der Universität Münster. Bild: dpa / Rolf Vennenbernd
Analyse

Impfpass-Ablauf nach 6 Monaten, harte 2G-Regel: Was für die einzelnen Lockdown-Alternativen spricht – und was dagegen

22.11.2021, 09:2322.11.2021, 11:57
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Die Pandemie erwischt Deutschland mit Wucht, wieder einmal. Erneut steigen die Infektionszahlen rasant an.

Seit Tagen erreicht die bundesweite Inzidenz neue Rekordwerte, sie liegt inzwischen bei über 380: Das heißt, pro 100.000 Menschen in Deutschland werden wöchentlich mehr als 380 neue Ansteckungen mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 festgestellt.

Die vierte Welle der Pandemie hat jetzt schon verheerende Folgen. Vor allem deshalb, weil ein Drittel der Bevölkerung ungeimpft ist. Außerdem schwindet der Impfschutz mehrere Monate nach der Immunisierung. Nur ein kleiner Teil der vollständig Geimpften hat schon eine Impfauffrischung – auch Booster-Impfung genannt – bekommen, die den Impfschutz wieder drastisch erhöht.

Die Intensivstationen vieler Krankenhäuser füllen sich wieder mit schwer an Covid-19 Erkrankten, täglich sterben momentan im Schnitt über 200 Menschen an der vom Coronavirus ausgelösten Krankheit.

"Ganz Deutschland ist ein einziger großer Ausbruch", so hat Lothar Wieler, der Präsident des Robert-Koch-Instituts die Lage am Freitag in der Bundespressekonferenz zusammengefasst.

Parlamentarier und Regierende in Bund und Ländern versuchen, gegenzusteuern. Sie haben mehrere Entscheidungen getroffen, mit denen Ansteckungs- und Todeszahlen wieder gesenkt werden sollen:

  • Bundestag und Bundesrat haben eine Neufassung des Infektionsschutzgesetzes verabschiedet. Es ermöglicht unter anderem die 3G-Regel am Arbeitsplatz: Nur noch Geimpfte, Genesene und aktuell Getestete haben dann Zutritt.
  • Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihr Vize und wahrscheinlicher Nachfolger Olaf Scholz und die Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer haben sich bei der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) am Donnerstag auf mehrere Beschlüsse geeinigt: unter anderem auf eine 3G-Regel im öffentlichen Nahverkehr und eine flächendeckende 2G-Regel (also mit Zutritt nur für Geimpfte und Genesene) zu Veranstaltungen und Lokalen. Außerdem soll eine Impfpflicht für Gesundheitsberufe auf den Weg gebracht werden.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hat am Freitag einen weitergehenden Schritt zur Sprache gebracht: eine allgemeine Impfpflicht. In Österreich sind die Pläne schon deutlich konkreter: Die Pflicht soll ab Februar gelten. Bundeskanzler Alexander Schallenberg hat angekündigt, ein Impfpflicht-Gesetz auf den Weg zu bringen.

Diesen Maßnahmen ist eines gemein: Sie sollen Alternativen sein zu einem allgemeinen Lockdown, zur Schließung von Schulen, Unis, Geschäften, Lokalen, Kinos und anderen Freizeiteinrichtungen, die das Leben der Menschen in der ersten, zweiten und dritten Welle der Pandemie massiv eingeschränkt haben. Sie sollen den Geimpften möglichst viele Einschränkungen ersparen – und gleichzeitig die Ansteckungsgefahr niedrig halten.

Aber wie sinnvoll sind diese Maßnahmen? Welche Vorteile und welche Nachteile haben eine 2G-Regel für Freizeiteinrichtungen, 3G im Nahverkehr, eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen? Und ist es hilfreich, die Dauer der Impfzertifikate zu begrenzen, um mehr Menschen zu einer Corona-Auffrischungsimpfung zu bewegen?

watson fasst wichtige Erkenntnisse zusammen – und hat den Gesundheitsökonomen Axel Olaf Kern gebeten, diese Maßnahmen einzuschätzen. Kern ist Studiendekan des Studiengangs Management im Sozial- und Gesundheitswesen an der Hochschule Ravensburg-Weingarten in Baden-Württemberg. Er war an mehreren Forschungsprojekten zu Freizeitaktivitäten unter Corona-Bedingungen beteiligt – unter anderem an einem Modellversuch, für den im Juni in Ravensburg zwei Clubs geöffnet wurden und die Menschen dort fast wie vor der Pandemie feiern konnten.

2G flächendeckend: Freizeitspaß nur für Geimpfte und Genesene

Die 2G-Regel hat sich in Deutschland in den vergangenen Wochen stark verbreitet: in mehreren Bundesländern ist eine Impfung oder ein Genesenennachweis, der eine überstandene Infektion mit dem Coronavirus belegt, erforderlich, um in Restaurants, Kinos, Theater, Clubs oder Sportstätten zu kommen.

Grundlage der 2G-Regel ist der Schutz, den Antikörper gegen das Coronavirus bieten: Wer geimpft oder genesen ist, dessen Immunsystem ist auf Sars-CoV-2 vorbereitet. Das Risiko, sich anzustecken, ist erheblich geringer. Das Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken, ist deutlich reduziert, bei den in der EU zugelassenen Impfstoffen um rund 90 Prozent.

2G hat allerdings auch Nachteile: Zum einen lässt nach einer vollständigen Impfung gegen Corona der Schutz vor Ansteckung, Übertragung und schwerer Erkrankung mit der Zeit nach.

Zudem können flächendeckende 2G-Regeln dazu führen, dass erheblich weniger Menschen sich auf das Coronavirus testen lassen. Da aber auch Geimpfte und Genese sich, vor allem ab einer gewissen Zeit nach der Impfung oder Infektion, wieder ein erhöhtes Ansteckungsrisiko haben, kann das Virus sich auch in 2G-Räumen wieder verbreiten. Deshalb soll laut den MPK-Beschlüssen vom Donnerstag ab einem Wert von sechs Krankenhauseinlieferungen wegen Corona die 2G-Plus-Regel gelten: Auch Geimpfte und Genesene müssen also ein negatives Testergebnis vorzeigen, um an bestimmte Orte zu kommen.

Gesundheitsökonom Axel Olaf Kern sieht aktuelle Tests sogar als Voraussetzung für die Sicherheit der Besucher. Gegenüber watson meint er:

"Sicherheit kann nur die Testung aller Besucher liefern, um Infektionen zu vermeiden. Deshalb liefert eine 2G-Pflicht nur eine scheinbare Sicherheit. So war dies im Modellvorhaben, das ich begleitet habe, auch Voraussetzung und hat sich bewährt und wurde auch akzeptiert von allen Besuchern."

3G-Pflicht im Nahverkehr und am Arbeitsplatz

In Frankreich und Italien gilt 3G zumindest in bestimmten öffentlichen Verkehrsmitteln und am Arbeitsplatz seit Längerem, in Deutschland soll die Regel jetzt kommen. Zusätzlich zur Mund-Nase-Bedeckung soll die Zutrittsbeschränkung für Geimpfte, Genesene und aktuell Getestete die Ansteckungsgefahr erheblich reduzieren. 3G senkt – zumindest theoretisch – das Risiko erheblich, sich in der Werkshalle, im Büro oder im Bus mit dem Coronavirus.

Symbolfoto Impfnachweis im oeffentlichen Nahverkehr Digitaler Impfnachweis neben Strassenbahn in Berlin, Symbolbild 2G, 3G Pflicht, Impfpflich fuer Corona Impfung im OEPNV, oeffentlichen Nahverkehr bz ...
Den ÖPNV sollen künftig nur noch Menschen mit Impfnachweis, Genesenenzertifikat oder aktuellem negativen Testergebnis nutzen dürfen. Bild: imago images / Political-Moments

Ein Nachteil an 3G: Fahrkartenkontrolleure und Arbeitgeber müssen Impfnachweise oder Testzertifikate kontrollieren.

Gesundheitsökonom Kern ist überzeugt, dass auch in diesen Bereichen eine Testpflicht einen besseren Schutz böte. Er meint:

"Auch hier wäre Testpflicht sinnhafter, jedoch sicherlich schwer durchsetzbar, weil kaum organisierbar für die Vielzahl der Fälle, wenn wir die Zahl der Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel betrachten."

Allerdings, so Kern weiter, müsste auch genauer betrachtet werden, wie groß eigentlich die Ansteckungsgefahr im öffentlichen Verkehr und am Arbeitsplatz ist. Seine Einschätzung des Forschungsstandes: Es werde "zumindest nicht über Infektionsgeschehen im öffentlichen Raum in nennenswertem Ausmaß berichtet."

Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen

Eine Impfpflicht könnte dabei helfen, das derzeit wohl größte Problem der Pandemiebekämpfung in Deutschland zu lösen: die im Vergleich zu anderen Staaten erheblich niedrigere Impfquote. Allerdings dürfte eine solche Pflicht nach Ansicht mehrerer Juristen ein Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit sein. Dieser Eingriff könnte aber gerechtfertigt sein. Unter anderem, weil er dem Schutz der Gesundheit aller dient. Zu diesem Schluss kommt etwa der wissenschaftliche Dienst des Bundestags in einem Gutachten aus dem Juni 2021.

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In der US-Metropole New York hat eine Covid-Impfpflicht für Gesundheitsberufe und Sicherheitskräfte erst Proteste nach sich gezogen. Sie sind aber abgeflaut – und die Impfquote angestiegen. Bild: imago images / Luiz Rampelotto

Vor einer Impfpflicht – für bestimmte Berufsgruppen wie für die Allgemeinheit – scheinen die Regierenden in Deutschland besonders stark zurückzuschrecken. Der geschäftsführende Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warnt seit Wochen vor den Folgen, die eine solche Pflicht für die Gesellschaft haben könnte – und ist skeptisch, ob sich eine solche Pflicht wirklich durchsetzen ließe. Auf die Frage nach einer allgemeinen Impfpflicht fragte Spahn Mitte November in der Bundespressekonferenz mit Blick auf die impfskeptische ehemalige Fraktionschefin der Linkspartei zurück: "Zerren wir dann Sahra Wagenknecht mit der Landespolizei zur Impfstelle?"

Gesundheitsökonom Kern ist der Meinung, dass eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen eventuell zu rechtfertigen wäre. Allerdings sähe er auch hier erst durch regelmäßige Testungen größere Sicherheit gegeben. Kern meint:

"Impfpflicht ist, wenn es mit Hygienevorschriften in der Gastronomie verglichen wird, möglicherweise zu begründen sein. Sollten in den 'kritischen' Versorgungsbereichen Mitarbeiter sich dann doch nicht impfen lassen, würde sich eine Verschlechterung der Versorgungslage abzeichnen. Jedoch würde auch hier durch Testen Sicherheit in höherem Maße geschaffen, da – wie oben angeführt – keine sterile Immunität bei den derzeit verfügbaren Impfstoffen erreicht wird. So würden infizierte geimpfte Pflegekräfte doch weiter ein Sicherheitsrisiko darstellen."

Impfnachweis mit Verfallsdatum in sechs Monaten

Der EU-weit gültige Impfnachweise ist eine der politischen Errungenschaften der Europäischen Union in der Pandemiezeit. Der QR-Code, der die vollständige Impfung belegt, wird von Schweden bis Portugal akzeptiert. Er ist, Stand jetzt, nach der vollständigen Impfung zwölf Monate lang gültig. Das Problem daran: Ein ausreichender Impfschutz hält so lange nicht an.

Deshalb wollen die Regierenden in Deutschland die Booster-Impfungen deutlich schneller voranbringen: Bis Ende des Jahres sollen nach Plänen des Bundesgesundheitsministeriums 20 bis 25 Millionen Auffrischungsimpfungen verabreicht werden.

In Israel, das international als Vorbild bei den Booster-Impfungen gilt, ist der Impfnachweis seit Oktober nur noch sechs Monate lang gültig. Der bayerische Ministerpräsident Söder plädiert dafür, die Gültigkeit in Deutschland auf neun Monate zu verringern. Ein Impfnachweis, der schneller verfällt, wäre ein zusätzlicher Anreiz für viele Menschen, den eigenen Impfschutz baldmöglichst auffrischen zu lassen.

Laut Gesundheitsökonom Kern birgt eine verkürzte Frist allerdings das Risiko, das Vertrauen mancher Menschen in die Impfkampagne zu erschüttern. Kern meint gegenüber watson:

"Verschiedentlich wird von Geimpften bereits geäußert, dass sie nicht davon ausgingen, nach der eigentlichen Impfung mit Folgeimpfungen rechnen zu müssen und so Zweifel aufkommen ob der Wahrhaftigkeit der bislang erfolgten Impfempfehlung."

Laut einer Umfrage von Anfang November der Langzeitstudie "European Covid Survey" mehrerer europäischer Universitäten sind in Deutschland 78 Prozent der vollständig Geimpften bereit, sich eine Auffrischimpfung verabreichen zu lassen.

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