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G7-Digital-Treffen: Plädoyer für eine wertebasierte Digitalisierung

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Falschinformationen zu verbreiten und ganze Länder damit zu destabilisieren ist weltweit ein Problem: Dagegen fordern die drei Gastautor:innen einen starken Einsatz der G7-Länder.Bild: www.imago-images.de / bservickuz
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Plädoyer für eine wertebasierte Digitalisierung: Resilienz gegen Hatespeech und Trolle

In ihrem Gastbeitrag fordern Ann Cathrin Riedel (FDP), Tobias Bacherle (Grüne) und Armand Zorn (SPD), dass die G7 ihre starke Position im Bereich Digitalisierung und Internetgesetzgebung nutzen, um auch den globalen Süden zu stärken. Die Gastautor:innen sprechen sich für eine wertebasierte Digitalisierung aus, um Staaten resilienter gegen Desinformationskampagnen zu machen.
11.05.2022, 11:4511.04.2024, 16:06
Ann cathrin riedel, tobias bacherle, armand zorn
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Soll ein Milliardär wie Elon Musk Twitter alleine besitzen dürfen? Welche Macht hat Facebook über den öffentlichen Diskurs und welche Rolle spielt TikTok in Wahlkämpfen?

Wir diskutieren in Politik und Gesellschaft häufig über den Einfluss privatwirtschaftlicher Unternehmen auf den öffentlichen Diskurs und die Demokratie im digitalen Raum. Dabei gerät es oft in den Hintergrund, dass wir als demokratische Staaten die Macht haben, diese Plattformen zu regulieren und uns damit für ein offenes, freies und menschenrechtsbasiertes Internet einzusetzen.

Wie notwendig eine wertebasierte Digitalisierung ist, zeigen uns vor allem der russische Angriffskrieg in der Ukraine sowie die Ereignisse in Belarus und Hongkong. Dort gehören staatliche Desinformationskampagnen, Internet-Shutdowns und Netzsperren sowie digitale Überwachung zu den staatlichen Repressionen, die die Bürgerinnen und Bürger dieser autoritären Regime in ihren eigenen Ländern erfahren.

Berlin. Ann Chathrin Riedel kandidiert in Berlin für den Deutschen Bundestag
Gastautorin Ann Cathrin Riedel (FDP).Bild: FDP / Paul Alexander Probst

Die Einschränkungen von Bürgerrechten im digitalen Raum haben nicht nur Folgen für die eigene Bevölkerung, sondern weit über die Landesgrenzen hinaus. Folglich bedarf es einer international koordinierten Digitalpolitik, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Das Treffen der G7-Digitalminister:innen in Düsseldorf bietet eine hervorragende Plattform für die Abstimmung im Hinblick auf eine globale digitale Weltordnung.

Verantwortung von Politik und Zivilgesellschaft

Spätestens seit der Bundestagswahl 2017 diskutieren wir hierzulande die Gefahr, die von Desinformationen ausgeht. Obgleich wir uns bewusster werden, sind wir uns der Gefahren durch gezielte staatliche Desinformationskampagnen und strategische Informationskampagnen noch immer nicht genügend bewusst – geschweige denn dagegen gewappnet.

Die Autor:innen
Ann Cathrin Riedel ist FDP-Politikerin und Themenmanagerin für „Digitalisierung & Innovation“ im Fachbereich Internationales bei der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung.
Tobias Bacherle sitzt für die Grünen im Bundestag und dort unter anderem im Ausschuss für Digitales tätig.
Armand Zorn ist ebenfalls Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Er ist Teil der SPD-Fraktion und ebenfalls im Ausschuss für Digitales tätig.

Dennoch wirken wir als Politik und Zivilgesellschaft beständig daraufhin, dass Social-Media-Plattformen sich ihrer Verantwortung bewusst werden. Wir fordern, dass sie Maßnahmen gegen solche Kampagnen ergreifen und beispielsweise gezielt Netzwerke, die diese Desinformationen verbreiten, ausschalten oder dafür sorgen, dass ihre Algorithmen Desinformationen nicht weiter verbreiten.

Wir sind mit den rechtlichen Vorgaben, zum Beispiel durch den Digital Services Act (DSA), noch ganz am Anfang. Doch der bisherige politische und gesellschaftliche Druck zeigte bereits Wirkung und Besuche der Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen in europäischen Parlamenten taten ihr Übriges.

"Es sollte in unserem Interesse sein, dass Plattformen nicht nur ihre eigenen Standards weltweit durch-, sondern sich auch für den Schutz von Menschenrechten in ihren Netzwerken einsetzen."

Desinformationen sind eine Bedrohung für Frieden, Demokratie und Menschenrechte

Als Europäer:innen haben wir das Glück, dass wir aufgrund unserer wirtschaftlichen Relevanz und unseres politischen Gewichts bei diesen Plattformen Gehör finden. Wir können entsprechenden Druck ausüben – nicht nur durch Gesetzgebungen. In Ländern wie Myanmar, Äthiopien oder ganz aktuell den Philippinen, sieht dies leider anders aus.

Nicht nur, dass hier seit Jahren Desinformationen, Hate Speech und Trollnetzwerke einen demokratischen Diskurs im Digitalen vollkommen unmöglich machen und dies vor allem autoritären Herrschern und Regimen in die Hände spielt. Schlimmer noch: solche Desinformationen und unkontrollierte Hasssprache schürt und verschärft bestehende Konflikte – bis hin zum Genozid, wie an den Rohingya in Myanmar.

All dies passiert auch, weil Plattformen keine ausreichend trainierte algorithmischen Systeme für die dort gesprochenen Sprachen haben. Und so die schädlichen Inhalte nicht erkennen und vorsortieren könnten – ein Thema, das auch bei uns in Europa mit unseren vielen kleinen Sprachen von höchster Relevanz ist. Noch beschäftigen sie ausreichend Content-Moderator:innen, die die betreffenden Inhalte entsprechend bewerten und nach den eigenen Community-Richtlinien entfernen könnten.

Es sollte in unserem Interesse sein, dass Plattformen nicht nur ihre eigenen Standards weltweit durch-, sondern sich auch für den Schutz von Menschenrechten in ihren Netzwerken einsetzen. Das kann durch legislativen Druck, wie den DSA gehen, der hoffentlich global wirken wird. Das muss aber auch durch gesellschaftlichen Druck passieren.

Armand Zorn auf einer Pro-Abtreibungs-Demo gegen den Paragraph 218 des Strafgesetzbuches. Frankfurt, 15.05.2021
Gastautor Armand Zorn (SPD).Bild: Geisler-Fotopress / Christoph Hardt/Geisler-Fotopres

Gewalttätige Corona-Leugner und der russische Angriffskrieg zeigen, was Desinformationen bewirken können

Welche realen Auswirkungen Desinformationen und Hate Speech haben können, können wir hierzulande nicht nur intensiv seit der Corona-Pandemie sehen. Wir sehen es auch ganz deutlich seit der russischen Besetzung der Krim bis hin zum immer noch andauernden Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine in unserer unmittelbaren Nachbarschaft.

Russland fördert und verbreitet gezielte Desinformationen und Verunsicherung im Ausland und damit auch bei uns. Eine der größten Fehden im Informationskrieg wird allerdings gegen die eigene Bevölkerung geführt: nebst der Staatspropaganda aus der Duma soll die russische Bevölkerung möglichst keine faktenbasierten Informationen bekommen. Das Putin-Regime zensiert nicht nur die freie Presse, sondern auch das ganze Internet. Facebook und Instagram sind verboten, Twitter ist gesperrt, der Kurzvideodienst TikTok ist in Russland auf dem Vor-Kriegsstand eingefroren.

Das russische Regime bereitet schon seit Jahren weitreichendere Maßnahmen vor: Der Kreml versucht ein eigenes russisches Internet zu kreieren und das Land vom weltweiten offenen und freien Internet abzukapseln. Das gelingt Russland nicht so durchgreifend wie China. Dort wird mit der "Great Firewall" die eigene Bevölkerung seit Jahren erfolgreich vom Rest der Welt abschirmt und jegliche Kommunikation zensiert. Insbesondere Kritik an der Kommunistischen Partei. Kritiker:innen werden in Windeseile identifiziert, aufgespürt – und verschwinden.

"Wenn unser Interesse eine wertebasierte Digitalisierung ist, müssen wir solche Kritik künftig ernster nehmen, um ein Vorbild sein zu können."

Beide Staaten treiben die Zersplitterung des Internets, das sogenannte "Splinternet" intensiv voran.

Doch die staatliche Kontrolle des Internets und der digitalen Inhalte ist kein Alleinstellungsmerkmal von autoritären Regimen. Zu häufig lassen sich demokratische Staaten – auch die Europäische Union – dazu verleiten, Überwachungstechnologien zur Durchsetzung vermeintlich edler Motive zu adaptieren.

Nicht umsonst wurden Digitalgesetze auch aus Europa vom früheren UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, David Kaye, scharf kritisiert. Hierzulande stieß diese Kritik allerdings nur auf wenig Gehör. Wenn unser Interesse eine wertebasierte Digitalisierung ist, müssen wir solche Kritik künftig ernster nehmen, um ein Vorbild sein zu können. Auch liberale Demokratien sind nicht davor gefeit, Freiheits- und Menschenrechte stückchenweise, und häufig unbemerkt, zu beschränken.

Starke Zusammenarbeit mit dem globalen Süden ist notwendig

Die Bundesregierung hat sich in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass sie sich für eine aktive digitale Außenpolitik und ein offenes, globales Internet einsetzen will. Damit zeigt die Ampelkoalition, dass sie erkannt hat, dass wir nicht nur Interessen im digitalen Raum haben, sondern diese auch aktiv vertreten werden müssen.

Gastautor Tobias Bacherle (Grüne).
Gastautor Tobias Bacherle (Grüne).bild: grüne

Das G7-Digitalminister:innentreffen in Düsseldorf kann nur ein Auftakt sein, um hier als Politik und Gesellschaft entschlossener und strategischer vorzugehen. Der Krieg gegen die Ukraine und die Abstimmungen bei den UN zeigen deutlich: Abhängigkeiten gegenüber autoritären Regimen muss etwas entgegengesetzt werden – auch im Digitalen.

Das Engagement der G7 oder jener demokratischen Staaten, die jüngst die Erklärung für die Freiheit des Internets unterschrieben haben, ist dafür unerlässlich. Doch schlussendlich braucht es eine Allianz gegen den "digitalen Autoritarismus", die die Länder des globalen Südens einschließt und deren Interessen berücksichtigt.

Es ist sinnvoll, dass Bundeskanzler Olaf Scholz gerade Indien zum G7-Gipfel im Juni auf Schloss Elmau eingeladen hat. Trotz all der notwendigen Kritik an der Regierung unter Narendra Modi. Das G7-Digital-Treffen muss deutlich machen, dass wir die Gefahr des "digitalen Autoritarismus" nicht nur ernst nehmen und erkennen. Sondern, dass wir auch die Verantwortung anerkennen, mit Partnern des globalen Südens einen vertrauenswürdigen, sicheren und offenen digitalen Raum zu kreieren. So können wir alle wirtschaftlich und gesellschaftlich profitieren.

"Das Engagement der G7 oder jener demokratischen Staaten, die jüngst die Erklärung für die Freiheit des Internets unterschrieben haben, ist dafür unerlässlich."

Es ist deshalb richtig, dass im Digital Track der G7 ein Fokus auf die Konnektivität und den fairen Wettbewerb gelegt wird, der Cyber-Kapazitätsaufbau vorangetrieben und Ungleichheiten wie dem "digital divide" entgegengewirkt werden soll. Damit einhergehend ist wichtig, dass der sichere grenzüberschreitende Austausch von Daten gerade mit den Ländern des globalen Südens möglich gemacht wird.

Der Stärkung eines verantwortlichen Verhaltens von Staaten im Cyberraum kommt dieser Tage nochmals eine besondere Bedeutung zu. Eine Zeitenwende verlangt, dass Deutschland eine neue Rolle in der Welt einnimmt. Dass wir stärker global Verantwortung übernehmen und uns sowohl dieser, als auch unserer eigenen Interessen bewusst sind.

Wir mögen noch eine Weile über uns selber spotten, dass das Internet für uns "Neuland" wäre. Aber das ist es schon längst nicht mehr. Deutschland und die Europäische Union gelten als Vorreiter bei der digitalen Gesetzgebung – die Europäische Datenschutzgrundverordnung baute auf dem deutschen Bundesdatenschutzgesetz auf. Der Digital Service Act lernte vom deutschen NetzDG (und wiederholt nicht dessen Fehler) und vom Medienstaatsvertrag.

Wir müssen im Interesse aller dazu einladen, gemeinsam für einen besseren – das heißt freien, offenen, demokratischen und menschenrechtsbasierten – digitalen Raum einzutreten. Frei von Überwachung und Zensur. Denn all das ist die Grundlage für Demokratien heute und morgen. Dass die Menschen weltweit danach verlangen und streben, sehen wir an den bewundernswerten Menschen in Hongkong, Belarus und der Ukraine. Demokratie ist uns nicht gegeben, sie ist uns aufgegeben.