Nachhaltigkeit
Vor Ort

Hunger-Streik fürs Klima: Angebot der Kanzlerkandidaten abgelehnt

15.09.2021, Berlin: Ein Camp von Hungerstreikenden ist im Regierungsviertel aufgebaut. Die Aktivisten befinden sich seit 17 Tagen im Hungerstreik f
Das Camp im Spreebogenpark in Berlin. Mit Transparenten und Schildern machen die Aktivisten auf ihren Hungerstreik aufmerksam. Bild: dpa / Kay Nietfeld
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Hungerstreik im Namen des Klimas: Aktivistinnen und Aktivisten wollen trotz Angebot von Baerbock, Scholz und Laschet nicht aufhören – "Das Gegenteil dessen, was wir fordern"

16.09.2021, 15:2317.09.2021, 19:53
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Das Protestcamp befindet sich im Zentrum der politischen Macht. Nahe zum Bundeskanzleramt und Reichstagsgebäude. Wer von den Betonflächen des Hauptbahnhofs zu denen des Bundestags will, muss hier vorbei. An der grünen Wiese, den Zelten und Transparenten. "Hungerstreik für Klimagerechtigkeit" ist darauf zu lesen. Verzweifelt und wütend sind die Aktivistinnen und Aktivisten, die hier campen. So verzweifelt, dass sie ihre Gesundheit aufs Spiel setzen.

Seit 17 Tagen sind sechs von ihnen im unbefristeten Hungerstreik. Eine weitere gab zwischenzeitlich auf. Was sie fordern: ein persönliches Gespräch mit den Kanzlerkandidaten und der Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock (Grüne), Olaf Scholz (SPD) und Armin Laschet (CDU). Und die Zusage, nach der Wahl einen Bürgerrat einzusetzen, der der Politik Sofortmaßnahmen gegen den Klimawandel vorgeben soll.

Zuvor hatten sie bei den Büros der Kandidaten vergeblich um einen Termin für das Gespräch gebeten. Als nach mehreren Kontaktversuchen noch immer keine Zusage kam, gingen die Aktivisten und Aktivistinnen im Alter zwischen 18 und 27 Jahren schließlich in den Hungerstreik. Ihr Ziel: ein persönliches, öffentliches und ehrliches Gespräch über den Klimawandel mit Scholz, Laschet und Baerbock zu erzwingen. Sie kritisieren, dass keine der Parteien die geeigneten Maßnahmen im Wahlprogramm haben, um das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen.

ARCHIV - 02.09.2021, Berlin: Umweltaktivisten sitzen im Regierungsviertel zusammen vor einem Zelt. Berlin (dpa) - Nach zwei Wochen Hungerstreik f�r eine radikale Klimawende haben die Beteiligten in Be ...
Die hungernden Aktivisten sitzen in ihrem Camp zusammen.Bild: dpa / Paul Zinken

Doch zu einem persönlichen Gespräch kam es bisher nicht. Nach über zwei Wochen verschlechterte sich der Zustand der Beteiligten plötzlich. Am 16. Tag musste einer von ihnen ins Krankenhaus. Der 27-jährige Jacob wurde ohnmächtig und war über einige Zeit nicht ansprechbar. Zuvor hatten die Hungernden ihren Streik verschärft und eigenen Angaben zufolge auch auf verdünnten Vitaminsaft verzichtet. Seitdem nehmen sie nur noch Wasser und Tee zu sich.

Einen Tag später ist Jacob zurück im Camp. Erschöpft sitzt er auf einem Campingstuhl und gibt Interviews. Eine Fernsehkamera ist auf ihn gerichtet. Mal wieder. In den letzten Tagen kamen unzählige Journalistinnen und Journalisten vorbei, um die Geschichte der Hungerstreikenden zu erzählen. Sogar ein Team der britischen BBC.

Die Ärzte hätten ihm geraten, den Hungerstreik zu beenden, erklärt Jacob. Aber das komme für ihn nicht in Frage. "Schon jetzt sterben täglich Menschen, wie zum Beispiel in Madagaskar, durch Hungersnöte und Dürren, in Australien und Kanada durch Feuer [...] oder wie jetzt kürzlich in New York, Frankreich oder Ahrweiler, wo apokalyptische Fluten komplette Existenzen zerstören. [...] Und deswegen bleibe ich im unbefristeten Hungerstreik, auch wenn meine Gesundheit und mein Leben weiterhin auf dem Spiel stehen", sagt er. Für manche hört sich das womöglich nach Märtyrertum an, doch eigentlich klingt er dabei nur resigniert. Und trotzdem entschlossen.

"Wir machen das nicht aus Freude an der Aktionsform"
Hannah Lübbert, die Sprecherin der Aktion

Als er sich von seinem Campingstuhl erhebt, bewegt er sich schwerfällig. Jede Bewegung kostet Kraft. Zirka 15 bis 20 Personen unterstützen das Protestcamp. Zelte und Pavillons wurden errichtet, Matratzen und Schlafgelegenheiten bereitgestellt. Es gibt Strom und ein Klohäuschen. Ein Info-Zelt, ein Pressezelt und ein Essenszelt für diejenigen des Teams, die nicht im Hungerstreik sind. Essen außerhalb des Esszeltes ist nicht erwünscht. So steht es auf einem Zettel mit der Überschrift "Camp Konsens".

Andere Zettel sperren das Gelände ab. Darauf haben die Teilnehmenden ihre Gedanken niedergeschrieben. "Ich habe Angst vor Gewalt und Unmenschlichkeit aufgrund der Klimakrise", ist da beispielsweise zu lesen. Auf einer großen mit Bienenmotiven verzierten Holzkonstruktion steht: "Kapitalismus tötet uns".

Das Protestcamp im Spreebogenpark.
Das Protestcamp im Spreebogenpark.bild: watson/leonard laurig

Legitime Protestform oder Erpressung?

Wenn jetzt noch Musik gespielt werden würde, könnte fast Festivalstimmung aufkommen. Aber es wird keine Musik gespielt. Denn die Aktivisten haben nichts zu feiern. Sie seien "nicht aus Freude an der Aktionsform" hier, sagt Hannah Lübbert, die Sprecherin der Aktion. Sie meinen es ernst. Und warten auf eine Reaktion der drei Politiker und Politikerinnen. Doch genau das ist das Problem.

Politiker haben die Angewohnheit, sich nicht erpressbar zu machen. Die jetzige Situation bringt sie in ein Dilemma. Sie wollen im Wahlkampf mit möglichst vielen Interessensgruppen reden. Vor allem, wenn es um das große Thema Klimaschutz geht. Nichts wäre schädlicher für sie, als den Eindruck zu erwecken, die bisherigen Versäumnisse im Klimaschutz weiterführen zu wollen. Außerdem müssen sie den Hungerstreik ernst nehmen. Allein schon aus moralischer Verpflichtung. Andererseits können sie nicht schlicht die von den Hungerstreikenden aufgestellten Bedingungen erfüllen. Scholz, Baerbock und Lachet werden also versuchen, einen Kompromissvorschlag zu präsentieren.

Einen ersten Versuch eines Kompromisses unternahm Annalena Baerbock vor einer Woche. In einem Telefonat teilte sie mit, Deutschland möglichst bald klimaneutral machen zu wollen. Gleichzeitig hatte sie die Aktivistinnen aufgefordert, den Hungerstreik zu beenden und sich nicht in Gefahr zu begeben. Auch Olaf Scholz hatte sich geäußert und vom Hungerstreik abgeraten. Doch die jungen Leute machten relativ schnell klar, dass ihnen dieser Schritt auf sie zu nicht reicht.

Kanzlerkandidaten machen neuen Kompromissvorschlag

Am Mittwoch kommt dann der nächste Kompromissvorschlag. Nachdem die Aktivistinnen eigenmächtig einen Termin für das Gespräch festgelegt und die Kanzlerkandidaten über die Einladung informiert hatten, erreicht das Camp im Gegenzug eine gemeinsame Stellungnahme. Von Scholz, Baerbock und Laschet. Offensichtlich hat man sich abgesprochen. Ein bemerkenswerter Schulterschluss mitten in der heißen Phase des Wahlkampes.

Darin heißt es: "Frau Baerbock, Herr Laschet und Herr Scholz sind bereit, einzeln, persönlich und nicht öffentlich nach der Wahl ein Gespräch mit Ihnen zu führen. Die Voraussetzung dafür ist, dass Sie ihre Protestaktion in dieser Form beenden." Und weiter: "Trotz unterschiedlicher politischer Positionen stimmen Frau Baerbock, Herr Laschet und Herr Scholz darin überein, dass sie diese Art des Protestes nicht angemessen finden. Es ist ihnen wichtig, dass Sie Ihr Leben schützen. Die Gesellschaft braucht Ihr Engagement."

Hungerstreikende lehnen Angebot ab

Fünf der Aktivisten haben sich nun in einem Pavillon nebeneinander auf Matratzen versammelt, liegen mehr als das sie sitzen. Sie sind sichtlich geschwächt. Dennoch wollen sie sich äußern. Zu ihrem Gesundheitszustand und natürlich zu dem Angebot. Vor ihnen drängen sich dutzende Journalisten in den Pavillon. Sie halten ihnen Mikrophone, Kameras und Diktiergeräte hin. Das Medieninteresse ist groß. Draußen hat es zu regnen begonnen.

"Das Angebot ist das Gegenteil dessen, was wir fordern"
Hannah Lübbert, die Sprecherin der Aktion

"Wir haben teilweise bis zu neun Kilo Gewicht verloren", sagt der 20-jährige Rumen, "und uns geht es zunehmend schlechter. Wir haben ein hohes Bedürfnis an Ruhe, die Knochen stechen hervor. Alles tut am Körper weh." Dennoch denken sie nicht daran, den Schmerz zu beenden. "Das Angebot ist das Gegenteil dessen, was wir fordern. Ein Gespräch unter Ausschluss der Öffentlichkeit ist undenkbar. Wir brauchen einen kollektiven Moment des Aufwachens", erklärt Hannah Lübbert. Das Angebot lehnen sie somit ab. In dieser Entscheidung sind sich offenbar alle Teilnehmenden einig.

Die 18-jährige Mephisto begründet: "Wir wollen ein Gespräch vor der Wahl und wir wollen ein öffentliches Gespräch mit allen drei Kanzlerkandidaten. Das ist unsere Forderung, weil es eben wichtig ist, vor der Wahl darüber zu reden, was in ihren Wahlprogrammen falsch läuft und warum es nicht ausreicht, was sie in ihren Wahlprogrammen gegen den Klimawandel hervorbringen. Und wir wollen auch, dass die Öffentlichkeit das mitbekommt."

Am Ende lassen sie sich dann doch noch auf einen vorsichtigen Kompromiss ein. Auf die Einsetzung eines Bürgerrats, der die Politik in der Bekämpfung der Klimakrise berät, bestehen sie nicht mehr. Aber das persönliche und öffentliche Gespräch mit den Kandidaten vor der Wahl: das soll unbedingt stattfinden. Bis dahin wollen sie weiter hungern.

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