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Warum von einer feministischen Außenpolitik nicht nur Frauen profitieren

Kristina Lunz ist eine deutsche Feministin, Aktivistin und Mitbegründerin des Centre for Feminist Foreign Policy.
Kristina Lunz ist eine deutsche Feministin, Aktivistin und Mitbegründerin des Centre for Feminist Foreign Policy.F.castro
Interview

Warum eine feministische Außenpolitik die Welt friedlicher machen kann

02.03.2022, 18:2604.03.2022, 09:10
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Feministische Außenpolitik: Was ist denn das? Und wozu muss Außenpolitik überhaupt feministisch sein? Wer sich das fragt, ist beim Centre for Feminist Foreign Policy genau richtig: Die Interessensvertretung setzt sich bereits seit Jahr 2016 dafür ein, dass die deutsche Außenpolitik feministisch wird. Mit Erfolg, denn die neue Koalition hat schwarz auf weiß in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, dass sie eine feministische Außenpolitik verfolgt und dafür ein Positionspapier mit einer klaren Strategie vorlegen will.

Kristina Lunz hat das Centre for Feminist Foreign Policy mitgegründet und gerade ein Buch mit dem Titel "Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch" veröffentlicht. Wir reden mit ihr darüber, was feministische Außenpolitik ist und warum sie nicht nur Vorteile für Frauen bringt.

Sie sagt:

"Es ist natürlich keine notwendige Voraussetzung, eine Frau zu sein, um feministische Politik zu machen."

watson: Es hat bis zur ersten deutschen Frau im Auswärtigen Amt gedauert, bis feministische Außenpolitik im Koalitionsvertrag steht. Zufall?

Kristina Lunz: Es ist wahrscheinlich kein Zufall. Zum einen ist es so, dass historisch immer die Bevölkerungsgruppen, die am stärksten von einer bestimmten Unterdrückungsform betroffen sind, sich auch am stärksten gegen diese Unterdrückungsform einsetzen, weil ihre Lebensrealitäten täglich negativ davon beeinflusst werden. Zum zweiten ist die Geschichte der deutschen Diplomatie eine Geschichte des Ausschlusses von Frauen: Wir haben jetzt erst die erste Außenministerin und in Deutschland dürfen Frauen erst seit 1949 Diplomaten werden, erst seit den 80er Jahren haben wir mehr als ein oder zwei Frauen in den jährlichen Attaché-Ausbildungen, also der Ausbildungen zu Diplomaten.

Glaubst du, eure Arbeit wäre einfacher, wenn mehr Frauen in der Regierung wären?

Es ist natürlich keine notwendige Voraussetzung, eine Frau zu sein, um feministische Politik zu machen. Ich glaube nicht, dass mehr Frauen in der Politik diese automatisch feministischer machen würde. Männer und Frauen haben gleichermaßen die Anlage, feministisch oder nicht feministisch zu sein. In Frankreich wurde die feministische Diplomatie 2017 unter einem männlichen Außenminister ausgerufen, in Mexiko ist die Person, die die feministische Außenpolitik ausgestaltet, der Leiter der Abteilung für Menschenrechte.

Aber in Deutschland mussten wir darauf warten, dass eine Frau Außenministerin wurde...

Man braucht dafür keine Frau, aber in dem Fall für Deutschland kam es zusammen, dass eine Frau, die sehr feministisch ist, eine feministische Außenpolitik als notwendig erkannt hat. Es ist toll, dass das deutsche Gesicht in die Welt hinaus jetzt ein weibliches ist und dass man in allen Bereichen feministische Politik machen will. Das gab es noch nie, dass wir eine Verteidigungsministerin, eine Entwicklungsministerin und eine Außenministerin haben. Ich glaube, es ist eine neue Zeit und ich freue mich drauf.

Was bedeutet feministische Außenpolitik konkret?

Feministische Außenpolitik bedeutet, sich alle Bereiche von Außen- und Sicherheitspolitik vorzunehmen und zu gucken: In welchen Bereichen liegt die Macht, wer profitiert davon und wessen Bedürfnisse werden nicht beachtet? Es gibt Schritte in die richtige Richtung, aber es fehlt noch einiges.

"Die militarisierte Gesellschaft ist eine, die proportional negative Auswirkungen auf Frauen hat."

Beim Wort Feminismus schaltet ein gewisses Klientel sofort ab oder hat Vorurteile: Verspielt man sich mit dieser Namensgebung gewisse Sympathien oder Chancen?

Ich werde oft gefragt, warum wir denn in unser "Center for Feminist Foreign Policy" direkt das Wort Feminismus in den Namen mit aufgenommen haben. Ganz klar, Feminismus hat viele negative Assoziationen in weiten Teilen unserer Gesellschaft. Der Grund dafür ist, dass die feministische Bewegung seit knapp 200 Jahren die erfolgreichste Bewegung darin ist, gesellschaftlichen Wandel zu schaffen hin zu einer gerechteren Gesellschaft, wo Macht fairer verteilt ist. Und daher haben alle diejenigen, die in Machtpositionen sind und auch die Deutungshoheit in unserer Gesellschaft haben, natürlich ein großes Interesse daran, diese Bewegung "Which is coming for their power" zu delegitimieren, zu diffamieren und eine negative Konnotation zu geben.

Der Feminismus wird also aus Angst um den eigenen Machterhalt diffamiert?

Ja und das wird auch erfolgreich gemacht. Diese Abwertung von Feminismus und feministischen Gedanken kommt von denjenigen, die einiges zu befürchten haben, wenn die feministische Bewegung erfolgreich ist. Würde ich mir das zu Herzen nehmen, dann würde ich mich deren Deutungshoheit unterordnen. Und genau das machen wir nicht.

Verstehen viele Menschen einfach nicht, was Feminismus wirklich ist?

Wir wissen, dass wir auf den Schultern von Giganten und den vielen Errungenschaften der feministischen Bewegung der Vergangenheit stehen. Frauen dürfen ein Bankkonto haben, Frauen dürfen nicht mehr vergewaltigt werden, wir dürfen unseren eigenen Beruf ausüben und so weiter. Das haben alles Feministinnen für uns gemacht. Und natürlich erkenne ich das an, und in der Tradition arbeiten wir oder Feministinnen in der Außenpolitik seit 1915, seitdem wir in Den Haag zusammenkamen, um das Ende des Ersten Weltkrieges zu fordern. Seitdem wird Feminismus und Außenpolitik mindestens gedacht, und in der Tradition stehen wir. Deshalb ist Feminismus genau der richtige Begriff.

Welche außenpolitischen Bereiche beeinflussen das Leben von Frauen besonders?

Jeder einzelne, es gibt keinen, wo es mehr oder weniger ist, weil alle Bereiche der Gesellschaft alle Menschen beeinflussen. Und so ist es auch mit Frauen. Also beispielsweise das Klima und die Außenpolitik: 80 Prozent aller Klimaflüchtlinge sind Mädchen und Frauen. Denn weltweit sind von der Klimakatastrophe am stärksten die finanziell Ärmsten betroffen und die überwiegende Mehrheit der finanziell Armen weltweit sind Frauen.

Was ist mit kriegerischen Auseinandersetzungen?

Schauen wir uns Verteidigung an und Militarisierung und Waffenlieferungen: Die militarisierte Gesellschaft ist eine, die proportional negative Auswirkungen auf Frauen hat. Waffen in unserer Gesellschaft sind fast überwiegend in den Händen von Männern. Und damit wird vor allem männliche Gewalt ausgeübt. Und Frauen, die in diesem Bereich weiterhin relativ wenig mitspielen, erfahren viel Waffengewalt. Studien über die USA, einem Land mit der höchsten Anzahl an Waffen, zeigen, dass wenn eine Waffe im Haushalt vorhanden ist, die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau in diesem Haushalt damit ermordet wird, um 500 Prozent steigt. Oder gucken wir uns Internationale Handelspolitik an. Weit über 90 Prozent des internationalen Handels liegt in den Händen von Männern. Man spricht vom männlichen Monopol des internationalen Handels.

Wenn wir schon beim Thema Waffen sind, nehmen wir doch mal als Beispiel den aktuellen Krieg Russlands gegen die Ukraine: Was kann feministische Außenpolitik in einer Krise wie dieser bewirken?

Der völkerrechtswidrige, russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der Tod von Zivilist:innen, die Möglichkeit der Drohung mit Nuklearwaffen – all das ist ja Resultat eines traditionellen Verständnisses von militarisierter Außenpolitik und einer Depriosierung des Schutzes der Bedeutung des Völkerrechts und globaler Abrüstungsbemühungen. Und davon, dass internationale Systeme und Institutionen geschaffen wurden, die es möglich machen, dass gewaltbereite Menschen derart viel Zerstörung und Gewalt ausüben können. Beispielsweise fordern Feminist:innen und andere Menschenrechtsorganisationen schon lange, dass der Sicherheitsrat reformiert wird, weg von fünf nuklearen Vetomächten. Aber klar, dieses Verständnis hilft im akuten Notfall natürlich nicht viel.

"Man geht fälschlicherweise immer noch davon aus, dass Waffen und Militarisierung Sicherheit bringen."

Was braucht es denn in diesem Notfall?

Natürlich müssen die Ukrainer:innen in ihrer Notwehr maximal unterstützt werden. Und gleichzeitig – und hier brauchen wir alle Ambiguitätstoleranz – ist es ebenso richtig, dass jetzt akute Aufrüstung und Waffenlieferungen vor dem Verständnis geschehen müssen, dass eine aufgerüstete und militarisierte globale Gesellschaft in der Folge nur weitere Kriege produzieren wird. Ganz akut muss aber auch die Priorität darauf liegen, ukrainische Zivilgesellschaft zu unterstützen, vor allem auch diejenigen, die zur "Frauen, Frieden und Sicherheits-Agenda" arbeiten, regierungskritische Zivilgesellschaft in Belarus und Russland zu unterstützen, sichere Fluchtwege ohne rassistische Diskriminierung zu ermöglichen oder auch ein sehr schnelles Ende der Finanzierung Putins Kriegskasse durch deutschen Import fossiler Energie aus Russland.

Aber Waffen können andererseits ja auch unterdrückte Minderheiten und Frauen schützen, wenn sie in den richtigen Händen sind.

Man geht fälschlicherweise immer noch davon aus, dass Waffen und Militarisierung Sicherheit bringen – tun sie höchstens in akuter Notwehr in bereits bestehenden militarisierten Situationen. Waffen schützen aber ja nur jene Menschen, die sie haben und das sind wenige. Zahlen zeigen, dass im 20. Jahrhundert mehr Frauen durch geschlechterbasierte Gewalt ums Leben kamen als alle Menschen bei Konflikten im Krieg zusammen. Dieser Aspekt wird in der aktuellen Politik gar nicht beachtet. Die aktuelle Sicherheitsarchitektur, die Institutionen, Themen und die Prioritäten basieren auf einem sehr eingeschränkten Sicherheitsverständnis. Dieses kommt von einem Sicherheitsbedürfnis, das patriarchale Herrschaftsstrukturen vor Jahrzehnten geschaffen haben.

Aber wie kann man das mit internationalen Verpflichtungen wie dem Zwei-Prozent-Ziel der NATO vereinbaren?

Abrüstung eines internationalen Waffenhandels ist historisch schon seit 1915 und weiterhin ein Hauptanliegen feministischer Außenpolitik, denn Feminismus geht gegen das Patriarchat vor. Und Patriarchat bedeutet eine Gesellschaftsstruktur, in der Männer eine Vormachtstellung in Staat und Familie haben, wo dann Hierarchien aufgebaut wurden. Und Hierarchien werden aufrechterhalten durch Gewalt und am effizientesten durch Waffen. Daher ist Abrüstung eine Kernforderungen.

Kristina Lunz wurde von Forbes 2019 zu eine der "30 unter 30" gewählt.
Kristina Lunz wurde von Forbes 2019 zu eine der "30 unter 30" gewählt.

Dass Deutschland jetzt eine feministische Außenpolitik hat, ist auch der Verdienst des Centre for Feminist Foreign Policy, das du mitgegründet hast. Kannst du kurz erklären, was ihr genau macht?

Das "Centre for Feminist Foreign Policy", kurz CFFP, ist eine Mischung aus Think und Do Tank. Das umfasst drei Säulen: research, advocacy und community. Wir schreiben Artikel und betreiben Forschung darüber, was feministische Außenpolitik für unterschiedliche Länder und Themen bedeuten könnte. Außerdem machen wir ganz gezielt Advocacyarbeit – wir sind ja kein neutraler Think Tank, sondern wir haben natürlich eine Agenda: Wir wollen, dass die Außen- und Sicherheitspolitik feministischer gestaltet wird, Frieden fördert und allen Menschen dient.

Das CFFP betont oft, dass es nicht nur um die Gleichberechtigung von Frauen, sondern von Minderheiten allgemein geht. Geht es also allen besser, wenn es den Frauen dieser Welt besser geht?

Wir verfolgen einen intersektionellen Ansatz: Es geht nicht nur um Frauen, sondern darum, Macht gerecht in der Gesellschaft zu verteilen. Wir nennen unsere Arbeit nicht humanistische Außenpolitik aus dem gleichen Grund, aus dem die erfolgreichste Bewegung Feminismus und nicht Humanismus heißt: Weil Humanismus im Idealfall für Menschenrechte, also Rechte für alle eintritt, historisch gesehen aber Frauenrechte und ein intersektionaler Ansatz dabei hinten runtergefallen sind. Feminismus will Menschenrechte für alle, aber die größte Gruppe der Gesellschaft, also Frauen, wird weiterhin am stärksten unterdrückt, deswegen setzen wir uns explizit dafür ein. Feminismus ist eine politische Methode, Macht zu analysieren, mit dem Anspruch, sie fair zu verteilen.

"Deutsche Außenpolitik ist dann feministisch, wenn alle Handlungen unter Einsatz aller diplomatischen Mittel darauf überprüft werden oder dazu führen, dass Ungerechtigkeiten abgebaut werden."

Kann sich Deutschland etwas abschauen von anderen Ländern wie Schweden oder Kanada, die schon seit mehreren Jahren eine feministische Außenpolitik betreiben?

Schweden und Kanada haben selbst für sich bestimmt, eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik zu verfolgen. Viele Feministinnen weltweit kritisieren Schweden aber weiterhin stark, weil es proportional zur Größe der Bevölkerung ein riesiger Waffenexporteur ist. Es gibt natürlich tausend Kritikpunkte, die man diesen Regierungen vorwerfen könnte. Aber das Verständnis eines sozialen Wandels muss irgendwo anfangen. Man kann keine Schalter umlegen und von heute auf morgen ist alles anders – weil es diese Institutionen seit hunderten von Jahren gibt.

German Foreign Minister Annalena Baerbock speaks at GA Emergency session at UN Headquarters (Photo by Lev Radin/Pacific Press)
Außenministerin Annalena Baerbock spricht vor den Vereinten Nationen. Bild: Pacific Press / Lev Radin

Was ist das Ziel der feministischen Außenpolitik, also wo ist der Punkt, wo du sagst: Jetzt ist die deutsche Außenpolitik feministisch?

Deutsche Außenpolitik ist dann feministisch, wenn alle Handlungen unter Einsatz aller diplomatischen Mittel darauf überprüft werden oder dazu führen, dass Ungerechtigkeiten abgebaut werden, Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern, Ungerechtigkeit zwischen Klassen, Ungerechtigkeiten zwischen globalem Norden und globalem Süden. Der Beitrag zum Abbau von Ungerechtigkeiten qualifiziert eine feministische Außenpolitik. Und natürlich gehört auch dazu der Umbau von Strukturen im deutschen Außenministerium.

Was gehört zu so einem Umbau?

Wir brauchen unbedingt ein Büro mit einer Sonderbeauftragten zu feministischer Außenpolitik, eigentlich ein ganzes Team, das dazu beiträgt, dass in allen Abteilungen, in allen Auslandsvertretungen und überall in der deutschen Außenpolitik die feministische Analysen und die Forderungen in den Länderberichten, dass das alles feministisch ist. Dann haben wir eine feministische Außenpolitik.

Zwei Jahre in Australien: Das ist mein Fazit
Unsere Kollegin Franziska Wohlfarth hat bei watson gekündigt, weil sie nach Australien ausgewandert ist. Ganz weg ist sie aber nicht: In ihrer Kolumne "Die Auswanderin" berichtet sie einmal im Monat von ihren Erlebnissen aus Down Under.

Anfang 2023 habe ich meinen Alltag komplett umgekrempelt, meinen Job gekündigt, meine Wohnung aufgelöst, mich von meinen Liebsten in Deutschland verabschiedet und bin mit nur einem Koffer bepackt nach Australien gezogen. Meine Routine aufzugeben und mich der Ungewissheit am anderen Ende der Welt zu stellen, war wohl die größte Herausforderung, der ich bislang begegnet bin. Doch wie es im Leben nun mal so ist, habe ich aus dieser Erfahrung auch einige Erkenntnisse ziehen können.

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