Keine Anzeichen von Lampenfieber: Ricarda Lang während ihrer Rede beim Parteitag der Grünen.Bild: Getty Images Europe / Sean Gallup
Ein Tag mit
Ricarda Lang – Die grüne Aussteigerin aus der schwarzen Hochburg
Ihr Vater wollte, dass sie Künstlerin wird. Sie wollte lieber Politikerin werden und legt bei den Grünen eine Blitzkarriere hin. Das bringt Ricarda Lang Bewunderer, Fans – und kübelweise Hass.
Es ist noch nicht viel los, als Ricarda Lang ihre Rede beim Bundesparteitag der Grünen hält. Da es am Vortag schneller ging als gedacht, war sie etwas nach vorne gerutscht. Jetzt, 10.30 Uhr, steht sie am Pult. Ricarda Lang wirkt routiniert. Sie spricht über gesellschaftliche Veränderungen wie die Klimakrise und die Digitalisierung, über Pflegekräfte und soziale Missstände. Sie spricht kämpferisch, gestikuliert viel. Besonders nervös wirkt sie nicht.
Es ist der Parteitag im Juni, an dem die Grünen über ihr Programm für die Bundestagswahl abstimmen. An dem sich der Parteivorstand gegen aus seiner Sicht allzu radikale Forderungen durchsetzt. Die Grünen wollen ja die nächste Bundesregierung anführen, nie in der Geschichte hatten sie dieses Ziel so deutlich vor Augen. Ricarda Lang, 27 Jahre alt, ist stellvertretende Vorsitzende dieser Partei.
Man merkt ihr bei dieser Rede an, dass sie mit Leidenschaft hinter dem steht, was sie sagt. Sie Wörter wie "verarschen". Das wäre Parteichef Robert Habeck bei diesem wichtigen Parteitag nicht über die Lippen gekommen. Aber Ricarda Lang spricht, wenn sie von sozialer Ungerechtigkeit und den Beharrungskräfte alter Eliten redet, nicht über Abstraktes. Sie erlebt ja gerade selbst, wie es ist, wenn sich die Aggressivität von Gruppen, die den eigenen Machtverlust fürchten, Bahn bricht.
"Das Reden macht mir Spaß, ich fühle mich auf der Bühne wohl", erklärt sie nach ihrem Auftritt gegenüber watson.
"Es gibt Menschen, die wollen nicht überzeugen, die wollen andere mundtot machen."
In der Woche vor dem Parteitag war Lang bei der Fernseh-Talkshow "Hart aber Fair" im Studio. Sie lieferte sich dort einen heftigen Schlagabtausch mit CSU-Generalsekretär Markus Blume. Das hat ihr viel Respekt eingebracht, manch einer war der Meinung, Blume hätte argumentativ im Duell gegen Lang kein Land gesehen. Es gab aber auch andere Stimmen. Die von Menschen, die sich in den sozialen Medien abwertend über Langs Figur ausließen, wo sie mit Argumenten nicht mehr weiterkamen.
Das ist für Lang nicht neu, wie sie watson am Rande des Bundesparteitags erzählt. Frauenfeindliche Kommentare kennt sie, die ehemalige Bundesvorsitzende der Grünen Jugend, bereits hinreichend. Seit sie politisch öffentlich in Erscheinung getreten ist, muss sie im Netz Beleidigungen über sich lesen.
Neu ist allerdings, dass selbst CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sich dazu äußert und Lang solidarisch zur Seite springt. Auf Twitter erklärte Ziemiak: "Die Angriffe auf Ricarda Lang wegen Äußerlichkeiten sind einfach nur asozial! Solchen Hass verurteile ich" und forderte volle Solidarität mit der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Grünen.
Nahm Ricarda Lang auch öffentlich in Schutz: CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. Bild: www.imago-images.de / teutopress GmbH
"Dass Paul Ziemiak sich gemeldet hat, hat mich gefreut."
"Dass Paul Ziemiak sich gemeldet hat, hat mich gefreut. Und es hat mich auch überrascht", erklärt Lang abseits des Grünen-Parteitags. Zimiak und sie kennen sich. Lang hatte bereits früher mit ihm zu tun, als sie Sprecherin der Grünen Jugend und Ziemiak Vorsitzender der Jungen Union war. Mit öffentlichem Beistand hatte sie trotzdem nicht gerechnet. "Diesen öffentlichen Beistand sollten wir demokratischen Parteien in solchen Fällen öfter zeigen. Habe ihm daher auch persönlich geschrieben", erklärt Lang. Ziemiak war nicht der einzige. Von fast allen Parteien kam Unterstützung, so Lang, außer von der AfD. Die Solidarität sei insgesamt groß gewesen, dafür sei sie dankbar, erklärt sie.
Spurlos gehen die Hasskommentare nicht an ihr vorbei. Sie habe schon mehrfach überlegt, aufzuhören, erklärt sie gegenüber watson. Die Beschimpfungen entzündeten sich zwar immer an ihrer politischen Haltung und konkreten Vorschlägen, verlagerten sich dann aber immer recht schnell auf Äußerlichkeiten und ihre Person. Immer wieder wird Langs Gewicht thematisiert und sie erlebt sexistische Beschimpfungen. "Wenn es reine inhaltliche Kritik wäre, könnte man darüber sprechen. Aber darum geht es in solchen Fällen selten. Es gibt Menschen, die wollen nicht überzeugen, die wollen andere mundtot machen. Und das gefährdet am Ende unsere Demokratie."
"Die Träumereien können nur alle zwei Generationen ausgelebt werden. Einer muss auch das Brot verdienen."
Ricarda Langs Mutter zu ihrer Tochter
Und das will Lang nicht zulassen. Dafür ist es ihr zu wichtig, wofür sie antritt. Das Thema Frauenfeindlichkeit machte sie zu ihrem Kernthema neben der Bildung und hat damit durchaus Erfolg. Inzwischen ist sie stellvertretende Parteichefin und frauenpolitische Sprecherin des Bundesvorstandes der Grünen. Innerhalb der Partei hat sie eine steile Karriere hingelegt. Erst 2015 wurde sie in den Bundesvorstand der Grünen Jugend gewählt, vier Jahre später war sie schon im Vorstand der Mutterpartei. Wo ihr Engagement die 27-Jährige wohl noch hinführen wird?
Dabei war der Weg in die Politik für Ricarda Lang nicht vorgezeichnet. Ihr Vater war Bildhauer in Schwäbisch-Gmünd in Baden-Württemberg, wie sie erzählt. Zeitweise hat er die Kunstkommission des Landes beraten und an Hochschulen unterrichtet. Sonderlich viel mitbekommen hat sie aber nicht. Lang wuchs bei ihrer Mutter im südlicher gelegenen Nürtingen auf.
Zu ihrem Vater hatte sie keinen engen Kontakt. Er hätte sich gewünscht, dass sie wie er Künstlerin wird. "Als ich ihm erklärt habe, dass ich Jura studieren will, war er enttäuscht", erzählt die stellvertretende Vorsitzende der Grünen. Paradox, wie sie findet. Meistens sei es doch eher umgekehrt bei Familien, die Eltern würden sich eine eher solide Ausbildung wünschen und die Kinder von Selbstverwirklichung träumen.
Enge Verbindung zur Spitze der Partei: Ricarda Lang mit dem Bundesvorstand (2.v.l., vor der Pandemie aufgenommen).Bild: www.imago-images.de / Malte Ossowski/SVEN SIMON
"Roberts Stärke ist es, Ideen und Visionen zu formulieren, politische Geschichten zu erzählen."
"Meine Mutter hat das eher verstanden. Sie hat mal im Spaß zu mir gesagt: 'Die Träumereien können nur alle zwei Generationen ausgelebt werden. Einer muss auch das Brot verdienen.'" Das sei in der Politik zwar auch nicht immer einfach, aber leichter als mit einer künstlerischen Ausbildung oder einem Philosophie-Studium, so Lang. Auch wenn man als promovierter Philosoph Parteivorsitzender werden kann, wie Robert Habeck? Lang sagt dazu: "Roberts Stärke ist es, Ideen und Visionen zu formulieren, politische Geschichten zu erzählen. Daher fand ich seine Rede beim Parteitag auch so stark. Er hat bei dem Gegenwind, den wir die letzten Wochen erfahren haben, noch einmal klargemacht, worum es eigentlich geht – um Freiheit und Verantwortung."
Für den besseren Kanzlerkandidaten hält Lang ihn deshalb trotzdem nicht. Den Vorschlag, den der "Spiegel" kurz zuvor zur Debatte gestellt hatte, nämlich Baerbock kurzerhand gegen Habeck auszutauschen, findet sie Quatsch. "Annalena ist genau die Richtige für die Kandidatur, sie steht für Aufbruch und kämpft mit Leidenschaft für Erneuerung", erklärt sie. Baerbock hatte eine ähnliche Karriere hingelegt wie Ricarda Lang. In gewisser Weise ist sie ein Vorbild für die jungen Frauen innerhalb der Partei.
Daran ändert auch der Auftritt beim Parteitag nichts. Baerbock wirkte während ihrer Rede hin und wieder unglücklich, verhaspelte sich und verließ das Podium mit dem Wort "Scheiße!" Richtung Co-Parteichef Robert Habeck auf den Lippen. Das sorgte für Furore und Kritik. Von Unprofessionalität war da die Rede. Das will Lang nicht unterschreiben. "Warum sie das gesagt hat, weiß ich gar nicht genau. Aber ehrlich gesagt: Ich finde es auch wichtiger, über Inhalte zu reden."
"Das wird aber auch stärker, wenn ich wieder einige Zeit in der Heimat war."
Sie findet es eher sympathisch, dass die Kanzlerkandidatin sich auch mal menschlich zeigt. An ihrer Meinung, die Entscheidung für Baerbock sei die richtige, hat der Gefühlsausbruch beim Parteitag genauso wenig geändert, wie die Kritik an Baerbocks fehlerhaftem Lebenslauf oder den nicht-deklarierten Einnahmen der Parteivorsitzenden. Dabei sollte man von einer schwäbischen Juristin ein kleinlicheres Verhältnis zum Geld erwarten.
Ihre Herkunft hört man Ricarda Lang an. Sie schwäbelt immer noch ein bisschen. "Das wird aber auch stärker, wenn ich wieder einige Zeit in der Heimat war", sagt sie. Sie habe in Berlin versucht, sich den Akzent abzutrainieren, meint Lang. Sie sei letztlich aber gescheitert. Kalkül sei das nicht. Da gebe es andere, die gerne ein wenig präsidentieller und schwäbischer wirken wollen, um im eigenen Wahlkreis Punkte zu sammeln. Ricarda Lang hat einfach sehr viel mehr Zeit ihres Lebens im schwäbischen Umfeld verbracht, als in Berlin. Erst 2014 zog es sie in die Hauptstadt.
Trotzdem ist sie der Heimat nach wie vor verbunden. Sie kandidiert dort auch für das Direktmandat. Ihrem Vater beweisen, dass die Politik die bessere Wahl war, kann Ricarda Lang nicht mehr. Vor drei Jahren ist er gestorben. Im September wird sie in "seinem" Wahlkreis in Schwäbisch-Gmünd zur Wahl für den Bundestag stehen. Der wurde bisher immer von der CDU gewonnen.
Gern gesehener Talk-Gast: Ricarda Lang (3.v.r.) im Studio von "Hart aber fair" (Das Foto ist vor der Pandemie entstanden).Bild: www.imago-images.de / Eventpress Stauffenberg
"Dann hätte ich als stellvertretende Parteivorsitzende etwas falsch gemacht."
Dass sie also über das Direktmandat in den Bundestag kommt, ist unwahrscheinlich, wenn auch nicht unmöglich. Auf der Landesliste, die sich an der Anzahl der Zweitstimmen im Bundesland orientiert, ist sie aber gerade einen Platz nach oben gerutscht. Eigentlich war sie auf Platz elf gewählt worden. Da aber Danyal Bayaz, der bisher im Bundestag saß, vor Kurzem Finanzminister in Baden-Württemberg geworden ist, ist Lang nun auf Platz zehn, einem sehr guten Listenplatz.
Da müssten die Grünen schon deutlich einstellig sein, damit Lang damit nicht in den Bundestag kommt. "Dann hätte ich auch als stellvertretende Parteivorsitzende etwas falsch gemacht", so Lang. Aktuell sieht alles danach aus, dass die Grünen mindestens 20 Prozent im Bund erhalten werden. In der grünen Hochburg Baden-Württemberg sind auch noch mehr Prozentpunkte denkbar.
Wenn also alles so läuft, wie es scheint, wird die ehemalige Vorsitzende der Grünen Jugend im September mit 27 Jahren im Bundestag sitzen. Es ist unwahrscheinlich, dass ihr Weg dort nach vier Jahren enden wird. Dazu hat sie zu viel Talent – und zu viel Stehvermögen.
US-Wahl und die Spaltung der Gesellschaft: Was Deutschland daraus lernen sollte
Seit der US-Wahl steht fest: Donald Trump wird erneut ins Amt des US-Präsidenten zurückkehren. Spannend war das Rennen ums Weiße Haus allemal. Doch es war ein Wahlkampf, der von starker Polarisierung und emotionaler Abneigung zwischen den beiden politischen Lagern geprägt war. Er hat die gesellschaftlichen Gräben in den Vereinigten Staaten weiter vertieft.