
Mit einem Tag Verspätung verurteilte Trump in einer am Donnerstagabend (Ortszeit) auf Twitter verbreiteten Videobotschaft die Krawalle. "Wie alle Amerikaner bin ich empört über die Gewalt, Gesetzlosigkeit und das Chaos", sagte er.Bild: ap / Jose Luis Magana
International
08.01.2021, 07:4508.01.2021, 20:50
Angesichts massiver Kritik bemüht sich der
abgewählte US-Präsident Donald Trump nach dem Sturm seiner
aufgebrachten Anhänger auf das Kapitol um Schadensbegrenzung. Mit
einem Tag Verspätung verurteilte Trump in einer am Donnerstagabend
(Ortszeit) auf Twitter verbreiteten Videobotschaft die Krawalle. "Wie
alle Amerikaner bin ich empört über die Gewalt, Gesetzlosigkeit und
das Chaos", sagte er. Es sei nun Zeit für "Heilung und Versöhnung".
Trump sagte erneut zu, sich der Amtsübergabe an den gewählten
Präsidenten Joe Biden nicht weiter in den Weg zu stellen. "Eine neue
Regierung wird am 20. Januar vereidigt werden", sagte Trump in dem
Video. "Ich konzentriere mich nun darauf, eine reibungslose,
geordnete und nahtlose Machtübergabe zu gewährleisten." Dem Land als
Präsident zu dienen, sei für ihn die Ehre seines Lebens gewesen. Trump
hatte sich bislang weiter als Sieger der Wahl dargestellt.
Demokraten fordern Amtsenthebung Donald Trumps
Kurz vor Veröffentlichung des Videos hatten die führenden
Demokraten im Kongress wegen des von Trump angestachelten Aufruhrs am
Kapitol eine sofortige Absetzung des Republikaners gefordert. Die
Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, und der oberste
Demokrat im Senat, Chuck Schumer, riefen den amtierenden
US-Vizepräsidenten Mike Pence und Kabinettsmitglieder dazu auf, eine
Amtsenthebung auf Basis des Zusatzartikels 25 der US-Verfassung
anzustrengen.
Dieser Artikel erlaubt es, den Präsidenten für unfähig zu
erklären, "die Rechte und Pflichten des Amtes auszuüben". Eine solche
Erklärung müssten Vizepräsident Mike Pence und eine Mehrheit der
wichtigsten Kabinettsmitglieder vornehmen. Sie müssten dies dann dem
Kongress mitteilen. Der Präsident könnte Widerspruch einlegen, der
wiederum überstimmt werden könnte. Dann wäre der Kongress am Zug. Bis
zu einer Entscheidung dort wäre Pence amtierender Präsident.
Im Parlament sind die erforderlichen Zweidrittelmehrheiten in
beiden Kammern für eine Amtsenthebung Trumps zwar nicht absehbar. Der
Kongress hätte aber 21 Tage Zeit, um abzustimmen – also bis nach
Bidens Vereidigung am 20. Januar.
Wütende Anhänger Trumps hatten am Mittwoch in einer beispiellosen
Gewalteskalation das Kapitol in Washington gestürmt, nachdem er sie
bei einer Kundgebung mit unbelegten Behauptungen über angeblichen
Betrug bei der Präsidentschaftswahl angestachelt hatte. Dies sorgte
national wie international für Entsetzen. Trump hatte die
Ausschreitungen am Mittwoch zunächst nicht verurteilt, sondern mit
umstrittenen Twitter-Botschaften weitere Kritik auf sich gezogen. Er
hatte seine Anhänger zwar aufgerufen, sich zurückzuziehen. Zugleich
sagte er aber an ihre Adresse: "Wir lieben euch."
Trump wäre der erste Präsident, der sich zwei Verfahren stellen müsste
Der Republikaner hatte die Präsidentschaftswahl im November klar
gegen Biden verloren. Bis zuletzt wehrte sich Trump jedoch mit allen
Mitteln dagegen, die Niederlage zu akzeptieren. Die Proteste seiner
Anhänger hatten sich gegen die Zertifizierung des Wahlergebnisses im
Kongress gerichtet. Die beiden Kongresskammern bestätigten Bidens
Sieg am Donnerstagmorgen jedoch trotz der Ausschreitungen offiziell.
Für den Fall, dass der Vizepräsident und das Kabinett nicht tätig
würden, drohte Pelosi mit einem regulären Amtsenthebungsverfahren im
Kongress – das aber kaum bis zu Bidens Vereidigung abgeschlossen sein
dürfte. Trump hatte sich in seiner Amtszeit bereits einem regulären
Amtsenthebungsverfahren im Kongress stellen müssen: Im vergangenen
Februar war er dabei von der Mehrheit seiner Republikaner im Senat
freigesprochen worden. Trump wäre der erste US-Präsident, der sich
zwei solcher Verfahren stellen müsste.
Pelosi bezeichnete Trump als "gefährlichen Mann" und warnte, er
könne in seinen verbleibenden Tagen im Amt weiteren großen Schaden
anrichten. "Es sind zwar nur noch 13 Tage, aber jeder Tag kann eine
Horrorshow für Amerika sein." Auch Schumer mahnte: "Dieser Präsident
sollte keinen Tag länger sein Amt behalten." Er machte Trump
schwerste Vorwürfe mit Blick auf die Ausschreitungen vom Mittwoch:
"Was gestern im US-Kapitol passiert ist, war ein Aufstand gegen die
Vereinigten Staaten, aufgehetzt durch den Präsidenten."
Der designierte Präsident Joe Biden bezeichnete den gewaltsamen
Sturm auf das Kapitol als "einen der dunkelsten Tage in der
Geschichte" der Vereinigten Staaten. Die Angreifer seien keine
Demonstranten gewesen, sondern "inländische Terroristen".
In Washington wurden auch Rohrbomben und Waffen sichergestellt
Bei den Unruhen am Parlament kamen vier Menschen unter teils
ungeklärten Umständen ums Leben. Die Polizei in Washington teilte am
Donnerstag mit, 68 Menschen seien festgenommen worden. 56 Polizisten
seien verletzt worden, zwei davon würden im Krankenhaus behandelt.
Zwei Rohrbomben und sechs Schusswaffen seien sichergestellt worden.
Staatsanwalt Mike Sherwin sagte in einer Telefonschalte mit
Journalisten, im Zusammenhang mit den Vorfällen am Kapitol sei in
insgesamt 55 Fällen Strafanzeige erhoben worden. Sherwin betonte, man
stehe bei der Strafverfolgung erst am Anfang. Ermittler sichteten
Videomaterial. Hunderte Mitarbeiter durchsuchten soziale Medien, um
potenzielle Straftäter zu identifizieren.
Mehrere Republikaner warfen Trump offen vor, er habe den
Gewaltausbruch angezettelt. Wegen des Angriffs auf das Kapitol
kündigten am Donnerstag gleich zwei Mitglieder von Trumps Kabinett
ihren Rücktritt an: Bildungsministerin Betsy DeVos und
Verkehrsministerin Elaine Chao. Beide begründeten ihren Schritt mit
dem von Trump angestachelten Aufruhr. Chao ist die Ehefrau des
Mehrheitsführers der Republikaner im US-Senat, Mitch McConnell. Auch
Trumps früherer Stabschef Mick Mulvaney trat aus Protest vom Posten
des Nordirland-Beauftragten zurück. Der stellvertretende Nationale
Sicherheitsberater Matt Pottinger schmiss ebenfalls hin.
Als erster republikanischer Abgeordneter forderte Adam Kinzinger,
der Trump zuletzt wiederholt kritisiert hatte, den Präsidenten mit
Hilfe des 25. Verfassungszusatzes des Amtes zu entheben. Das Kabinett
und der Vizepräsident müssten handeln, um "diesen Alptraum" zu
beenden. Anstatt Amerika zu beschützen, habe Trump die Gewalt
angestachelt.
Auch der republikanische Gouverneur von Maryland, Larry Hogan,
unterstützte dies. "Ich denke, es steht außer Frage, dass Amerika
besser dran wäre, wenn der Präsident zurücktreten oder aus dem Amt
entfernt würde", sagte Hogan am Donnerstag. "Genug ist genug. Genug
der Lügen. Genug des Hasses. Genug von der totalen
Dysfunktion."/cy/jac/so/scb/jbz/DP/zb
(mse/dpa)