
Ein Leben mit Corona? Taiwan zeigt, wie es aussehen könnte.Bild: imago images / Xinhua
International
27.04.2020, 13:0611.04.2024, 16:25
Taiwan wird für seinen Umgang mit dem Virus viel gelobt. Es gibt nur
wenige Infizierte, nicht einmal Ausgangssperren. Die
Weltgesundheitsorganisation war dabei keine Hilfe: Auf Druck Chinas
ist die Insel in der WHO nicht dabei.
Im Kampf gegen das neue Coronavirus lässt sich vieles
von Taiwan lernen – auch, wie das Leben danach aussehen kann. Kaum
ein Land war so gefährdet: Die Inselrepublik liegt nur 130 Kilometer
vor der chinesischen Küste. Einige Hunderttausend Taiwaner leben in
der Volksrepublik. Mehr als zwei Millionen Chinesen besuchten im
Vorjahr die Insel. Die Verbindungen sind eng. Trotzdem zählt Taiwan
bisher nicht einmal 500 Infektionen sowie 6 Tote – auf 23 Millionen
Taiwaner gerechnet weltweit ein Spitzenplatz.
Wie konnte Taiwan sich schützen?
Mit seiner frühen und energischen Reaktion auf den Ausbruch von
Sars-CoV-2 wird Taiwan heute als "Erfolgsgeschichte" gepriesen.
"Anders als praktisch jedes andere Land der Welt hat Taiwan die erste
Welle der Covid-19-Pandemie bewundernswert gut überstanden", stellt
Ryan Hass fest, ein Experte der US-Denkfabrik Brookings.
Wie kam es dazu? Schon die ersten Berichte im Dezember über
rätselhafte Lungenentzündungen in der chinesischen Metropole Wuhan
lösten auf der Insel Alarm aus. Die Erinnerung an die Pandemie mit
dem ersten Sars-Virus 2003 mit 73 Toten und hunderten Infizierten
allein in Taiwan ließ die Behörden wachsam sein.
Bereits am 31. Dezember, als chinesische Stellen noch abwiegelten,
schrieb Taiwan an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und sprach
die Gefahr einer Übertragung von Mensch zu Mensch an. Die Email wurde
nie beantwortet. Sie wurde "ignoriert", wie US-Präsident Donald Trump
sagt. Er attackiert die WHO, um offenbar von eigenen Versäumnissen in
den USA abzulenken, und hat ihr das Geld gestrichen. Auch wirft Trump
der UN-Organisation vor, zu "chinafreundlich" zu sein.
Taiwan nicht Teil der WHO
Da die kommunistische Führung das demokratische Taiwan als Teil
Chinas ansieht, darf es nicht der WHO angehören. Zwischen 2009 und
2016 nahm es zumindest als Beobachter an der jährlichen
Weltgesundheitsversammlung teil. Aber Peking "stellt Politik vor
Gesundheit", wie Kritiker sagen. Nach dem Amtsantritt der
chinakritischen Präsidentin Tsai Ing-wen 2016 in Taipeh wurde Taiwan
auf Druck Pekings ganz ausgeschlossen.
Die WHO-Bürokratie behandelt die Insel sogar als Teil der
Volksrepublik. Mit absurden Auswirkungen: Nach einer WHO-Warnung auf
dem Höhepunkt der Epidemie in China stoppten Länder wie Italien oder
Vietnam ihre Flüge selbst nach Taiwan, wo es zu der Zeit nur wenige
Dutzend Fälle gab. Viele Taiwaner strandeten im Ausland.
Noch am Tag der warnenden Email an die WHO führte Taiwan
Fieberkontrollen für Fluggäste aus Wuhan ein. Drei Wochen später
durften Bewohner der chinesischen Metropole nicht mehr einreisen. Ein
nach der Sars-Pandemie eigens geschaffenes Kommandozentrum der
Regierung übernahm die Koordinierung im Kampf gegen das Virus. Die
Produktion von Gesichtsmasken wurde hochgefahren, ihre Verteilung
geregelt. Anfang Februar wurde die Grenze für alle Chinesen dicht
gemacht – im März auch für fast alle Ausländer.

Kontrollen am Flughafen von Taipeh: Nach wie vor werden Einreisende streng kontrolliert.Bild: imago images / Hans Lucas
Die frühzeitigen Einreisesperren erwiesen sich als effektiv. Auch
verfolgten und unterbrachen die Behörden umgehend Infektionsketten,
brachten Kontaktpersonen in Quarantäne. Die Öffentlichkeit wurde
durch Hinweise im Fernsehen über Risiken und Vorbeugung unterrichtet.
Das frühzeitige Eingreifen ersparte den Taiwanern Ausgangssperren wie
in anderen Ländern oder einen "Lockdown" der Wirtschaft.
Könnte so das Leben nach Corona aussehen?
WHO-Nothilfedirektor Michael Ryan lobt die Insel dafür. "Sie haben in
Taiwan eine sehr gute öffentliche Gesundheitsreaktion auf die Beine
gestellt. Das lässt sich an den Zahlen sehen." Beispielhaft ist auch,
wie das Land heute die "neue Normalität" meistert. So könnte das
Leben nach dem Ausnahmezustand auch in anderen Ländern aussehen, bis
es einen Impfstoff gibt. In Bussen, Bahnen und Zügen ist Mund- und
Nasenschutz Pflicht. Taxifahrer können Fahrgäste ohne Maske ablehnen.
In Räumen müssen die Menschen 1,5 Meter Abstand halten, im Freien
einen Meter. Restaurants rücken Stühle und Tische auseinander.

In Taiwan konnte man wegen guter Sicherheitsvorkehrungen auf eine Ausgangssperre verzichten.Bild: imago images / Xinhua
Versammlungen sind in Räumen bis 100 Personen erlaubt, bis 500 an der
frischen Luft. Bei Schülern wird jeden Morgen Temperatur gemessen. An
Eingängen zu Banken, Postämtern und Geschäften gibt es
Fieberkontrollen und Desinfektionsmittel für die Hände. Am Flughafen
und in Bahnhöfen stehen Infrarotgeräte, die Passagieren automatisch
die Temperatur messen.
Einreisende – zumeist nur noch Taiwaner – müssen zwei Wochen zu Hause in Quarantäne verbringen. Am Flughafen müssen sie ihre Smartphones
aushändigen, damit die Behörden das GPS-Navigations-Signal
feststellen können. Damit wird der Aufenthaltsort der Person dann
während der nächsten 14 Tage verfolgt. Epidemie-Vorbeugungs-Taxis,
die jedes Mal desinfiziert werden, bringen sie zum Quarantäne-Ort.
Wenn das GPS-Signal unterbricht – durch schlechten Empfang oder wenn
die Handybatterie leer ist –, steht schnell die Polizei vor der Tür.
Die Behörden rufen zweimal täglich an, um sicherzustellen, dass die
Personen tatsächlich bei ihrem Handy sind. Verstöße können teuer
werden: Die Geldstrafen reichen von 100.000 bis eine Million
Taiwan-Dollar (umgerechnet 3000 bis 30.000 Euro).
(vdv/dpa)
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Das Hashtag ist provokant. Die Ästhetik ist laut. Und der Diskurs dazu ist bereits losgetreten – vor allem in rechten Kreisen. Viele Medienhäuser halten sich bedeckt, berichten nicht, andere setzen auf reißerische Schlagzeilen.