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Hans-Georg Maaßen vom Verfassungsschutz zweifelt an Echtheit: Das Video aus Chemnitz im Faktencheck

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Der Zweifler vom Amt: Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesverfassungsschutzes, steht nach seinen Zweifeln an Mob-Übergriffen in Chemnitz heftig in der Kritik.Bild: imago stock&people
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Maaßen zweifelt an Echtheit: Das Video aus Chemnitz im Faktencheck

07.09.2018, 16:3707.09.2018, 19:26
lars wienand
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Ein im Internet veröffentlichtes Video soll zeigen, wie rechte Demonstranten in Chemnitz einen Mann attackieren und jagen. Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen hinterfragt die Echtheit und will anders als die Bundeskanzlerin nicht von "Hetzjagden" sprechen. Ein Faktencheck.

Worum geht es?

Maaßen, erschüttert die Glaubwürdigkeit eines Videos, das zentral ist in der Debatte, ob am 26. August in Chemnitz eine Hetzjagd auf Migranten stattgefunden hat oder nicht. In der "Bild"-Zeitung sagt Maaßen, dass nach seiner

"vorsichtigen Bewertung [...] gute Gründe dafür [sprechen], dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken.“ Maaßen zufolge gebe es keine Belege dafür, "dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist.“
Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, bild

Der Verfassungsschutz-Chef erklärt allerdings nicht, wer hinter einer möglichen Fälschung stecken könnte, er liefert auch keine Belege, warum er das Video für nicht authentisch hält. 

Das Video

Wo wurde das Video aufgenommen? Der Ort, an dem das Video gedreht wurde, lässt sich auf den Meter genau bestimmen: auf der Bahnhofstraße unweit des Johannisplatzes, auf dem es auch zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Die Stelle liegt etwa 150 Meter entfernt von der Route, die der Großteil des Mobs genommen hat. Daran gibt es keine Zweifel. Eindeutige Hinweise liefern eine Kirche, weitere Gebäude, die Straße mitsamt Schäden im Fahrbahnbelag.

Der Ort in Chemnitz

Bild

An welchem Tag wurde das Video aufgenommen? Das Video wurde am 26. August um 20.56 Uhr veröffentlicht und soll eine Szene vom gleichen Tag zeigen. An diesem Tag war bekannt geworden, dass Daniel H. in der Nacht erstochen wurde und zwei Begleiter verletzt wurden. Anschließend an eine AfD-Demo am Nachmittag ist nach dem Aufruf einer Hooligan-Gruppe eine mehrere Hundert Menschen große Menschengruppe durch die Stadt gezogen. In sozialen Netzwerken gab es mehrere Berichte über Jagd auf Menschen. Die ersten Schilderungen gab es um kurz nach 17 Uhr von dem Journalisten Johannes Grunert.

Wurde das Video tatsächlich an diesem Tag aufgenommen? Die Indizien sprechen zwar dafür. Aber positiv beweisen lässt sich das bisher nicht. Es gibt andere Videos vom 26. August, die zum Vergleich dienen können, auf denen auch die gleichen Personen zu sehen sind. Das Wetter der kurzen Verfolgungsszene entspricht dem Wetter des 26. Augusts. Es ist in Richtung Süden gefilmt, andere Videos in andere Himmelsrichtungen, deshalb lassen sich die Wolken nicht vergleichen.

Wer hat das Video aufgenommen? Das Video hat ein Twitter-Account mit dem Namen "Antifa Zeckenbiss" verbreitet. Die Bilder hat auch die Tagesschau gezeigt. Wer hinter dem Account steckt, ist unklar. Er existiert seit Februar, er veröffentlicht regelmäßig Beobachtungen zur rechtsextremen Szene, Pegida und zur AfD.

Beiträge von dort werden in Screenshots dokumentiert – dazu werden Videos und Bilder verbreitet, die zumindest zum Teil von den rechten Accounts stammen. Die Originalquelle des Chemnitz-Videos ist unbekannt. Der Account ist mit ähnlichen Beobachter-Accounts vernetzt – in dieser Szene ist die Person dahinter nach Informationen von t-online.de einigen persönlich bekannt.

Wer wird auf dem Video verfolgt? In dem Video sieht man, wie ein Mann auf einen anderen zurennt und dieser Mann wegrennt. Das Portal ze.tt von Zeit online hat den Mann ausfindig gemacht und mit ihm gesprochen, als er bei der Polizei Chemnitz war, um Anzeige zu erstatten. ze.tt zufolge heißt er Alihassan Sarfaraz und ist 22 Jahre alt.

Sarfaraz berichtete, dass er vor einem Mann in Schwarz über die mehrspurige Straße gerannt sei, bis der aufgegeben habe. Ihm zufolge hatte kurz zuvor ein im Video zu sehender Mann in Blau mit einer Bierflasche nach ihm geschlagen, als er den heranziehenden Pulk filmte. Als seine Freundin protestierte, sei sie von dem Mann in Schwarz ins Gesicht geschlagen worden. Kurz darauf sei es zu der Szene im Video gekommen.

Wurden an dem Tag noch weitere Migranten verfolgt? Die Chemnitzer Polizeipräsidentin Sonja Penzel hatte am Montag in einer Pressekonferenz (Video) bestätigt, dass wegen des Übergriffs auf einen Afghanen und seine deutsche Freundin ermittelt wird. Zu diesem Zeitpunkt gab es auch im Zusammenhang mit dem Mob die Anzeige eines 18-jährigen Syrers, der geschlagen wurde sowie eines Bulgaren, der bedroht wurde. Sie kündigte konsequente Ermittlungen weiterer Vorkommnisse an, etwa bei dem Vorgang, "bei dem ein Mann in der Bahnhofstraße von einem anderen Mann regelrecht verfolgt wird". Polizei und Innenministerium in Sachsen sehen sich nicht in der Lage, weitere Informationen zu dem Geschehen am 26. zu geben. Begründung: "Im Sinne einer realistischen Berichterstattung müssen wir die Abschlussberichte abwarten."

Gibt es noch weitere Bilder oder Videos, die Übergriffe belegen? Auf der anderen Straßenseite ist ein anderes Video entstanden, das Personen zeigt, die auch in dem Video von "Antifa Zeckenbiss" zu sehen sind. Sie laufen auf Höhe der Stelle der kurzen Verfolgungsjagd nicht in Richtung Innenstadt, sondern in die entgegengesetzte Richtung auf den Parkplatz Johanniskirche.

Sehr starke Ähnlichkeit: Der Mann im Video, dessen Echtheit Maaßen anzweifelt (links) und in einem anderen Video, das nach dem Geschehen vom 26. gepostet wurde.
Sehr starke Ähnlichkeit: Der Mann im Video, dessen Echtheit Maaßen anzweifelt (links) und in einem anderen Video, das nach dem Geschehen vom 26. gepostet wurde.screenshot

Extrem starke Ähnlichkeit mit einer Person in dem anderen Video hat ein Mann in einem türkisen Oberteil mit umgebundener Jacke und Sonnenbrille, der auf allen Bildern nichts Verbotenes tut. Auch dieses von einer anderen Person hochgeladene Video müsste wegen der Person demnach Teil einer Fälschung sein.

Nur 150 Meter von der Stelle der Szene im strittigen Clip ist ein anderes Video entstanden. Dort zieht der Pulk unter Rufen "Raus aus unserer Stadt" dorthin, wo das von Maaßen angezeifelte Video spielt. Plötzlich rennen einige los, andere bücken sich, als wollten sie etwas aufheben. Es ist aber nicht erkennbar, dass hier Menschen rennen, um andere zu verfolgen. Es ist auch nicht zu sehen, ob alle nach links abbiegen oder einige weitergehen. Dieses Video wurde von der rechten Initiative "Roßwein wehrt sich" verbreitet.

Der Journalist Johannes Grunert, der um 17.04 Uhr über Jagdszenen berichtet hatte, verbreitete später auch ein Video, das die Sozialarbeiterin Rola Saleh gedreht hatte. Sie hatte in den vorbeiziehenden Mob "Rassismus! Das ist Rassismus!" gerufen, bis nach ihren Angaben ein großer Mann sie schubste und sie zu schlagen begann, ehe ein Polizist einschritt.

Hinweis: Diese Videos beweisen nicht die Echtheit des strittigen Videos und sind keine Belege für eine Hetzjagd. Sie sind aber Belege für den Hass auf Migranten und die aufgeheizte Atmosphäre, ein Video zeigt mit großer Wahrscheinlichkeit Personen aus dem fraglichen Video.

Bilanz: Ist das Video eine Fälschung, so wie Maaßen es nahelegt?

Von ersten Berichten über die Übergriffe bis zur Veröffentlichung des Videos vergingen vier Stunden. Wenn das Video eine Fälschung sein sollte, hätten die Szenen innerhalb eines sehr engen Korridors gestellt worden sein müssen. Die einzige andere Möglichkeit wäre, dass das Video schon im Vorfeld produziert wurde. Beides ist schwer vorstellbar. Deshalb gibt es große Verwunderung, wieso Maaßen an der Echtheit zweifelt. Aus der Politik gibt es Forderungen, nun schnell Belege zu liefern. Eine Anfrage hat Maaßens Behörde bisher nicht beantwortet.

Der Artikel wurde aktualisiert, nachdem t-online.de den Hinweis von WDR-Reporter Tobbi Baum auf das Video von der anderen Straßenseite erhalten hat.

Dieser Text ist zuerst im Nachrichtenportal t-online.de erschienen.

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