Sie musste lange überlegen. Sie sprach mit ihren Teammitgliedern, recherchierte noch einmal – bevor sie mit watson in das Gespräch geht. Doch dann fiel ihr der eine Moment ein, bei dem ihr erst jetzt auffällt, wie sexistisch diese Äußerung tatsächlich war. Jessica Heller sagt, innerhalb ihres Wahlkampfes ist sie selten bis nie mit Sexismus konfrontiert.
Doch diese eine Situation gab es: Die CDU-Politikerin aus Leipzig erzählt davon, wie sie bei einer Wahlkampf-Veranstaltung angesprochen wurde. "Da kam ein Mann auf mich zu, den ich zumindest vom Aussehen her als eher alternativ bis politisch links eingeschätzt hätte." Und sie findet es interessant, dass sie gerade von der vermeintlich "woken" Bubble angegangen wurde. Woke ist ein englischer Ausdruck, der ein Bewusstsein für etwa mangelnde soziale Gerechtigkeit oder auch Rassismus beschreibt.
Heller erzählt, dass einige Stadtteile ihres Wahlkreises im Leipziger Süden, eher links gerichtet seien. "Der Mann sagte zu mir, die CDU habe mich strategisch aufgestellt, weil ich eine Frau bin – um so die Chancen für ein Direktmandat zu erhöhen."
Sie sei mit dem Mann ins Gespräch gekommen, habe ihm erklärt, dass sie sich ganz normal, ganz demokratisch gegen einen Mitbewerber durchgesetzt habe. "Daraufhin meinte er, na ja, dann hätte ich ja aber sicherlich Hilfe von weiter oben gehabt, also von Funktionsträgern im Parteivorstand." Was der Mann allerdings nicht wusste: Hellers Gegner war Thomas Feist, der Kreisvorsitzende der des Leipziger Verbands und ehemaliger Bundestagsabgeordneter.
"Ich finde es spannend, dass jemand, der sich Sexismus selbst definitiv nicht attestieren würde, unbewusst trotzdem diese Denkweise hat", sagt die 31-Jährige. "Das ist einfach degradierend. Auch in der alternativen Szene wird zum Teil nur das Geschlecht gesehen. Wenn aus der linken Szene regelmäßig Sexismusvorwürfe gegen Konservative kommen, kann man doch mehr Sensibilität im eigenen Umgang erwarten."
Auch von Frauen bekomme sie manchmal Fragen gestellt, die sie teilweise zwar verstehen kann, aber trotzdem zum Nachdenken bringen. Heller ist schwanger. "Aktuell werde ich vor allem von Frauen auf die Schwangerschaft angesprochen und gefragt, wie gut sich die Arbeit im Bundestag mit dem Familienleben vereinbaren lassen."
Berechtigt findet sich die Frage irgendwie ja schon, sagt sie. Auch wenn sie selbst weiß, dass sie das schaffen wird und sie diese Stigmatisierung von Frauen in der Mutterrolle ablehnt. "Ich verstehe, dass die Bürger wissen wollen, wie lange diejenige, die sie vielleicht wählen, vielleicht ausfallen könnte. Das ist kein Sexismus, aber es zeigt auf, wo wir Hürden abbauen müssen."
Männer würden sich im Übrigen gar nicht trauen, ihre Schwangerschaft überhaupt nur anzusprechen. "Sie trauen sich oft nicht einmal, mir zu gratulieren, aus Angst, etwas Falsches zu sagen und in die Sexismusfalle zu tappen. Das ist schade und unnötig."
Heller kommt beruflich ursprünglich aus der Pflege. Und in diesem Bereich, sagt sie, hat sie deutlich mehr Sexismus-Erfahrungen gemacht als in der Politik. "In meiner Partei gibt es sehr viele Männer, die mich unterstützen und mir zusprechen." Sie spricht von dem "alten, weißen Männer-Bild der CDU", als wäre es eine altbekannte Legende. Sie möchte mit diesem Bild abschließen. "Bei uns gibt es viele engagierte Frauen und mehr werden es nur, wenn die CDU nicht länger als Männerpartei wahrgenommen wird."
Im Bundestag will sich Heller für Frauenförderung starkmachen. Aber auch für die Förderung von Männern in sozialen Berufen, "ohne die keine Gleichbehandlung der Geschlechter gelingen kann".
"Mittlerweile gibt es mehr Ärztinnen als Ärzte", sagt Heller. "Aber trotzdem wird die Frau im weißen Kittel oft als 'Schwester' angesprochen und der Praktikant als 'Herr Doktor'." Das ändere sich nur, wenn es normalisiert werde, dass Männer in sozialen Berufen tätig sind. Sie will das nicht durch Quoten regeln. Sondern durch Vorbilder.
Heller ist noch immer Mitglied der Jungen Union, der Jugendorganisation der CDU. Sie sagt, bundesweit habe die Organisation bei Veranstaltungen immer Vertrauenspersonen dabei. Menschen, die man ansprechen könne, wenn man in unangenehme Situationen gerate. "Außerdem gibt es ein Patenprogramm für Neumitglieder. Diese Paten fungieren auch als vertraulicher Ansprechpartner."
Nachdem Heller das Gespräch mit watson geführt hatte, meldet sich eine Sprecherin der CDU-Politikerin bei der Redaktion. Sie schreibt: "Im Interview hatte Frau Heller angegeben, noch keinen Sexismus auf Ihren Social Media Kanälen erlebt zu haben, das hat sich leider geändert." Die Sprecherin schickt Screenshots der Beleidigungen auf Facebook, in denen eine Frau die Figur und den Beruf der Bundestagskandidatin sexistisch kommentiert.