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Nach Tat von Idar-Oberstein: Lars Klingbeil (SPD) fordert Vorgehen gegen "Querdenker"

Blumen, Kerzen und Botschaften an das Opfer liegen an einer Tankstelle in der Innenstadt. Ein Angestellter der Tankstelle war am Samstagabend von einem mit einer Pistole bewaffneten Mann erschossen wo ...
Nach der Tötung eines 20-Jährigens in Idar-Oberstein herrschen Trauer und Bestürzung. Bild: dpa / Thomas Frey
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"Niemand darf so etwas verharmlosen": SPD-Generalsekretär Klingbeil fordert nach Tat von Idar-Oberstein Vorgehen gegen "Querdenker"

21.09.2021, 15:1822.09.2021, 09:49
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Nachdem ein Mann im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein einen 20-jährigen Tankstellen-Kassierer getötet hat, fordern Politiker der größten Parteien eine Reaktion auf die Radikalisierung in Teilen der "Querdenker"-Bewegung.

Weil er ihn auf die Maskenpflicht hingewiesen habe, soll ein 49-Jähriger den jungen Kassierer am Samstagabend an einer Tankstelle erschossen haben. Davon gehen die Ermittler nach der Tat aus. Der Deutsche habe gestanden, so die Polizei. Er sitzt in Untersuchungshaft. Er sagte demnach aus, dass er die Corona-Maßnahmen ablehne. Zum Motiv habe er angegeben, dass ihn die Situation der Corona-Pandemie stark belaste.

Klingbeil warnt vor "brandgefährlicher Mischung aus Querdenkern, Reichsbürgern und Rechtsextremen"

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil forderte gegenüber watson als Reaktion auf die Tat, die Entwicklung in der "Querdenker"-Szene nicht herunterzuspielen.

Wörtlich meinte Klingbeil:

"Diese Tat ist grausam und erschüttert mich sehr. Sie ist ein Zeichen dafür, dass sich die Szene der Corona-Leugner radikalisiert. Diese Leute bedrohen den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Es tut sich da eine brandgefährliche Mischung aus Querdenkern, Reichsbürgern und Rechtsextremen zusammen. Dem müssen wir uns entschieden entgegenstellen. Niemand darf so etwas verharmlosen."
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SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Bild: www.imago-images.de / Thomas Trutschel/photothek.de

Sein Parteifreund Fritz Felgentreu, der in der zu Ende gehenden Wahlperiode als Bundestagsabgeordneter im Untersuchungsausschuss zum Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz saß, sieht in der Tat ein "ernst zu nehmendes Alarmzeichen".

Felgentreu erklärt gegenüber watson:

"Mir scheint es sehr wichtig zu sein, dass im Rahmen der Prävention die Verbreitung von Verschwörungstheorien in sozialen Medien genau beobachtet und analysiert wird, um mit gezielter Aufklärung dagegen anzugehen."

FDP-Politiker Benjamin Strasser war im Breitscheidplatz-Untersuchungsausschuss Obmann seiner Fraktion. Gegenübre watson meinte Strasser, seine Partei warne seit längerer Zeit davor, dass sich die Anhänger der Querdenken-Bewegung in einer "Radikalisierungsspirale" befänden. Der Mord in Idar-Oberstein sei ein"ein schrecklicher Höhepunkt dieser Entwicklung.

Strasser fordert weitere Schritte bei den Sicherheitsbehörden:

"Menschen wie der Tankstellenmörder müssen frühzeitig auf das Radar der Sicherheitsbehörden. Der Verfassungsschutz hat im vergangenen Jahr reagiert und beobachtet extremistische Personen innerhalb der Querdenker-Bewegung. Das kann allerdings nur ein erster Schritt sein. Ziel der kommenden Bundesregierung muss es sein, nicht nur Stellen auf dem Papier zu schaffen, sondern auch tatsächlich zeitnah mit Expertinnen und Experten zu besetzen."

Auch die Grünenpolitikerin Irene Mihalic, die ebenfalls Mitglied des Untersuchungsausschusses war, ist der Meinung, dass sich die Sicherheitsbehörden intensiver mit der Radikalisierung der Querdenkerszene beschäftigen müssten. Außerdem müsse geklärt werden, wie der Täter ohne Waffenerlaubnis an die Waffen gekommen sei.

Gegenüber watson erklärt Mihalic:

"Die Sicherheitsbehörden müssen sich intensiver mit der Radikalisierung und Gewaltbereitschaft dieser Milieus befassen, denn spätestens mit der Tat in Idar-Oberstein zeigt sich die massive Gefahr, die davon ausgeht."

Für die Linken-Innenpolitikerin Martina Renner hat sich die Entwicklung der sogenannten Corona-Leugner weg von Verschwörungstheorien und hin zu blanken Antisemitismus, Menschenfeindlichkeit und Gewalt schon länger abgezeichnet.

Renner meint zu watson:

"Sie (die sogenannten Corona-Leugner) wähnen sich im vermeintlichen Freiheitskampf und bereiten sich auf den angeblichen Tag X vor, an welchem sie mit ihren Gegnern abrechnen wollen. Es ist überfällig, dass diese Gefahr nicht länger als 'demokratiedelegitimierend' verharmlost wird. Was sich hier Bahn bricht, ist eine unmittelbare Folge der Agitation von AfD bis Querdenken über den Kampf gegen eine angebliche Diktatur und die Abrechnung mit als Feinde markierten Menschen, wie auch die Kommentare in einschlägigen Chatgruppen belegen."

Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock reagierte erschüttert auf den tödlichen Angriff. "Die Radikalisierung des Querdenkermilieus bereitet mir große Sorgen", schrieb Baerbock am Dienstag auf Twitter. "Wir sind alle gefordert, uns gegen den zunehmenden Hass zu stellen."

Ähnlich wie Baerbock reagierte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. "Ein junger Mensch wird nahezu hingerichtet, weil er auf die Maskenpflicht hinweist", schrieb Ziemiak auf Twitter und sprach von einem "unfassbaren Maß an Radikalisierung".

Täter von Idar-Oberstein soll Waffen nicht legal besessen haben

Die Ermittlungen zu der Tötung gehen indes weiter. Sie werden laut Staatsanwaltschaft noch einige Wochen dauern. "Wir müssen uns jetzt erstmal selbst ein klares Bild machen", sagte Oberstaatsanwalt Kai Fuhrmann am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur in Mainz.

In dieser Zeit wolle die Behörde keine "Wasserstandsmeldungen" über den Ermittlungsstand abgeben. "Die Feinarbeit der Ermittlungen geht jetzt erst so richtig los." Mehr Klarheit erhoffen sich die Ermittler vor allem von der Auswertung der sichergestellten elektronischen Geräte des 49 Jahre alten Mannes. Zu dessen Lebenssituation wollte Fuhrmann während der laufenden Ermittlungen noch keine Angaben machen. Der Mann sei noch nie irgendwo bei der Polizei aufgefallen, auch nicht als Teilnehmer einer Demonstration. "Die Waffen hat er nicht legal besessen." Woher sie stammten, sei noch völlig unklar.

Der 49-Jährige soll dem 20 Jahre alten Verkäufer am Samstagabend in den Kopf geschossen haben, nachdem dieser ihn beim Bierkauf zweimal auf die Maskenpflicht hingewiesen hatte. Er sitzt wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft. Es gebe keine Hinweise darauf, dass sich Täter und Opfer gekannt hätten.

Der Deutsche aus Idar-Oberstein habe die Tat gestanden. Er sagte aus, dass er die Corona-Maßnahmen ablehne. Zum Motiv habe er angegeben, dass ihn die Situation der Corona-Pandemie stark belaste, hatte Fuhrmann gesagt. Er habe sich in die Ecke gedrängt gefühlt und "keinen anderen Ausweg gesehen", als ein Zeichen zu setzen. Das Opfer schien ihm dabei "verantwortlich für die Gesamtsituation, da es die Regeln durchgesetzt habe", sagte Fuhrmann.

Antisemitismus-Beauftragter Blume: "Ich werte den schrecklichen Mord klar als Terroranschlag"

Michael Blume, Beauftragter gegen Antisemitismus des Landes Baden-Württemberg, der seit Jahren zu Verschwörungsideologen wie den "Querdenkern" forscht, warnt seit Monaten vor einer Radikalisierung der "Querdenker"-Szene.

Wörtlich sagt Blume gegenüber watson:

"Ich werte den schrecklichen Mord von Idar-Oberstein daher auch klar als Terroranschlag. Und ich bin entsetzt, dass wir bereits menschenverachtenden Jubel und Zustimmung dazu in Telegram-Gruppen aus dem Querdenken-Umfeld lesen müssen.“

Blume stellt klar:

"Wer die Ängste vor Impfungen und Verschwörungsmythen der Menschen in einer Pandemie medial und digital verstärkt, gefährdet Menschenleben. Betrug, Lügen und Radikalisierung in Querdenken- und QAnon-Gruppen müssen endlich gestoppt werden!"

Nach von "Querdenkern" mitorganisierten Demos gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin Anfang August hatte Blume gegenüber watson gesagt:

"Ich glaube leider, dass in den nächsten Jahren die Radikalisierung weitergeht. Dass wir Gewalt und möglicherweise auch Terror erleben werden."
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Michael Blume, Beauftragter gegen Antisemitismus des Landes Baden-Württemberg.Bild: dpa / Marijan Murat

Die Psychologin und Verschwörungsexpertin Pia Lamberty hat eine klare Forderung. „Es gibt ein generelles Problem: Es gibt keine systematische Erfassung von Gewalttaten, die mit der Pandemie in Zusammenhang stehen“, sagt sie auf Anfrage von watson.

Dabei gebe es viele entsprechende Fälle, gerade in Bezug auf die Maskenpflicht. „Die Polizei erfasst solche Taten und könnte sie auch auswerten. Auch das Innenministerium ist hier in der Pflicht. Nur so ist eine vernünftige Analyse möglich.“

Das Querdenker-Milieu sei trotz verschiedener Lockerungen in der Pandemie weiterhin sehr aggressiv. Auswirkungen habe dies vor allem auf das Demonstrationsgeschehen. „Auch als Querdenker fliegt man mittlerweile vielleicht lieber in den Urlaub oder sitzt im Biergarten, statt nach Berlin auf eine Demonstration zu fahren.“ Das heiße jedoch nicht, dass die Gefahr nun gebannt sei, sagt Lamberty. „Die Gewalt wird nun eher außerhalb von Demonstrationen stattfinden.“

(mit Material von dpa)

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