Insgesamt 18 Verbände haben einen Appell unterzeichnet, die Schuldenbremse zu reformieren.Bild: imago images / epd/ Christian Ditsch
Deutschland
Deutschland ist in der Krise: Klima, Wirtschaft, Wohnungsmarkt, Gesundheitsversorgung, Infrastruktur und Bildungssystem – alles droht zu kollabieren. So zumindest ist der Eindruck, den Stefanie Langkamp, Stefan Körzell, Carla Reemtsma und Michael Groß haben.
Und nicht nur sie, die vier sitzen als Stellvertreter:innen eines breiten Bündnisses in der Bundespressekonferenz und argumentieren ihre Vision einer neuen Haushaltspolitik. Dem Bündnis gehören etwa die Klima-Allianz, DGB, Fridays for Future, die AWO oder auch der Deutsche Mieterbund und der BUND an. Insgesamt haben 18 Verbände einen gemeinsamen Appell unterzeichnet.
Wichtig ist den Akteur:innen: So wie es ist, kann es nicht bleiben. Die Schuldenbremse ist für sie ein Instrument, das die sich überlagernden Krisen aktuell weiter verschärft.
"Wir befinden uns in einer wirtschaftlichen Schwächephase, da sind Sparpolitik und das sture Festhalten an der Schuldenbremse das falsche Rezept", macht Körzell deutlich. Er ist Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund. "Der Staat ist der Verursacher und nicht Problemlöser", fügt er an. Verständnis für die aktuelle Haushalts-Sparpolitik hat an diesem Donnerstagmorgen keiner der Gäste auf dem Plenum. Sie wollen eine Reform der Schuldenbremse und ein Sondervermögen für Klima und Transformation.
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"Es braucht eine gigantische Investition des Staates", sagt Fridays-for-Future-Sprecherin Carla Reemtsma. Generationengerechtigkeit bedeute nicht nur, dass keine neuen Schulden gemacht werden, macht sie deutlich. Viel mehr sei es notwendig ins Handeln zu kommen – damit überhaupt noch eine Zukunft da ist für junge Menschen. Aus ihrer Sicht braucht es:
- Konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien
- Zuverlässige Busse und Bahnen
- Klimaneutraler Umbau der Industrie
Klima und Transformation sollen neben Schuldenbremse laufen
Sie wirbt, wie ihre Mitstreiter:innen dafür, dass die Schuldenbremse reformiert werden muss. Ihr Sitznachbar Michael Groß, Vorsitzender des Präsidiums des AWO-Bundesverbands, spricht in diesem Zusammenhang von "Brückenlösungen", um jährliche Haushaltssicherheit herzustellen.
Auf watson-Nachfrage, was genau mit "Brückenlösungen" gemeint ist, und wie die Reform aussehen sollte, antwortet Groß: Die Regierung müsse im jetzigen Etat dafür sorgen, dass diese Forderungen nach genügend Finanzierungen für die Infrastruktur, für den Klimaschutz und für die soziale Sicherung außerhalb der Schuldenbremse vorgenommen werden. Letztlich brauche es eine Entscheidung wie in der Coronazeit: "Wir sind in einer besonderen Situation." Es gehe nun darum, das Land zukunftsfähig zu machen.
Was dem AWO-Chef zudem wichtig ist: Bei dem Prozess müssen auch jene mitgenommen werden, die "andere Alltagssorgen haben, als die ökologische Transformation". Groß fügt an: "Es gibt Expertinnen und Experten, die sagen, wir werden diese Transformation nur schaffen, wenn wir Armut und Ungleichheit bekämpfen." So bekäme jede:r die Möglichkeit, die ökologische Transformation auch umzusetzen.
Michael Groß, Stefanie Langkamp, Carla Reemtsma und Stefan Körzell haben sich stellvertretend für das Bündnis den Fragen der Journalist:innen gestellt.Bild: imago images / photothek/ Janine Schmitz
Diese "Brückenlösung" solle aber nur eine Übergangszeit darstellen. In Zukunft müsse ausgehandelt werden, wie sich ein ökologischer Sozialstaat finanzieren lässt. Stefanie Langkamp, Geschäftsleiterin bei der Klima-Allianz Deutschland stellt in Sachen Schuldenbremsen-Reform klar: "Es gibt viele Vorschläge, Investitionen von der Schuldenbremse auszunehmen. Das ist sicherlich der richtige Weg nach vorne."
Bündnis will Druck bis zur Bundestagswahl aufbauen
Das Ziel des Bündnisses: Bis zur Bundestagswahl so viel Druck aufbauen, dass die Politik handeln muss. Langkamp adressiert schon jetzt direkt die Union. Auch in den Reihen der Christdemokrat:innen müsste sich die Einstellung zur Schuldenbremse verändern, ebenso bei der FDP. Dass die ersten CDU-Ministerpräsidenten sich positiv zu einer Reform des Staatsfinanz-Instrumentes äußern, ist aus Sicht der Bündnis-Vertreter:innen ein gutes Zeichen.
Sie machen auch deutlich: In den Ländern ist die Lage noch angespannter als im Bund. So zeigte sich etwa Hessens Ministerpräsident Boris Rhein offen für die Diskussion über eine Reform der im Grundgesetz verankerten Bremse.
Den Bündnis-Vertreter:innen ist klar, dass sie auch die Bevölkerung mitnehmen müssen, auf ihren Weg zur Reform. Auch hier sind sie aber guter Dinge. Der Streit um den Haushalt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im vergangenen Jahr habe gezeigt, dass die Bevölkerung wegwill vom Sparkurs, meint Reemtsma.
Zur Erinnerung: Nachdem Karlsruhe die Umwidmung von Corona-Hilfen in den Klima- und Transformationsfonds (KTM) als verfassungswidrig erklärt hat, stand die Ampel vor einem Milliarden-tiefen Haushaltsloch. Gefolgt sind etliche Sparmaßnahmen, die zwischenzeitlich gerade im sozialen Bereich greifen sollten. Auch die E-Auto-Förderung ist etwa davon betroffen.
Weil der Investitionsstau bereits so groß ist, meint Körzell vom DGB, könnten die Löcher nun ohnehin nicht aus dem Haushalt gestopft werden. Deswegen die Forderung nach dem neuen Sondervermögen. Wichtig sei in diesem Zusammenhang auch, dass es Planungssicherheit für bewilligte Projekte gebe und Mittel schnell abgerufen werden könnten – bislang seien die Stellschrauben für die Förderung nämlich zu eng angedreht worden. Heißt: Das Geld des KTM konnte nicht in vollem Umfang zeitnah abgerufen werden.
Sparpotenzial in der gesamtgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformation sehen die Akteur:innen nicht. Vielmehr könnten sie sich nach wie vor vorstellen, bestehende klimaschädliche Subventionen zugunsten des Umbaus zu streichen. Und auch die Frage nach Besteuerung von Vermögen kommt in diesem Zusammenhang auf. Groß sagt dazu:
"Ich zitiere Marcel Fratzscher, der sagt, wir können 100 Milliarden locker einnehmen, wenn wir dieselbe Belastung für höchst Vermögende in Deutschland einführen würden wie in Frankreich, England und USA."
Die Zeit, das macht das Bündnis deutlich, wird eng. Schon jetzt sei mit einem wirtschaftlichen Abschwung zu rechnen. Hinzu käme, dass Fachkräfte nach wie vor rar seien und die Wohnsituation in den Städten diese Situation weiter verschärfe.
Nach dem Ampel-Aus war abzusehen, dass die Rot-Grüne Minderheitsregierung ohne ihren Ex-Partner FDP nicht mehr viele Projekte im Bundestag umsetzen kann. Denn auch die Union zeigte bei den meisten Themen wenig Interesse an einer Zusammenarbeit.