Seit 2005 gibt es Hartz IV. Die Devise der umstrittenen Maßnahme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Deutschland lautet: Fördern und Fordern. Dazu gehört auch, dass Hartz-IV-Bezieher sogenannte "Bildungsmaßnahmen" absolvieren, um weiterhin ihre vollen Hartz-IV-Sätze zu beziehen.
Mit den Bildungsmaßnahmen lässt sich in Deutschland gutes Geld verdienen: Pro Teilnehmer erhält ein Anbieter von Bildungsmaßnahmen rund 1900 Euro, heißt es in der ZDF-Sendung. Doch es ist fraglich, ob diese Maßnahmen den Betroffenen bei der Jobsuche überhaupt helfen können.
Nicht nur Arbeitslose, auch der Bundesrechnungshof sieht die Kurse kritisch. 2017 stellte die Behörde fest, dass die Hartz-IV-Maßnahmen in vielen Fällen den Arbeitslosen nicht geholfen – sondern ihnen bei ihrer Jobsuche sogar im Weg gestanden hätten.
Dennoch boomt der Markt: Im selben Jahr erreichte die Anzahl der Maßnahmen mit 700.000 ihren Höchststand.
Professor Stefan Sell von der Hochschule Remagen warnt in der ZDF-Sendung: "Die Zahl der schwarzen Schafe unter den Anbietern hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen." Der Grund: Die Bildungsmaßnahmen der günstigsten Anbieter sei oft qualitativ schlecht, aber aufgrund der Preise bei den Jobcentern eben besonders beliebt.
Im ZDF berichtet die Hartz-IV-Empfängerin Susanne Zechmeister von einer solchen Maßnahme: Einfachste Matheaufgaben hätte sie lösen müssen: "Als ob ich im Kindergarten angefangen hätte." Später sollte sie Mandalas ausmalen und basteln. Die Erklärung des Unternehmens: Sinn der Maßnahmen sei es gewesen, "die Feinmotorik, Konzentration und Sorgfalt der Frauen und Männer zu ermitteln".
Die Vorwürfe von Zechmeister sind kein Einzelfall. Anfang des Jahres ging der Tweet einer Nutzerin viral, die sich über die Maßnahmen des Jobcenters für ihre Mutter beschwerte. Auf einem Foto waren einfachste Rätselaufgaben zu sehen.
Eine Sprecherin der Arbeitsagentur bestätigte später dem "Stern" die Echtheit des Blatts: "Es stimmt, dass dieses Arbeitspapier bei einem Maßnahmeträger in Niedersachsen ausgehändigt wurde", sagt dieser. "Es stimmt auch, dass das Papier sonst an Grundschulen zum Einsatz kommt."
In Deutschland kämpfen rund 8000 Anbieter um die Vergabe der Bildungsmaßnahmen – in der Branche herrscht ein hoher Preisdruck. Und auch die Jobcenter-Mitarbeiter haben zu kämpfen: In der ZDF-Sendung ist zu sehen, wie Mitarbeiter unter Druck gesetzt werden, die von den Agenturen gebuchten Kurse mit Arbeitslosen zu füllen. Ob die Maßnahmen für die Betroffenen geeignet sind, scheint dabei in den Hintergrund zu rücken.
Wolfgang Meyer arbeitete früher in einem Jobcenter. Er kündigte, als er in ein Team versetzt wurde, in dem er neue Arbeitslose in Bewerbungskurse bringen sollte. Ganz egal, ob diese Kurse für die Arbeitslosen überhaupt geeignet sind.
Meyers Erklärung für das Vorgehen der Jobcenter: "Jeder Maßnahmen-Teilnehmer erscheint nicht in der Arbeitslosenstatistik – und das sind viele Menschen." Auch Meyer und seine Mitarbeiter seien unter Druck gesetzt worden, behauptet der frühere Jobcenter-Mitarbeiter: "Da kursiert die Angst, wir machen, was man von uns verlangt. Egal, wie sinnhaftig das Ganze ist."
Meyers früherer Arbeitgeber, das Jobcenter Bremen, wehrt sich. Im ZDF meint die Geschäftsführerin der Behörde, Susanne Ahlers: Die von Meyer geschilderten Vorgaben seien "nicht zielführend", die Behörde wolle einfach das ihr zur Verfügung gestellte Budget ausschöpfen.
Helfen die Bildungsmaßnahmen den Hartz-IV-Beziehern überhaupt? Bei westdeutschen Arbeitslosen, die an einer Bildungsmaßnahme für ein Jahr teilnahmen, sank laut dem eigenen Forschungsinstitut der Arbeitsagentur die Wahrscheinlichkeit, weiterhin Hartz IV zu beziehen, um lediglich 0,5 Prozent. Bei ostdeutschen Arbeitslosen fiel die Bilanz noch schlechter aus: Dort haben die Maßnahmen gar keine Wirkung hinterlassen.
Die Bundesregierung will nachbessern – im Gespräch mit dem ZDF konnte die zuständige Staatssekretärin Leonie Gebers aber nicht sagen, wie genau das Arbeitsministerium das anstellen möchte.
(pb)