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Regierungsbefragung im Bundestag: Olaf Scholz gibt den unterkühlten Kümmerer

Olaf Scholz SPD, Bundeskanzler, aufgenommen im Rahmen einer Regierungsbefragung im Deutschen Bundestag in Berlin, 06.04.2022. Berlin Deutschland *** Olaf Scholz SPD , German Chancellor, taken during a ...
Olaf Scholz bei der Regierungsbefragung im Bundestag.Bild: imago images / imago images
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Kanzler Scholz gibt den unterkühlten Kümmerer in schrecklichen Tagen

Der Kanzler versucht den Menschen in Deutschland den Eindruck zu vermitteln, dass er die Lage im Griff hat. Aber bei einem entscheidenden Punkt bleibt er ungenau.
06.04.2022, 18:5808.06.2022, 17:20
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Die AfD hat Olaf Scholz gelobt.

Zumindest sagt der Bundeskanzler das so, in einer seiner ersten Antworten während der Regierungsbefragung am Mittwoch im Bundestag. Es ist eine von voraussichtlich drei dieser Veranstaltungen in diesem Jahr, bei denen sich Scholz den Abgeordneten aller Fraktionen stellen muss. Erst seit 2019 stehen Bundeskanzlerin oder Bundeskanzler persönlich dem Parlament Rede und Antwort.

Scholz blickt jetzt, an diesem düsteren Apriltag im zweiten Monat des russischen Kriegs gegen die Ukraine, den AfD-Abgeordneten Leif-Erik Holm an. Holm hat gerade gegen die Bundesregierung gewettert, die aus seiner Sicht nichts tue, um den Menschen in Deutschland zu helfen, die hart getroffen würden durch die hohe Teuerungsrate. Scholz sagt Holm aber: "Vielen Dank für die Frage. Sie ermöglicht mir, das Lob, das sie in ihrer Frage untergebracht haben, zu bestärken."

Es ist eine Szene, die beispielhaft für die Rolle steht, die der SPD-Kanzler an diesem Tag im Bundestag einnimmt: Olaf Scholz gibt den unterkühlten Kümmerer in Tagen der Angst. Tage, in denen die Menschen auf der ganzen Welt die Bilder ermordeter Zivilisten, gefolterter Kinder, vergewaltigter Frauen in der Ukraine sehen. Tage, in denen die Preise für Gas und Lebensmittel in Deutschland so weit nach oben schießen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Tage, in denen in anderen Regionen der Welt eine Hungerkatastrophe auf Millionen Menschen zuzurollen droht.

Scholz gibt den unterkühlten Kümmerer, indem er an diesem frühen Nachmittag zum einen betont ruhig spricht. So ruhig, dass manche seiner Sätze am Ende fast in Flüstern ausfransen.

Zum anderen sagt er in diesem Tonfall deutlichere Worte, als oft in der Vergangenheit. Scholz werfen Oppositionspolitikerinnen wie Journalisten ja seit Monaten vor, dass er Fragen ausweiche, dass er sich um deutliche Aussagen drücke.

Scholz spricht von "Massaker" und "Kriegsverbrechen", als es um Butscha geht

Diesmal sagt der SPD-Kanzler in seinem Eingangsstatement unter anderem das: Die Gräueltaten, die allem Anschein nach russische Truppen auf dem Rückzug in der ukrainischen Stadt Butscha angerichtet haben, seien ein "Massaker", das russische Truppen auf dem Rückzug angerichtet hätten. Und: "Die Ermordung von Zivilisten ist ein Kriegsverbrechen."

Scholz fordert den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf, den "zerstörerischen und selbstzerstörerischen Krieg" zu beenden. Bis dahin werde Deutschland alles daran setzen, die Ukraine zu unterstützen, in Abstimmung mit den Partnerstaaten in EU und NATO.

Scholz sagt:

"Es muss unser Ziel sein, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnt."

Scholz versichert aber auch, seine Regierung werde mit allen Entscheidungen dafür sorgen, dass die NATO-Staaten "keine Kriegspartei" werden. Er sagt später, auf eine Frage der Grünen-Abgeordneten und früheren Verbraucherschutzministerin Renate Künast: "Wir können in Europa sicher Versorgungssicherheit gewährleisten." Und Scholz verspricht, man werde angesichts des Kriegs und der Abhängigkeit Deutschlands von Öl, Gas und Kohle aus Russland den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen.

Es sind Worte, die den Menschen in Deutschland wohl den Eindruck vermitteln sollen: Euer Kanzler hat die Lage im Griff.

Die Unionsfraktion will von Scholz dann aber auch klare Worte dazu hören, was denn nun zu halten sei von Berichten, dass die deutschen Waffenlieferungen in die Ukraine viel zu schleppend vorangingen. Alle drei konservativen Abgeordneten, die Scholz heute befragen, bohren zu diesem Thema nach: CDU-Verteidigungspolitiker Johann Wadephul, sein CSU-Kollege Florian Hahn und Jürgen Hardt, der außenpolitische Sprecher der Fraktion.

Scholz ist bei den Antworten darauf weniger klar, spielt die Rolle des Kümmerers viel weniger gut.

Es wirkt zuerst ein bisschen selbstherrlich, was der Kanzler sagt: Die Bundesregierung unter ihm sie die erste, die Waffen in Krisengebiete liefere. Als sei das in erster Linie ein Verdienst, das Scholz sich persönlich erarbeitet hätte – und nicht eine Reaktion auf den Schock des russischen Angriffs gegen die gesamte Ukraine. Obendrein stimmt diese Aussage Scholz' nicht ganz. Schon 2014 lieferte Deutschland Waffen an eine Kriegspartei: die kurdischen Kämpfer im Nordirak, die sich damals gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" verteidigten. Eine Tatsache, auf die CSU-Mann Hahn Scholz prompt hinweist.

Der Kanzler sagt dann, auf Hahns Nachfrage, es sei "in der Tat so, dass wir viel liefern." Später, als CDU-Politiker Hardt noch einmal nach den Waffen fragt, meint der Kanzler noch, Deutschland handle "in Abstimmung mit Freunden und Verbündeten". Nähme das Land eine Sonderrolle ein, wäre das ein "schwerer Fehler", meint er.

Der Ausbau der Bundeswehr wird den Sozialstaat nicht schwächen, sagt Scholz

Zwei konkretere Versprechen macht der Kanzler dann doch noch. Sie drehen sich um die Sozialpolitik. Als Antwort auf die Linken-Chefin Janine Wissler verspricht er, den Zoll und dessen Einheit "Finanzkontrolle Schwarzarbeit" auszubauen, um zu verhindern, dass Unternehmen den Mindestlohn unterlaufen. Seinem Parteikollegen Martin Rosemann versichert er, dass die massiven zusätzlichen Investitionen in die Bundeswehr nicht zulasten sozialer Maßnahmen gehen werden. Scholz sagt, es sei "wichtig, dass die Gesellschaft gerade in diesen Zeiten zusammenhält."

Die rechtspopulistische und in Teilen rechtsextreme AfD tut bei dieser Regierungsbefragung das, was sie im Bundestag fast immer tut: Sie produziert Videomaterial für den Youtube-Kanal und die Social-Media-Accounts von Fraktion und Partei, um sich zu inszenieren als Fürsprecherin des Volks gegen die da oben: Der AfD-Rechtsaußen Gottfried Curio nutzt seine Redezeit, um die Gefahr zu betonen, die aus seiner Sicht "ganz andere Migranten" darstellen, die sich unter Flüchtlinge aus der Ukraine mischten. Und fragt Scholz dann, ob er die "wahren, hausgemachten Gründe für den Niedergang Deutschlands" denn hinter dem Krieg verstecke.

Scholz weiß um diese Strategie der AfD. Er sagt zu Curio: "Ich hoffe, dass in ihrem Social-Media-Programm nicht nur Ihre Fragen, sondern auch meine Antworten abgebildet werden." Er sagt: "Deutschland ist eines der wirtschaftlich erfolgreichsten Länder der Welt." Und dann: "Und das wird auch so bleiben." Dabei wird er fast laut, am Ende des Satzes, und ballt die Fäuste.

Das ist wohl das größte Versprechen, das Scholz an diesem Tag abgibt.

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