International
Die Stimme

Volt-Spitzenkandidat erzählt von seiner Zeit in Afghanistan mit der Bundeswehr

Die deutsche Bundeswehr bei der Evakuierung einiger Hilfskräfte.
Die deutsche Bundeswehr bei der Evakuierung einiger Hilfskräfte. Bild: Getty Images Europe / Handout
Die Stimme

"Selbst vor sieben Jahren war leitenden Offizieren zumindest ansatzweise klar, was passiert": Politiker erzählt von seiner Zeit in Afghanistan mit der Bundeswehr

20.08.2021, 09:2520.08.2021, 13:31
hans-günter brünker
Mehr «International»

Hans-Günter Brünker ist Schauspieler und im Moment Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl für die Partei Volt. Er war vor sieben Jahren mit einer Schauspiel-Gruppe vor Ort bei Bundeswehrsoldaten in Afghanistan. Hier erzählt er von seiner Erfahrung – und davon, was die Soldaten ihm schon damals über die Lage des Landes sagten.

Ich war im Mai 2014 in Afghanistan, also vor sieben Jahren. Ich hatte gerade meine Ausbildung zum Schauspieler abgeschlossen. Im Zuge dessen hatten wir am Theater noch ein Abschlussstück inszeniert. Das war eine Boulevard-Komödie, also ein Western-Musical. Einfach, aber unterhaltsam. Wir hatten also dieses Theaterstück und irgendwann las ich im Zugmagazin der Bundesbahn, dass die Bundeswehr für die Truppen-Betreuungen eigentlich überhaupt kein Geld hat.

Das heißt, während die Amerikaner bekannte Leute zur Truppenbetreuung schicken, läuft es bei der Bundeswehr folgendermaßen: Wenn ein Künstler oder eine Künstlerin bereit ist, bei der Truppenbetreuung zu helfen, dann kümmert sich die Bundeswehr um die Logistik. Und das war's dann auch. Gage gibt es keine. Die Kunstschaffenden dürfen dafür den Auftritt im Gegenzug medial verwerten. Für uns war diese Verwertung aber eher uninteressant, weil wir relativ kurz nach unserer Schauspielschule da waren. Das heißt es war tatsächlich reiner Idealismus.

Wir sind dann für eine Woche nach Afghanistan geflogen und haben in Térmiz und in Masar-i-Sharif gespielt. In Kabul haben wir nicht mehr gespielt. Kabul war zwar eigentlich auch auf dem Programm, aber das war der Bundeswehr schon vor sieben Jahren ein bisschen zu heiß. Denn in Masar-i-Sharif konnte man mit dem Flugzeug direkt in der Kaserne landen. In Kabul musste man von Kabul International in die Kaserne fahren. Die Bundeswehr hatte dafür zwar gepanzerte Spezialfahrzeuge, aber das Risiko war ihnen für Zivilisten damals schon zu hoch, das haben sie uns nicht mehr machen lassen.

Je höher der Dienstgrad, desto dramatischer die Prognosen

Wir flogen also mit der Bundeswehr nach Afghanistan, um dort Theater zu spielen. Zunächst mit dem Bundeswehr-Airbus nach Térmiz in Usbekistan, wo die damalige Logistik-Drehscheibe war, von wo aus die Soldatinnen und Soldaten und sonstigen Mitarbeitende dann nach Masar-i-Sharif gebracht wurden. Das zwar insofern gut, weil wir zusammen mit den Soldaten und Soldatinnen fliegen durften, die von Deutschland auf dem Weg nach Afghanistan waren. Da haben wir schon viele Leute kennengelernt.

Viele Menschen mussten aus ihrem Zuhause fliehen.
Viele Menschen mussten aus ihrem Zuhause fliehen.Bild: Getty Images Europe / Paula Bronstein

Zunächst waren wir also in Térmiz, in Usbekistan, was insofern nochmal eine andere Situation war, weil es kein Kriegsgebiet war. Da konntest man die Soldaten und Soldatinnen und zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durchaus auch entspannter kennenlernen. Und dann sind wir mit dieser alten Maschine, die die Bundeswehr noch aus den 60ern hat, mit diesem Transporter, mit Stahlhelm und Weste und allem Drum und Dran den kurzen Weg nach Masar-i-Sharif geflogen. Dort haben wir die Lager-Atmosphäre dann ein paar Tage wirklich hautnah erlebt. Wir haben da Theater gespielt vor vielleicht 300 Leuten mit Gewehr am Mann und mit Munition in der Waffe.

"Selbst vor sieben Jahren war den leitenden Offizieren zumindest ansatzweise klar, was passiert."

Es fühlte sich schon alles sehr, sehr unwirklich an. Was für mich aber das eigentlich Spannende war, war, dass ich die Leute auch wirklich kennenlernen konnte. Wir haben dann ein paar Abende zusammen mit der Truppe vor Ort verbracht. Ich habe versucht, mich mit so vielen Menschen wie möglich zu unterhalten. Vom Gefreiten bis zum General. Ich habe einfach versucht, mit möglichst vielen Menschen in Kontakt zu kommen. Einen Abend haben wir mit den Logistikern verbracht, den anderen Abend mit den Kampfhubschrauber-Piloten und Pilotinnen.

Bei den unteren Mannschaftsdienstgraden wurde eher die Stimmung hochgehalten, auf die Art: 'Wir tun etwas Gutes'. In das Seelenleben der hochrangigen Offizieren konnte ich natürlich nicht reinschauen, aber bei ihnen war die Einschätzung der Lage deutlich pessimistischer. Aber letztendlich machten die Leute in Afghanistan ihren Job und sagen was auch immer zu tun ist wird getan, was genau, das sind politische Entscheidungen. Das müssen die Politiker entscheiden.

Was die Soldaten und Soldatinnen aber durchaus beklagt haben, war, dass die Politik sie nicht ausreichend begleitet. Es fühlte sich damals schon für diese Afghanistan-Soldaten und -Soldatinnen nicht gut an, wenn sie nach Hause kamen und dann wurde gesagt: Naja, dann warst du halt in Afghanistan. Oder im schlimmsten Fall wurden sie sogar noch dafür beschimpft. Ich bin kein Freund von Kriegen, überhaupt keine Frage, aber man muss mit seinen eigenen Soldaten und Soldatinnen im Auslandseinsatz schon auch vernünftig umgehen.

Es war klar: Es ist kein dauerhafter Sieg gegen die Taliban möglich

Die Mannschaftsdienstgrade und Unteroffiziere waren, wie gesagt, relativ überzeugt davon, dass wir da etwas Gutes tun. Dass wir in Afghanistan wirklich etwas aufbauen. Dass wir Schulen und eine Wasserversorgung aufbauen und dann in gewisser Weise ein demokratisiertes Land zurücklassen. Das war in den unteren Dienstgraden so die vorherrschende Meinung.

Die Menschen in Kabul versuchten verzweifelt, an Pässe für die Ausreise zu gelangen.
Die Menschen in Kabul versuchten verzweifelt, an Pässe für die Ausreise zu gelangen.Bild: Getty Images Europe / Paula Bronstein

Diese Unteroffiziere sind vor sieben Jahren noch davon ausgegangen, dass sich das irgendwie regeln lässt. Dass man Afghanistan nach erfolgreichem Einsatz irgendwie lebensfähig zurücklässt, dass man stabile Strukturen schafft. Es war aber auch für diese Soldaten und Soldatinnen klar, wenn die Bundeswehr ihren Auftrag nicht erfüllen würde und das Land fluchtartig verlassen sollte, so wie es jetzt geschehen ist, dann müssen wir uns auch um die Zukunft der Einheimischen kümmern, die uns vor Ort unterstützt haben. Also um die Zukunft der Ortskräfte. Das war überhaupt gar keine Frage. Ich glaube, insbesondere den Offizieren war schon damals klar war, dass der Einsatz wahrscheinlich nicht gut gehen würde.

"Ich glaube, insbesondere den Offizieren war schon damals klar, dass der Einsatz wahrscheinlich nicht gut gehen würde."

Je höher der Dienstgrad wurde, umso vorsichtiger wurden die Erwartungen. In Usbekistan in Térmiz, habe ich einen der damals führenden BW-Offiziere in Masar-i-Sharif kennengelernt habe. Ich habe den ganzen Abend mit ihm verbracht und dann hat er mir gesagt: 'Naja, wenn wir hier mal abziehen, dann gibt es eine gewisse Schonfrist, von der keiner weiß, wie lang sie ist. Und dann ist alles wieder beim Alten. Die Taliban übernehmen das wieder.' Also selbst vor sieben Jahren war den leitenden Offizieren zumindest ansatzweise klar, was passiert.

Bundeswehr und Politik wussten um das Schicksal der Afghanen nach dem Krieg

Schon damals habe ich diese Ortskräfte gesehen, also die Leute, die in der Kantine gearbeitet haben, die geputzt haben oder der Mensch, der als Dolmetscher für uns gearbeitet hat. Und ich hab damals schon gefragt: Wie ist das denn? Wie geht es denn weiter mit den Leuten, die für die Bundeswehr arbeiten? Wenn dieser Krieg schiefgehen sollte, dann haben sie doch alle ein Problem.

"Allen Beteiligten war damals schon völlig klar: Wenn der Krieg schiefgehen sollte, haben diese Menschen ein Problem."

Wir reden jetzt von der Zeit von vor sieben Jahren. Allen Beteiligten war schon damals völlig klar: Wenn der Krieg schiefgehen sollte, haben diese Menschen ein Problem. Es war völlig klar, dass Deutschland sich um seine eigenen Ortskräfte kümmern muss. Ich finde es einfach unglaublich verlogen, wenn man sagt, da habe man sich nicht ausreichend darüber Gedanken gemacht. Das kann gar nicht sein, das war jedem einzelnen Beteiligten klar. Und jetzt? Es war irgendwann klar: Trump sagt, wir ziehen die Truppen ab. Biden bekräftigt das. Und jeder nur halbwegs vernunftbegabte Mensch wusste, dass dies für unsere Ortskräfte höchste Gefahr bedeutet. Jeder halbwegs vernunftbegabte Mensch wusste, wir müssen uns um die Menschen dort unten kümmern.

Und unsere Bundesregierung hat diesbezüglich auf ganzer Linie versagt. Das wird sich ins Gedächtnis einbrennen. Und das wird langfristige Folgen haben auf die Einschätzung ob Deutschland in Konfliktsituationen ein verlässlicher Partner ist. Der Schaden den die Bundesregierung diesbezüglich angerichtet hat ist noch gar nicht absehbar und ich finde es unglaublich, dass dies scheinbar keinerlei politische Konsequenzen nach sich zieht.

Protokoll: Julia Jannaschk

Russland: Kreml-Insider decken Putin-Strategie auf – könnte Einfluss auf Kriegsende haben

Zwei Jahre lang war es "nur" eine Spezialoperation in der Ukraine. So zumindest Wladimir Putins Version seines völkerrechtlichen Angriffskrieges auf das Nachbarland. Eigentlich wollte er das Land einfach innerhalb von wenigen Tagen einnehmen und sich zu eigen machen.

Zur Story