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Afghanistan-Veteran der Bundeswehr: "Trotz all dem war der Einsatz nicht umsonst"

Bundeswehreinsatz Afghanistan. Nachdem bei Rahmat Bay festgefahre Dingo-Panzerwagen geborgen werden muessen, sichern Soldaten mitten in einem heftigen Sandsturm die Umgebung. Die in Kundus stationiert ...
Ein Bild aus dem Jahr 2011: Soldaten der Bundeswehr geraten in Afghanistan in einen Sandsturm.Bild: JOKER / Timo Vog/est&ost
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"Trotz all dem war der Einsatz nicht umsonst": Afghanistan-Veteran der Bundeswehr berichtet über seine Erfahrungen

21.08.2021, 12:1421.08.2021, 13:38
Christian Taszarek
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Nach 20 Jahren Einsatz der Bundeswehr und Armeen anderer Nato-Staaten ist die Regierung in Afghanistan innerhalb weniger Tage zusammengebrochen. „Wir alle – die Bundesregierung, die Nachrichtendienste, die internationale Gemeinschaft – wir haben die Lage falsch eingeschätzt“, sagte der Bundesaußenminister Heiko Maas vergangene Woche über die tragische Situation im Land. Viele Afghanen fürchten um ihr Leben. Besonders afghanische Ortskräfte, die für die Nato-Staaten gearbeitet haben, müssen mit einer Verfolgung durch die Taliban rechnen.

Christian Taszarek war selbst für fünf Monate in Masar-i-Scharif und Kabul stationiert. In den Jahren 2008 und 2009 war der Oberleutnant als Verbindungsoffizier eingesetzt. Sein Auftrag war der Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte, sagt der Veteran. Er stand dabei in engem Kontakt mit den afghanischen Ortskräften. Mittlerweile ist der 40-Jährige ausgebildeter Lehrer für Deutsch und Geschichte an einem Rostocker Gymnasium.

Unter dem Pseudonym Wolf Gregis schreibt der ehemalige Soldat Taszarek über seinen Einsatz. Sein Buch „Sandseele“ soll der erste deutsche Afghanistan-Roman werden, der auf persönlichen Erfahrungen beruht. Für watson erinnert sich der Veteran an seine Zeit am Hindukusch. Er erzählt, welche Gefühle die Bilder der Zustände am Kabuler Flughafen in ihm auslösen – und was er sich als Veteran jetzt von der deutschen Bevölkerung wünscht.

"Ich würde gerne nach Afghanistan zurückkehren. Ich habe noch nirgends so eine dunkle Nacht gesehen wie dort."
Christian Taszarek über seinen Einsatz in Afghanistan.

Während meines Einsatzes für die Bundeswehr bin ich mehrfach vom Flughafen Kabul aus innerhalb des Landes geflogen. Es war für mich vor allem ein Ort der Ruhe und der Entspannung. Dort zu sein hieß, man war in einem gesicherten Raum. Hier warst du nicht draußen im Gelände. Es sind gerade die kurzen Pausen vom Einsatz, die ich mit dem Flughafen in Kabul verbinde.

Diese Erinnerungen treffen jetzt auf die Bilder panischer Menschen auf dem Rollfeld. Ich fühle mich wieder nach Kabul versetzt: Ich sehe den Hindukusch. Ich rieche die Stadt. Ich höre den Klang der Stadt. Ich erinnere mich an all die britischen Kameraden, die Amerikaner, die dort großzügig aufmunitioniert haben. Meine Eindrücke des Friedens und der Pause werden jetzt überschrieben von den chaotischen Szenen, die sich dieser Tage am Flughafen von Kabul abspielen.

Der Kontakt zu den Menschen in Afghanistan war besonders

Es interessiert mich nicht, ob am Flughafen jetzt 8000 oder 2000 Leute sind. Ich sehe nicht die Zahlen. Ich sehe die Menschen, mit denen wir im Einsatz waren. Das waren unsere Sprachmittler – die Einzigen, die uns kulturell beraten konnten. Wir waren junge Soldaten, die immer frisch durchgewechselt, immer fremd waren. Wenn ich jetzt die Bilder aus Kabul sehe und mich erinnere, was das für gute Leute waren, dann kommt mir die Wut, weil sie nicht rausgeholt wurden.

Auch wenn die ganze Welt auf Kabul blickt, ist das nur die Spitze des Eisbergs. Wie viele sitzen denn noch in Masar-i-Scharif fest? Das Feldlager in der Stadt im Norden Afghanistans haben wir noch bis Juni betrieben. Die Menschen dort sind doch gar nicht herausgekommen. Das sind Männer, die jahrelang für uns gearbeitet haben – ich habe auch persönliche Kontakte zu ihnen. Das geht mir sehr nahe.

Christian Taszarek am Flughafen in Kabul.
Christian Taszarek am Flughafen in Kabul.bild: privat

Ich würde gerne nach Afghanistan zurückkehren. Ich habe noch nirgends so eine dunkle Nacht gesehen wie dort. Kein Restlicht, keine Städte, keine Laternen. Einfach nur die Dunkelheit, die Berge und eine mondlose Nacht. Auch die majestätische Landschaft hat mich geprägt.

Mich haben auch die Menschen dort stark beeindruckt. Mir ist besonders ein Arzt in Erinnerung geblieben, der versucht hat, unter katastrophalen Bedingungen in Masar-i-Scharif eine Klinik für Brandwunden zu leiten. Das sind Momente und Gesichter, die man nicht vergisst.

"Wir haben etwas für die Menschen in Afghanistan erreicht: 20 Jahre Leben in einer Stabilität, in einer gewissen Sicherheit, die jetzt weg ist."
Afghanistan-Veteran Christian Taszarek.

Viele Menschen dort sitzen jetzt zu Hause und gehen nicht vor die Tür, weil sie Angst haben, von den Taliban erwischt oder denunziert zu werden. Die müssten alle nach Kabul, können das aber nicht – weil das brandgefährlich ist. Es gibt nur eine Straße nach Kabul und die ist in der Hand der Taliban. Was jenseits der Kameras in Kabul passiert, das weiß kein Mensch.

Viele haben mit ihrem Leben abgeschlossen. Die Leute vom Flughafen in Kabul zu holen ist relativ einfach. Ganz schwer wird es, die Ortskräfte in Masar-e Scharif zu retten.

Der Einsatz in Afghanistan hat dennoch etwas bewirkt

So verzweifelt die Lage auch ist und obwohl die afghanische Regierung jetzt zusammengebrochen ist: Trotz all dem war der Einsatz nicht umsonst. Unter den gegebenen Umständen – der Personalstärke, den Ressourcen, Waffen und Gerät – haben wir mit unserem Einsatz das Mögliche herausgeholt. Auch, wenn Fehler passiert sind. Wir haben getan, was wir konnten, wenn man uns denn gelassen hat.

Wir haben etwas für die Menschen in Afghanistan erreicht: 20 Jahre Leben in einer Stabilität, in einer gewissen Sicherheit, die jetzt weg ist. Da, wo wir eine gewisse Raumhoheit hatten oder zumindest bedrohlich waren für die Gegner, dort waren es 20 Jahre, in denen die Menschen atmen konnten.

Christian Taszarek war fünf Monate als Verbindungsoffizier in Afghanistan stationiert.
Christian Taszarek war fünf Monate als Verbindungsoffizier in Afghanistan stationiert.bild: privat

Wahr ist natürlich aber auch das: Wenn man an die gefallenen Soldaten und an deren Familien denkt, aber auch an die Versehrten, kommen die Fragen auf: Wofür bin ich krank geworden? Wofür habe ich mir eine Kugel ins Kreuz schießen lassen? Meine persönliche Antwort darauf lautet: Weil es für eine gute Sache war, es war für Sicherheit und Frieden.

Manche Kameraden sind bis heute noch nicht ganz vom Hindukusch zurückgekehrt, auch wenn ihre Körper längst hier sind. Der Einsatz wird immer ein Teil von ihnen bleiben. Es gibt letztlich drei Arten von Verwundung. Erstens die körperliche Verwundung. Zweitens die seelische Verwundung. Das sind Albträume, Schlaflosigkeit, Suchtgefahr, das Gefühl, unverstanden zu sein. Es sind grausame Erinnerungen, die zurückkommen: zum Beispiel beim Silvesterfeuerwerk. Manche Soldaten, die im Kosovo waren, betreten eine bestimmte Art von Boden nicht mehr, aus Angst vor Minen. Drittens gibt es moralische Verletzungen. Soldaten kommen zurück, funktionieren im Alltag nicht mehr und keiner weiß wirklich, wieso.

"Wir müssen uns Fragen: Sind unsere westlichen Menschenrechte wirklich so universal? Müssen wir das durchsetzen? Überall in der Welt?"
Afghanistan-Veteran Christian Taszarek.

Das passiert, wenn das eigene Weltbild auf die Probe gestellt wird. Wir sind mit dem Ziel nach Afghanistan gegangen, Frieden, Freiheit und Demokratie dorthin zu bringen. Und dann sind wir auf eine Gesellschaft getroffen, die das vielleicht doch gar nicht will, zumindest in Teilen. Im Unterschied zu Kabul gibt es in ländlicheren Gebieten Afghanistans deutlich mehr Menschen, die sehr traditionell denken. Sie können mit Begriffen wie Freiheit und Wahlen nichts anfangen.

Da müssen wir uns fragen: Sind unsere westlichen Menschenrechte wirklich so universal? Müssen wir das durchsetzen? Überall in der Welt? Oder können wir akzeptieren, dass es Regionen dieser Welt gibt, die einfach nichts auf unsere Vorstellung von Menschenrechten und Recht überhaupt geben?

Christian Taszarek bei seinem Einsatz.
Christian Taszarek bei seinem Einsatz.bild: privat

Es hat in Afghanistan nicht funktioniert, Staaten und Strukturen von außen umzubauen. Die kulturellen Beziehungsgeflechte dort sind für uns einfach undurchdringlich. Aus der Sicht der Afghanen, die Kriege und ausländische Interventionen schon seit Jahrzehnten kennen, ist man als Ausländer auch nur ein Akteur in diesem Spiel, bei dem es um Einfluss und Ressourcen geht. Das gilt auch für andere Einsatzgebiete.

Wir müssen uns überlegen, was unsere außenpolitische Position ist. In der Sicherheitspolitik muss es einen überparteilichen Konsens geben. Das wäre wünschenswert, damit man sich eben auch nicht verkämpft. Ich wünsche mir auch eine öffentliche Diskussion darüber. Und ich glaube, man sollte das seinen Bürgern zumuten, nicht nur über Sozialpolitik zu reden, sondern auch über Außen- und Sicherheitspolitik.

"Ich würde mir wünschen, dass man die Soldaten sieht – man einfach hinschaut. Wir sind Staatsbürger in Uniform, aber dahinter stecken Menschen."
Afghanistan-Veteran Christian Taszarek.

Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler sagte einmal, dass es ein "freundliches Desinteresse" gegenüber der Bundeswehr gibt. Eigentlich schicken uns aber die von den deutschen Staatsbürgern gewählten Volksvertreter in den Kosovo, nach Mali und Afghanistan, für jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr ist ja ein Mandat des Bundestags nötig. Es ist also letztendlich der Volkswille, dem wir Soldaten folgen.

Ich will sicherlich nicht, dass jeder Soldat beim Bäcker die Hände geschüttelt bekommt. Aber bei der Rückkehr des letzten Kontingents aus Afghanistan nach Niedersachsen war von den gewählten Volksvertretern keiner da. Wir wollen nicht gefeiert werden. Wir wollen nur, dass jemand anwesend ist und sagt: "Ich sehe euch, ihr seid jetzt da." Das Verteidigungsministerium hat verkannt, dass nicht nur 200 Mann aus Afghanistan wiederkommen. Sondern, dass wir in Deutschland insgesamt 160.000 Afghanistan-Veteranen haben. Die haben teilweise mehrere Jahre in dem Land gelebt und werden am Ende durch die Hintertür hereingelassen. Das empfinde ich als mangelnde Wertschätzung.

Der Soldat ist nicht heiß darauf, in den dreckigen Enden dieser Welt in den Einsatz zu gehen. Er tut es für die Bundesrepublik Deutschland. Um Sicherheit zu garantieren und Friede und Freiheit zu ermöglichen. Das ist im öffentlichen Interesse.

Ich würde mir wünschen, dass man die Soldaten sieht – man einfach hinschaut. Wir sind Staatsbürger in Uniform, aber dahinter stecken Menschen. Einsätze gehen nicht spurlos an uns vorbei. Es geht auch nicht an uns vorbei, wenn jemand ruft, Soldaten seien Mörder. Es wäre schön, wenn wir diesen Grundkonsens hätten: Dass es auch wir Soldaten sind, die dafür sorgen, dass wir in Deutschland in einem freien, demokratischen Land leben.

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