In Brasilien sind mindesten 100.000 Menschen an oder mit Covid-19 gestorben. Jetzt aber könnte das Land zur Hoffnung für die gesamte Welt werden.Bild: iStockphoto / Maurian Soares Salvador
Gesundheit & Psyche
16.08.2020, 14:2516.08.2020, 18:21
Dem Virus, sagt Denise Abranches, begegnet
sie jeden Tag. "Es ist ein täglicher Kampf", sagt sie. Abranches
koordiniert die Abteilung für Zahnmedizin des Hospital Sao Paulo und
säubert als Zahnchirurgin den Mund von Corona-Patienten, damit kein
zusätzliches Infektionsrisiko entsteht.
Seit mehr als 20 Jahren arbeitet sie in dem Krankenhaus. Als sie
hört, dass das Hospital mit der Universidade Federal de Sao Paulo an
einer sogenannten Phase-III-Studie für einen an der Universität
Oxford entwickelten Corona-Impfstoff teilnehmen wird, meldet
Abranches sich gleich. Auch weil sie und ihre Kollegen Zeugen vieler
trauriger Szenen wurden, vieler einsamer Tode: "Das berührt einen
sehr."
Die 47-Jährige ist die erste Freiwillige in Brasilien, die die
Impfung bekommen hat – ob darin tatsächlich der Wirkstoff steckt oder ein
wirkungsloses Mittel für Kontrollwerte zum Vergleichen, weiß sie
allerdings noch nicht. "Es ist ein Privileg in diesem wichtigen Moment
nicht nur für uns Brasilianer, die wir Protagonisten sind, sondern
auch für die Welt, die auf eine Impfung wartet", sagt Abranches der
Deutschen Presse-Agentur.
Tausende Freiwillige aus dem Gesundheitssektor und anderen
Bereichen, in denen man dem Coronavirus verstärkt ausgesetzt ist und
die sich noch nicht infiziert haben, haben wie Abranches in den
vergangenen Wochen – oder werden in den kommenden Wochen – eine
Impfung bekommen. Brasilien ist zum Testlabor der Welt geworden.
Firmen aus der EU, aus USA Russland und China testen
Den von Forschern aus Oxford entwickelten Impfstoff testet das
Pharmaunternehmen AstraZeneca im größten und bevölkerungsreichsten
Land Lateinamerikas bereits seit Juni. Am 20. Juli hat zudem der
chinesische Pharmakonzern Sinovac in Brasilien die entscheidende
Phase-III-Studie für seinen Impfstoff gestartet. In dieser Phase, die
auf die Zulassung eines Wirkstoffs abzielt, wird die Wirksamkeit an
einer großen Gruppe von Menschen ermittelt.
Zuletzt erteilte die brasilianische Überwachungsbehörde für
Gesundheit auch die Genehmigung für den Test einer Substanz des
Mainzer Biopharma-Unternehmens Biontech und des US-Konzerns Pfizer.
Auch diese Studie hat nach Medienberichten bereits begonnen. Wie Sue
Ann Clemens, Mitglied des Komitees von Curevac, der dpa bestätigte,
plant auch das Tübinger Biotech-Unternehmen, von September oder
Oktober an, einen Impfstoff-Kandidaten in Brasilien zu testen.
Der brasilianische Bundesstaat Paraná schloss ein Abkommen mit
Russland, um den weltweit ersten für die breite Verwendung
zugelassenen Impfstoff gegen das Coronavirus selbst zu produzieren.
"Die Daten sind noch sehr am Anfang", warnte Gesundheitsminister
Eduardo Pazuello.
"Sputnik V" war vor dem Vorliegen der Ergebnisse
großer klinischer Studien zugelassen worden. Nach der mit immenser
Korruption verbundenen Beschaffung von Atemgeräten wird in Brasilien
nun ein Ansturm der Bundesstaaten auf den Impfstoff befürchtet – ohne
eine Garantie für dessen Wirksamkeit.
Brasilien ist in der Forschung exzellent
Brasilien ist neben den USA derzeit einer der Brennpunkte der
Corona-Pandemie. Mehr als drei Millionen Menschen haben sich nach
offiziellen Angaben infiziert, mehr als 100.000 Patienten sind im
Zusammenhang mit Covid-19 gestorben. Die tatsächlichen Zahlen dürften
noch weit höher liegen – auch, weil in dem Land sehr wenig getestet
wird. Vielerorts steigt die Kurve der Infektionszahlen noch an, was
für die entscheidende Phase der Impfstoff-Tests ein Vorteil ist.
Dass Brasilien über exzellente Forschungseinrichtungen wie das
Instituto Butantan und die Fundaçao Oswaldo Cruz (Fiocruz) verfügt,
die in Sao Paulo (Sinovac) und Rio de Janeiro (AstraZeneca) die
Federführung der Tests haben, hat das Land schon in der Vergangenheit
gezeigt. Brasilien war bei Gesundheitskrisen etwa durch HIV oder Zika
ein Vorreiter unter den Schwellenländern.
Das steht im krassen Gegensatz zum umstrittenen Krisenmanagement
von Präsident Jair Bolsonaro, der das Coronavirus als "kleine Grippe"
verharmloste, Einschränkungen und Schutzmaßnahmen ablehnte und das
Malariamittel Hydroxychloroquin zur Covid-19-Behandlung anpries,
obwohl positive Auswirkungen nicht erwiesen sind und die Substanz
starke Nebenwirkungen hat. Seine Regierung setzt auf
Verschwörungstheorien und Fake News statt auf wissenschaftliche
Fakten.
Das Land bereitet sich auf Impfstoff-Produktion vor
"Ich glaube an die Wissenschaft", sagt hingegen Denise Abranches.
Seit fünf Monaten ist sie fast nur zwischen Krankenhaus und Zuhause
unterwegs, der tägliche Kampf gegen das Virus ist ihr Alltag. Sie
hofft, dass die Impfstoff-Tests erfolgreich sind, damit sie bald
wieder Familie und Freunde treffen kann. Brasilien bereitet sich
schon darauf vor, einen Impfstoff zu produzieren. Es hat Abkommen
getroffen, um im Falle erwiesener Wirksamkeit Millionen von Impfdosen
zu bekommen.
So wartet etwa die Fundaçao Oswaldo Cruz darauf, dass der
Impfstoff von AstraZeneca zugelassen wird, um mit der Herstellung zu
beginnen. Die Impfstoff-Fabrik der Fiocruz in der Nordzone Rios gilt
als größte Lateinamerikas. Im vergangenen Jahr wurden hier fast 110
Millionen Dosen Impfstoff für das öffentliche brasilianische
Gesundheitssystem hergestellt, zudem produziert Bio-Manguinhos dem
Portal "G1" zufolge 80 Prozent der weltweiten Gelbfieber-Impfungen.
Mit Blick auf den Corona-Impfstoff sagt der stellvertretende
Produktionsleiter Luiz Lima: "Das ist möglicherweise die größte
Herausforderung in der Geschichte von Bio-Manguinhos. Der große
Vorteil ist, dass wir schon ähnliche Erfahrungen wie im Falle des
Gelbfiebers gemacht haben und unser ganzes Wissen nutzen
können."
(pcl/dpa)
Weltweit gibt es wohl kaum ein Unternehmen, das ein derartiges Standing genießt wie McDonald's. Gleichzeitig gibt es wohl kaum ein Thema, das weltweit aktuell so viele Diskussionen auslöst wie der Gaza-Krieg.