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Vor Ort in der Ukraine

Ukraine: Wagner-Gruppe macht Druck auf Bachmut – Blick in eine zerstörte Stadt

Ukrainian soldiers pass by houses ruined in the Russian shelling in Bakhmut, Donetsk region, Ukraine, Thursday, Nov. 10, 2022. (AP Photo/LIBKOS)
Von Luftangriffen gezeichnete Ruinen von Wohnblöcken: Ein solches Bild zieht sich durch die gesamte ostukrainische Stadt Bachmut.Bild: AP / Libkos
Vor Ort in der Ukraine

Ukraine: Wagner-Gruppe macht Druck auf Bachmut – Blick in eine zerstörte Stadt

22.11.2022, 11:0722.11.2022, 12:16
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Ein Schrottplatz im Süden Bachmuts. Die Besitzer bewegen sich auf dem Gelände hin und her. Trinken Kaffee. Lachen. Ihre Zähne sind schwarz, die Augen glasig und rot. Nebenan feuert eine ukrainische Militäreinheit Artillerie ab, die Schüsse von Maschinengewehren hallen durch die Häuser. Gleichzeitig überfliegen Geschosse das Areal.

Nur ganz selten ducken sich die Menschen weg. Die Geräusche sind für sie zum Alltag geworden. Die Front am südlichen Stadtrand liegt einen, vielleicht zwei Kilometer entfernt.

Bachmut ist zurzeit mit Awdijiwka die am stärksten umkämpfte Stadt in der Ostukraine, das teilte auch der ukrainische Generalstab am Montagabend mit. Die Kleinstadt Bachmut ist Teil des ukrainischen Verteidigungsriegels östlich des Ballungsraums zwischen Slowjansk und Kramatorsk.

26.10.2022, Ukraine, Bachmut: Blick auf ein durch Beschuss besch�digtes Haus. Foto: Efrem Lukatsky/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Ein zerstörtes Wohnhaus in der Stadtmitte Bachmuts.Bild: AP / Efrem Lukatsky

Seit die ukrainischen Streitkräfte die im Süden des Landes gelegene Stadt Cherson von der russischen Besatzung befreit haben, verstärkt Russland seine Bemühungen im Osten. So wurden auch russische Truppen aus Cherson an die Front nach Bachmut verlegt.

Die Stadt ist wegen des bevorstehenden Winters ein strategisch wichtiges Ziel Russlands. Bisher tragen sich die Kämpfe noch größtenteils am Stadtrand zu. Im Osten der Stadt, der durch einen Fluss vom restlichen Teil Bachmuts getrennt ist, toben die Kämpfe jedoch bestialisch. Russlands Streitkräfte und Söldner der Wagner-Gruppe wollen tiefer eindringen. Seit Monaten macht die Wagner-Gruppe Druck auf die Kleinstadt.

Die Bemühungen Russlands zeigen sich auch im Süden Bachmuts. Dort, auf dem Schrottplatz.

Hier ist die Geräuschkulisse ohrenbetäubend. Welche Seite das Projektil abgeschossen hat, ist erst zu erkennen, wenn das Geschoss über den Menschen am Himmel erscheint – dann lässt sich heraushören, in welche Richtung es fliegt.

Angriff auf einen Sendemast in Bachmut

Zu nah ist die Frontlinie. Jeder einzelne Abschuss der Artillerie hört sich gleich an. Schuss, Pfeifen, Rauschen. Und es kracht. Mal südlich des Schrottplatzes, mal nördlich. Dazwischen liegen höchstens drei oder vier Sekunden.

Ziel der russischen Seite an der Südfront ist an diesem Tag im November ein Gebiet rund um einen Sendemast, der nahe einer innerstädtischen Schnellstraße in Bachmut steht. Vom Schrottplatz aus sind die Explosionen in diesem Gebiet gut zu beobachten.

Eine Momentaufnache der Frontverläufe durch Deep State Map
Die Front verschiebt sich täglich nur minimal. Dies ist eine Momentaufnahme vom 21. November.Bild: Screenshot / Deep State Map

Die Gefechte um die Stadt werden auch von der ukrainischen Regierung regelmäßig adressiert. Präsident Wolodymyr Selenskyj spricht von bitteren und schweren Kämpfen im Donbass. Es gebe "weder eine Entspannung noch eine Atempause", sagte Selenskyj in einer seiner täglichen Videoansprachen. Die ukrainischen Truppen würden durch Grenzschutzeinheiten aus Charkiw und Sumy unterstützt. In Bachmut sei eine Brigade der Nationalgarde aktiv. "Wir werden dem Feind in keinem der Frontgebiete nachgeben", sagte Selenskyj. "Wir reagieren überall, wir halten unsere Positionen überall."

Gerade die Kämpfe in der Donezk-Region, also auch in Bachmut, haben zuletzt deutlich an Intensität zugenommen. Ein ukrainischer Soldat berichtete in sozialen Netzwerken von den bisher schwersten Kämpfen, seit er an die Front nahe Bachmuts versetzt worden sei.

Trotz der heftigen Gefechte verändert sich der Frontverlauf kaum, wie aus militärischen Lageberichten beider Seiten hervorgeht. Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die in den Kampfgebieten humanitäre Hilfe leisten, berichten Ähnliches. Zwar könne man an den Geräuschen – hier geht es vor allem um Maschinengewehre – hören, dass sich die Front vor- und zurückbewegt. Große Erfolge ließen sich aber weder von russischer, noch von ukrainischer Seite vermelden.

Bachmut seit Mai russisches Angriffsziel

Die meisten der ukrainischen NGOs haben Verbindungen zum Militär und zum Geheimdienst. Von Ihnen lassen sie sich die Situation an der Front täglich neu einschätzen.

Und das bereits seit Monaten.

Bachmut gelangte im Mai ins stärkere Blickfeld russischer Militärs. Nachdem Russland die weiter östlich gelegene Kleinstadt Popasna eingenommen hatte, war man nah genug, um mit Kurzstrecken-Artillerie zu feuern. Im Frühling hatte die Stadt nur vereinzelt Angriffe vermeldet. Erste Menschen flohen, doch viele gingen nur wenige Hundert Kilometer weiter in die Großstadt Dnipro.

Zu dieser Zeit waren auch die deutschen Organisationen "Leave no one Behind" und "STELP" vor Ort, um Menschen aus Bachmut zu evakuieren. Watson hatte sie damals begleitet.

Jetzt, im November, ist Bachmut nur noch ein Trümmerhaufen. Im Vergleich zu den Eindrücken aus dem Mai ist die Stadt fast nicht wiederzuerkennen. Kaum noch ein Haus ist von den Angriffen verschont geblieben.

Auf den Straßen finden sich unentwegt Einschlaglöcher von Raketen und Artillerie. Blindgänger stecken im Asphalt, Busleitungen hängen vom Himmel herab. Ständig rasen ukrainische Militärs in uralten Ladas durch die Innenstadt. In den schwer gezeichneten Wohngebieten wachsen die Müllberge. Ein beißender Geruch mischt sich mit dem Rauch, der vor den Haustüren der verbliebenen Einwohner:innen entsteht.

Hier kochen sie, sofern sie noch etwas zum Kochen haben.

Denn die humanitäre Situation in Bachmut verschärft sich. Noch gibt es zwar kleine Supermärkte, die geöffnet haben. Die Frage ist nur: Wie lange? Supermärkte müssen beliefert werden. Offenbar funktionieren die Lieferketten noch ansatzweise. Anders, als es im Mai in der Luhansk-Region der Fall war. Sogar ein Krankenhaus kann die Stadt Bachmut noch betreiben – obwohl dieses bereits bombardiert wurde.

Trotzdem hungern die Menschen vor Ort. Trinkwasser gibt es nur an ausgewiesenen Orten. Das wichtigste Ziel russischer Angriffe ist die kritische Infrastruktur. Strom, Wasser, Schienennetz. Mit einer Hilfsorganisation auf Tour durch die Innenstadt fällt auf: Vor allem ältere Frauen können ihre Grundbedarfe nicht mehr stillen. Alle paar Meter werden Mitglieder der NGO nach Essen gefragt.

Armut beherrscht die Stadt. Und noch immer fliehen vereinzelt Menschen aus diesem Gebiet.

Evakuierungen aus Bachmut dauern an

Zurück auf dem Schrottplatz im Süden der Stadt. Hier steht eine Frau am Eingang eines Bunkers. Es ist kalt, die Luft ist feucht, die Umgebung ein Schlachtfeld aus Metall. Ihren Chihuahua-Welpen hat sie mit der Jacke an ihre Brust gebunden. Die Frau hält eine Zigarette in der einen Hand. Mit der anderen stützt sie ihren Hund.

A woman walks across an exploded bridge in Bakhmut, Ukraine, Donetsk region, Ukraine, Friday, Nov. 11, 2022. (AP Photo/LIBKOS)
Eine zerstörte Brücke, die in den östlichen Teil der Stadt Bachmut führte.Bild: AP / Libkos

Der Hund beginnt zu kläffen. Die Frau mit den schwarzen Haaren lacht, streichelt die zitternde Hündin. An diesem Tag evakuiert eine ukrainische Hilfsorganisation 15 Menschen aus Bachmut. Die Frau wird eine davon sein.

Licht gibt es kaum in dem Bunker. Lediglich eine batteriebetriebene LED-Lichterkette hängt von der zwei Meter hohen Decke. Bis der Besitzer dieses Areals ein Notstromaggregat einschaltet. Es rattert und brummt. So laut, dass es die Geräuschkulisse des Krieges fast vollkommen überschattet. Doch es hilft gegen die Dunkelheit. Gegen die Kälte.

Der Bunker füllt sich. Menschen aus dem Osten der Stadt werden von der Organisation hier her gebracht, damit sie am Ende gemeinsam das Kriegsgebiet verlassen können. Zwischen den Wartenden streift der Chihuahua-Welpe umher und zittert. Die nicht weit entfernten Einschläge sind auch hinter den dicken Betonwänden zu hören. Trotz des Notstromaggregats.

In einer Ecke leckt der Welpe eine Plastikschale mit Resten eines Gemüseeintopfes aus. In diesem Keller wird seit Wochen übernachtet, gekocht, gelebt. Nach vier Stunden verlassen die Fliehenden das Gebiet.

Es geht schnell. Raus aus der Werkstatt. Auf die Straße. Rechts liegt die innerstädtische Schnellstraße Bachmuts. Das sollte der Weg sein. Das Auto voll Geflüchteter biegt ab, gibt Gas. 200 Meter weiter fällt ein Sendemast ins Blickfeld.

Ein Sendemast ... dieser Sendemast.

Es bleibt keine Zeit, zu reagieren. Da ist er: der Einschlag. Etwa 150 bis 200 Meter entfernt.

Schwarzer Rauch steigt auf.

Vollbremsung. U-Turn.

Raus hier.

Kein Rafah-Termin: Israels Verteidigungsminister widerspricht Netanjahu

Israels Verteidigungsminister Joav Galant hat Medienberichten zufolge seinem US-Kollegen Llyod Austin mitgeteilt, dass es noch keinen Termin für eine Bodenoffensive gegen die Stadt Rafah im Gazastreifen gibt. Galant habe damit der Darstellung seines Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu widersprochen, berichteten am Dienstagabend übereinstimmend die israelischen Zeitungen "Haaretz", "Times of Israel" sowie das Nachrichtenportal "Axios" unter Berufung auf informierte Quellen.

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