Das Tor vor der Herbertstraße in Hamburg ist massiv und rot. Männern unter 18 Jahren und Frauen ist der Eintritt verboten, denn dahinter befinden sich die weltbekannten Bordelle der Reeperbahn. Wobei: In den vergangenen sechs Monaten hatte es hier gar nichts zu sehen gegeben – die Sexarbeiter hatten eine Corona-Zwangspause auferlegt bekommen.
Nun eröffnete die Rotlichtstraße wieder, die Frauen dürfen nach einem Beschluss des Hamburger Senats unter Hygiene-Auflagen ihre Arbeit wieder aufnehmen. "Wir freuen uns. Ich bin auf alle Fälle heute Abend schon dabei", sagt Sexarbeiterin Laura zu watson.
Auch der Bürgermeister von Hamburg-Mitte war zur Eröffnung da. "Wir haben ab heute wieder die Möglichkeit Prostitution in Prostitutionsstätten zu genehmigen", erklärt Bezirksbürgermeister Falko Drossmann (SPD), was nicht zuletzt dem Engagement der Sexarbeiterinnen und der Unterstützung der Bewohner des Hamburger Stadtteils St. Pauli zu verdanken sei. Sie hatten in den vergangenen Wochen mit Kunstausstellungen und Protesten um die Wiedereröffnung gekämpft, Solidarität bewiesen. Drossmann weiter: "Darauf können wir in Hamburg stolz sein."
Wie diese Regeln aussehen und vor allem, wie sie in einem Gewerbe umgesetzt werden sollen, das auf Intimität und Diskretion beruht, fragen sich aber immer noch viele. Watson ließ sich daher von Ingrid (Name geändert) Schritt für Schritt durch eines der umgebauten Bordelle führen. Ingrid ist seit vierzig Jahren mit der Reeperbahn verwurzelt, arbeitete selbst hier als Prostituierte und ist so etwas wie die gute Seele der Herbertstraße.
An den Fensterscheiben der Bordelle ist das Thema Corona nicht mehr zu übersehen. Überall hängen Hinweise zu Maskenpflicht und Desinfektion. Unter anderem steht auf den Zetteln: "Der Zutritt mit Erkältungssymptomen, Schnupfen, Grippesymptomen oder einem Gefühl von Abgeschlagenheit ist untersagt!"
Typisch für die Herbertstraße sind die Schaufenster, in denen die Sexarbeiterinnen sitzen, um sich dem Kunden anzubieten. Hier findet auch das erste Gespräch über geöffnete Fenster statt. Zwischen den Barhockern der Frauen ist Plexiglas angebracht, um eine Ansteckungsgefahr über Aerosole zu minimieren. "Wenn die Frauen hier sitzen, dann ohne Maske. Wenn sie aber das Fenster zum Gespräch öffnen, haben sie eine aufzusetzen und müssen auch dafür Sorge tragen, dass das Gegenüber Mund-Nase-Schutz trägt", sagt Ingrid.
Wichtig sei vor allem, was danach käme, denn hier wird der Kunde informiert, dass die Corona-Regelungen gelten und bestimmte sexuelle Praktiken einfach nicht möglich sind. "Auch nicht mit 'Bitte, Bitte' und auch nicht mit dem Hunderter extra", stellt Ingrid klar. Ist das geklärt, wird nach der Wirtschafterin des Hauses geklingelt. Diese gibt dem Kunden einen frischen Mund-Nase-Schutz und nimmt ihn mit hinein – zur Registrierung.
An einem schlichten Holztisch im Hinterzimmer muss der Freier dann einen QR-Code scannen und einen Lichtbildausweis herausrücken, damit die Richtigkeit seiner Daten überprüft werden kann. Dazu sind die Sexarbeiter verpflichtet. "Das war für uns eine der höchsten Hürden", gibt Ingrid zu. Denn diese Regelung zur Nachverfolgung ist strenger, als Kunden es zum Beispiel aus der Gastronomie gewöhnt sind. "Aber das ist eben so. Wir können uns auch nicht erlauben, dass unkontrolliert ein Corona-Fall auftritt. Dann müssten ja ganze Häuser wieder für 14 Tage geschlossen werden."
Auf dem Zimmer herrscht sowohl für den Freier als auch für die Sexarbeiterin Maskenpflicht. Die Fenster bleiben während des Akts mindestens gekippt; nachdem der Kunde gegangen ist, wird stoßgelüftet, bis der nächste kommt. "Bei warmen Temperaturen werden die Fenster auch während des Sex auf sein. Hier ist eh immer so ein Lärm mit Musik und so, das interessiert keinen Menschen."
Hände und Genitalbereiche werden bei der Ankunft am Waschbecken gesäubert, dann erst bekommt der Kunde seine Dienstleistung, allerdings unter Vorbehalt. Sextoys bleiben erstmal tabu, um Schmierinfektionen zu vermeiden. Und auch einige Sexpraktiken fallen weg. "Was erlaubt ist, ist Handmassage, Oralverkehr und auch Geschlechtsverkehr, aber immer nur rücklings zum Freier", erklärt Ingrid und macht die Stellungen vor. Das soll – zusätzlich zu den Masken – verhindern, dass sich Kunde und Sexarbeiterinnen zu stark anatmen.
Nach dem Sex müssen die Freier ihren Körper waschen und Hände desinfizieren, die Prostituierten müssen duschen; Badelaken und Handtuch, die unter dem Kunden liegen, werden bei mindestens 60 Grad Celsius gewaschen. Es klingt aufwendig, sei aber zum großen Teil schon immer Routine in Bordellen gewesen, sagt Ingrid: "Die Frauen hier haben alle einen Mann oder Kinder, die wollen auch nicht krank werden. Klar sind wir kein OP-Saal, aber Hygiene war schon immer wichtig."
Die Solidarität auf dem Kiez habe durch den Streit in Zeiten der Pandemie enorm zugenommen, erzählt Ingrid. So entstand auch die Initiative "Sexy Aufstand Reeperbahn", die weiter bestehen bleibt und Geld sammelt, um damit regelmäßige Corona-Tests für die Frauen zu bezahlen. Ingrid ist stolz darauf, dass die Frauen zusammengehalten hätten, auch wenn einige von ihnen in Existenznöte geraten seien.
"Wir haben in der Corona-Zeit Angebote gekriegt, da hätten wir vor Corona von geträumt", sagt sie. "Es gibt Stammgäste, die gebettelt haben, ob wir nicht bitte eine Ausnahme machen könnten, man kenne sich doch und sie seien doch gesund und so weiter und da haben wir uns echt zusammengesetzt und gesagt: 'Nein. Keiner darf so etwas machen. Wir können nicht gemeinsam kämpfen, wenn hier einer sich nicht an die Regeln hält. Sonst wäre alles umsonst.'"
Für die Sexarbeiterinnen hat es sich gelohnt. Heute Abend gehen die roten Lichter an den Häuserfassaden der Herbertstraße wieder an.