Das 9-Euro-Ticket soll den Anreiz geben, öfter auf die Bahn umzusteigen. Doch an manchen Umständen wird auch das günstige Ticket kurzfristig nichts verändern: Verspätungen, zu wenige Sitzplätze, gehetzte Umstiege, kaum Komfort. Die Probleme sind den meisten Bahnfahrern schon längst bekannt.
Diesen Sommer allerdings könnten sich die oft dürftigen Verhältnisse durch den Ansturm auf das 9-Euro-Ticket noch weiter verschlimmern.
Im europäischen Ausland läuft das besser. Zumindest auf den ersten Blick: Bei unserem Nachbarn Frankreich düsen der TGV und Hochgeschwindigkeitszüge der SNCF quer durchs gesamte Land. Spaniens staatliches Bahnunternehmen Renfe trumpft mit schnellen Verbindungen zwischen den inländischen Metropolen. In Italien passiert man in zügigem Tempo in den Zügen der Frecchiarossa lange Strecken nach Mailand, Florenz und Rom für durchschnittlich 50 Euro und genießt dabei fast schon luxuriösen Abteil-Komfort mit Espresso. Von solchen Fahrten kann man in der DB bisher nur träumen.
Doch kann sich die DB da nicht mehr von ihren europäischen Nachbarunternehmen abschauen? Und sei es erst einmal nur mehr Schnellstreckenverbindungen und damit mehr Pünktlichkeit?
"Deutschland ist eins der größten Länder in der EU und durch seine zentrale Lage auch Haupttransitland", erklärt Andreas Geissler, vom gemeinnützigen Verkehrsbündnis "Allianz pro Schiene". Das Bündnis setzt sich für einen höheren Marktanteil des Schienenverkehrs im Güter- und Personenverkehr in Deutschland ein.
Geissler sagt:
Die Schweiz sei hier das Eisenbahn-Musterland schlechthin.
"Da sind wir nicht bei den 88 Euro, die pro Kopf und Jahr in Deutschland in den Ausbau der Schiene investiert werden, sondern bei über 400 Euro. Also wird mehr als das Vierfache investiert." Aber mehr Geld fürs Schienennetz gäbe es seit Jahren auch in Länder wie Schweden, Holland, in Österreich oder in Luxemburg. "Wir haben ja schon seit langem in Deutschland das Phänomen, dass wir tatsächlich mehr Verkehr auf der Schiene haben, der Verkehr hat sehr stark zugenommen", erzählt Geissler. "Inzwischen platzt das Schienennetz damit aus allen Nähten und dafür ist eben der Eigentümer zuständig. Und der Eigentümer ist die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Verkehrsministerium."
Auf Nachfrage beim Bundesverkehrsministerium (BMDV) zu Plänen für eine Ausweitung des Schienennetzes, verweist dieses auf die letztliche Entscheidung aus dem Haushaltsausschuss im Bundestag. "Die jetzige Koalition plant für diese Legislaturperiode nun knapp 100 Milliarden Euro für das Projekt Schiene ein, was ein Zuwachs wäre. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum sind für Bundesfernstraßen acht Milliarden Euro pro Jahr vorgesehen", ordnet Tim Alexandrin als BMDV-Pressesprecher ein.
Über den Zeitraum von den jetzt schon angebrochenen vier Jahren Legislaturperiode soll davon für den Schienenausbau 45 Milliarden als Investitionsmittel verwendet werden und circa 49 Milliarden für die Regionalisierung des Schienenverkehrs.
Auf die Frage, ob und wann mehr Schnellstrecken eingerichtet würden, antwortet Alexandrin: "Im Unterschied zu anderen wir ein sogenanntes Gemischt-Verkehrssystem, das heißt im deutschen Netz fahren ICEs, Regionalbahnen und Güterverkehr alle auf den gleichen Schienen." Das sei ein System, das historisch gewachsen sei, "das lässt sich jetzt nicht so schnell ändern."
Es hätte aber neben Nachteilen wie einer erhöhten Störanfälligkeit auch den Vorteil, dass es viel mehr Anschlussmöglichkeit an Zugnetze von verschiedensten Orten ermögliche. "Das Schienensystem in Frankreich dagegen hat abgekoppelte Fernverkehrsstrecken, die jedoch nur wenige Haltepunkte habe. Wenn man den Regionalverkehr in Frankreich anguckt, dann werden Sie auf dem Land in Frankreich mit der Bahn nicht weit kommen", sagt Alexandrin.
Das System der Deutschen Bahn ist also historisch gewachsen. Aber könnte man nicht zusätzlich ein neues Schienennetz nur für Schnellstrecken einrichten? "Eben nicht", meint Alexandrin aus Perspektive des BMDV. "Die durchschnittliche Bauzeit einer Neubaustrecke beträgt 120 Jahre, das rechnet sich also nicht."
Zum Vergleich: Die meisten Autobahnen wurden in den 1950er-Jahren gebaut. Ein Unterbau hält in der Regel 30 Jahre, der Fahrbahnbelag 10 bis 15 Jahre.
Stattdessen ginge es vor allem darum, das bestehende Schienensystem so auszubauen, dass vieles nach "Takt-Fahrplan" in Deutschland ablaufen könnte. "Dafür wurde zuerst ein Fahrplan für Deutschland gemacht, sodass jede Bahn und auch Regionalbahn darauf abgestimmt ist, wann welcher Zug auf- oder von der Schnellbahnstrecke wieder abgeleitet wird, sodass alles ineinander greift", führt Alexandrin aus.
Er sagt:
Auch Geissler von der Allianz Pro Schiene ist vom Taktfahrplan nach Schweizer Modell überzeugt: "Wenn man sich etwas abschauen könnte, dann ist es vor allem der einheitliche Systemgedanke beim Schienenverkehr in der Schweiz. Hier ist der Fernverkehr wunderbar abgestimmt mit dem Nahverkehr. Bedeutet, wenn der Zug irgendwo in Kleinkleckersdorf Verspätung hat, dann wartet da auch der Bus" – was den Stress beim Umsteigen für Passagiere erleichtern würde.
Nächste Schwachstelle: In Deutschland gibt es zu wenige und sehr störanfällige elektrische Oberleitungen, vor allem beim regionalen Zugverkehr mangele es noch am elektrische Antrieb, wie Kritiker anmerken. "Insgesamt wird der Gesamtverkehr auf der Schiene zu knapp 90 Prozent bereits mit elektrischer Energie betrieben."
Damit fahren jedoch manche Züge auch weiterhin noch mit Kraftstoffen wie Diesel. "Denn bei manchen Nebenstrecken ist es zu teuer und zu aufwendig, sie für wenig Fahrleistung extra zu elektrifizieren." Um aber auch bei solchen Nebenstrecken auf umweltfreundliche Alternativen umzusteigen, würden laut BMVD zunehmend Akku- oder Wasserstoff-Züge eingesetzt werden, wie es bereits auch in den Niederlanden vielerorts klappe – die konkrete Umsetzung sei letztlich aber wieder Ländersache, heißt es vom BMVD.
Die aktuelle Hoffnung für Kurzstrecken im Schienenverkehr läge jedoch bei sogenannten Hybridlocks mit Insellösungen, wie sie vor allem in Japan, aber auch in England bereits genutzt würden: "Das sind Batteriezüge mit Oberleitungsanbindung nur an bestimmten Teilen der Strecke, bei denen sich der Zug beim Fahren auflädt und dann den Rest der Strecke ohne Oberleitung auskommt", erklärt Alexandrin vom BMVD. In Deutschland würde das gerade in Rheinland-Pfalz aufgebaut.
Aber auch in Sachen "Komfort" – beziehungsweise erträglichen Temperaturen während der Sommermonate – gab es in den vergangenen Jahren bei der Deutschen Bahn einiges an Nachholbedarf. Kann sie sich da mehr vom Zugnachbarn in Italien abschauen?
"Mal gucken, wie es jetzt im Sommer ist, aber inzwischen hat man die Klimaanlagen angepasst. Die waren eben vor 20 Jahren noch auf Höchsttemperaturen von maximal 35 Grad eingestellt, was sich inzwischen durch den Klimawandel aber verändert hat", sagt Geissler. Ob diese Anpassung erfolgreich ist, zeige sich dann diesen Sommer.
Auf Nachfrage von watson bei der Deutschen Bahn selber, schreibt ein Sprecher der DB, dass "eine Vielzahl technischer, organisatorischer und personeller Maßnahmen getroffen worden seien", insbesondere eine robustere Infrastruktur, Technik und Fahrzeuge, aber auch ein verstärktes "Vegetationsmanagement für eine sturmsichere Schiene", also Baum- und Sträucherbeschnitt entlang des Schienennetzes.
Und weiter:
Mittlerweile hat sich in Sachen Inklusion etwas bei der DB getan: Zu Ende 2022 sollen zumindest im Berliner Regionalverkehr Züge eingesetzt werden, die auf jeder Seite zwei verschiedene Türen mit unterschiedlichen Höhen haben, sodass man auch bei unterschiedlich hohen Bahnsteigen barrierefrei ein und aussteigen kann.
"Das ist zumindest europaweit ein Novum, dass es nur bei der DB momentan gibt", meint Geissler. Und was sich mit steigendem Durchschnittsalter wahrscheinlich dann andere Zug-Länder von Deutschland abschauen werden, so die Einschätzung des Experten.
Letztendlich wird wohl aus Passagier-Sicht die (Un-)Pünktlichkeit in Deutschland im internationalen Unterschied auch weiterhin negativ auffallen. "Das ist in den Ländern, wo das Schienennetz besser ausgebaut ist, seltener der Fall", sagt Geissler.
Aber: