In ihrem Klimaschutz-Sofortprogramm haben die Grünen festgehalten, welchen Maßnahmen sie sich direkt nach der Wahl widmen möchten – sollten sie Teil der Regierung sein.Bild: Getty Images Europe / Pool
Analyse
Die Grünen haben am Dienstag im Naturschutzgebiet Biesenthaler Becken nördlich von Berlin ihr "Klimaschutz-Sofortprogramm" vorgestellt. Dieses soll die ersten Maßnahmen festhalten, die die Grünen im Fall einer Regierungsbeteiligung umsetzen möchten. Watson hat mit dem Klimawissenschaftler Mark Lawrence darüber gesprochen, wie ein Hundert-Tage-Plan beim Klimaschutz hilft.
Lawrence ist wissenschaftlicher Direktor am Potsdamer Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung. Sein Forschungsschwerpunkt ist unter anderem der Klimawandel.
"Hundert Tage sind an sich ein unwesentlicher Zeitraum, da Klimaschutz eine jahrzehntelange Aufgabe ist. Was in den ersten hundert Tagen aber erzeugt werden kann, ist eine Aufbruchsstimmung im Land", sagt Lawrence. Klimaschutz sei eine Jahrhundertaufgabe, wichtig für die Politik müsse es sein, der Bevölkerung zu zeigen, dass die Wende hin zur CO2-Neutralität nicht nur Verzicht bedeutet, sondern auch Lebensqualität. Lawrence spricht von CO2-Neutralität, weil aus seiner Sicht der Begriff Klima zu Komplex ist, um ihn zu neutralisieren.
"Wenn eine neue Regierung eine Stimmung der Unterstützung erzeugen kann, können danach komplexe Veränderungen angegangen werden."
Mark Lawrence, Klimaforscher
"Im Grunde genommen brauchen wir für einen effektiven Klimaschutz vier Wenden", erklärt Lawrence: "Eine Mobilitätswende, eine Energiewende, eine Konsumwende und eine Industriewende." Aus Sicht des Wissenschaftlers könnten drei der Wenden problemlos in den ersten hundert Tagen angegangen werden – und dafür sorgen, dass die Menschen Freude am Wandel haben.
Das wären die Mobilitätswende – mit einem Ausbau von Ladestationen von E-Autos und Subventionen im ÖPNV-Bereich – die Energiewende – indem die privaten Haushalte bei der Produktion erneuerbarer Energien unterstützt werden – und der Konsumwende – indem beispielsweise durch stärkere und transparentere Kontrollen mehr Vertrauen gegenüber Bioprodukten geschaffen wird. "Wenn eine neue Regierung eine Stimmung der Unterstützung erzeugen kann, können danach komplexe Veränderungen angegangen werden", fasst der Experte zusammen.
Die Energiewende ist eine Stellschraube auf dem Weg zu Co2-Neutralität.Bild: Getty Images Europe / Sean Gallup
Das 1,5 Grad Ziel wird aus Sicht des Wissenschaftlers keine der Parteien mit den aktuellen Positionen erreichen. Das liege aber nicht an den Positionen, sondern daran, dass der Klimawandel eine weltweite Aufgabe ist. Im Allgemeinen hält er das Ziel von maximal zwei Grad Erderwärmung für realistischer. Um das zu erreichen, müsse Deutschland eine Vorreiterrolle einnehmen: "Wenn das Zwei-Grad-Ziel ernstgemeint ist, muss Deutschland nicht nur seine eigene Transformationsbereitschaft vorweisen, sondern auch bereit sein, andere Länder tatkräftig zu unterstützen, ihre eigenen Klimaziele zu erreichen", erklärt der Experte.
"Das ist wie beim Sport oder einer pflanzenbasierten Diät – am Anfang ist es hart, aber dann sind positive Effekte bemerkbar."
Mark Lawrence, Klimaforscher
Wichtig sei dafür auch, dass nach relativ kurzer Zeit die ersten Vorteile wahrgenommen würden. "Das ist wie beim Sport oder einer pflanzenbasierten Diät – am Anfang ist es hart, aber dann sind positive Effekte bemerkbar", sagt Lawrence. Was das Verfehlen des 1,5 Grad Ziels bedeute, fasst Lawrence gegenüber watson zusammen:
"Das alles bedeutet, dass wir die Anpassung stärker betonen müssen, da mit steigenden Temperaturen die negativen Folgen – inklusive Extremereignisse wie die Überflutungen, die wir gerade in Deutschland erlebt haben – häufiger und auch intensiver werden. Da sind die B90/Grünen auf dem richtigen Pfad mit der Kernaussage 'jedes Zehntelgrad zählt, um das Überschreiten von relevanten Kipppunkten im Klimasystem zu verhindern'."
Das Wahlprogramm der Grünen nennt der Wissenschaftler gut recherchiert. "Die Grünen erkennen, dass es wichtig ist, das Ruder in den nächsten fünf bis zehn Jahren herumzureißen", fasst der Wissenschaftler zusammen.
"Fridays for Future" sind die Klimapläne der Parteien nicht genug
Aus Sicht von Fridays-for-Future-Sprecherin Carla Reemtsma sind die Wahlkampfprogramme der Parteien nicht ambitioniert genug. Dass die Grünen in ihrem Sofortprogramm den Kohleausstieg bis 2030 festgehalten haben, sei aber ein Schritt in die richtige Richtung.
Grundsätzlich gelte laut Reemtsma: "Klimaschutz darf sich nicht an einer Wahl festhalten. Wir brauchen jetzt Maßnahmen, die schnell und effektiv Emissionen senken, wie den Ausstieg aus den Subventionierungen von Kohle und Gas und einen CO2-Preis von 180 Euro." Ein niedrigerer CO2-Preis belastet aus Sicht der Aktivistin sonst ausschließlich den Konsumenten, da die Unternehmen diesen weitergäben.
Trotzdem sieht Reemtsma auch eine positive Entwicklung: "Gesamtgesellschaftlich ist das Bewusstsein für Klimaschutz gestiegen." Den Wahlkampf der Parteien nennt sie allerdings "verlogen". Sie begründet ihren Eindruck gegenüber watson:
"Es gibt keine Partei, die mit ihrem Programm das 1,5 Grad Ziel erreichen kann. Die kommende Legislaturperiode ist die letzte, in der der Prozess eingeleitet werden kann. Die Parteien führen aber einen verlogenen Wahlkampf: Sie schreiben Klimaschutz außen drauf, aber halten weiterhin an Gas als Brückentechnologie fest oder planen Autobahnen. Konkrete Maßnahmen bleiben aus."
Watson hat die zentralen Punkte des "Klimaschutz-Sofortprogramm" der Grünen zusammengefasst.
Die Schaffung eines Klimaschutzministeriums mit Vetorecht
Die Grünen wollen im Fall einer Regierungsbeteiligung ein neues Klimaschutzministerium mit einem Vetorecht schaffen. Es soll Gesetze verhindern können, die nicht konform mit dem Pariser Klimaabkommen sind. Außerdem soll eine Klima-Task-Force geschaffen werden, die in den ersten hundert Tagen wöchentlich tagt, um Gesetze schneller klimafreundlich zu novellieren. Die Federführung hierfür solle im Klimaschutzministerium liegen. Nach dem Pariser Klimaabkommen soll die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf deutlich unter zwei Grad begrenzt und alles daran gesetzt werden, den Temperaturanstieg bereits bei 1,5 Grad zu stoppen.
Ausbau der Erneuerbaren Energien
Die Grünen planen einen vorgezogenen Kohleausstieg bis 2030 – bisher ist dieser für spätestens 2038 geplant. Außerdem sollen die erneuerbaren Energien ausgebaut werden. Annalena Baerbock spricht von zwei Prozent der Landfläche, die für Windkraftanlagen genutzt werden sollen. Auch Offshore-Windparks sollen ausgebaut und eine Solarpflicht für öffentliche Neubauten eingeführt werden. Die erneuerbaren Energien seien der Dreh- und Angelpunkt für mehr Klimaschutz und eine wettbewerbsfähige Industrie.
Klimaschutz auf sozial-gerechter Basis
Um die Gesellschaft durch den Klimaschutz nicht zu spalten, möchten sich die Grünen für einen Mindestlohn von 12 Euro einsetzen. So sollen steigende Preise von Konsumgütern ausgeglichen werden. Außerdem soll es ein Qualifikations-Kurzarbeitergeld geben, dass es Unternehmen erlaubt, ihre Beschäftigten auch während eines Transformationsprozesses im Betrieb zu halten. Durch einen Klimabonus-Fonds sollen jene Bürgerinnen und Bürger unterstützt werden, für die die Umstellung finanziell anders nicht zu bewerkstelligen ist.
Beschleunigung der Mobilitätswende
Die Grünen wollen den Autokonzernen einen verlässlichen Rahmen für die E-Mobilität geben. Konkret heißt das im Sofortprogramm: Reform des Straßenverkehrsrechts, Ausrichtung der Kfz-Steuer am Co2-Ausstoß und Ausbau der Ladeinfrastruktur. Außerdem sollen die Finanzmittel im Bundeshaushalt 2022 neu priorisiert werden – zugunsten von Schiene, ÖPNV und Radverkehr.
Wiederbelebung der Moore als Co2-Speicher
Da Moore ein guter Co2-Speicher sind, planen die Grünen diese wieder zu vernässen. Insgesamt sollen zehn Prozent des Energie- und Klimafonds für Maßnahmen im Naturschutz eingesetzt werden. Neben Mooren auch bei Seegraswiesen, Auen und naturnahen Wäldern.
(Mit Material von dpa)
Man kann von Bayern halten, was man will. Manche sind begeistert von der Natur, von München, lieben eines der hiesigen Fußballteams und die deftige Küche; andere finden es spießig, verachten das Land wegen des Oktoberfests und kritisieren (mal mehr, mal weniger zurecht) leidenschaftlich die Landesregierung. In einer Sache ist Bayern jedoch definitiv ein Vorbild: Photovoltaik.