Politik
Analyse

Sondervermögen Infrastruktur: Lücken in den Kommunen stärken die AfD

Die Bochumer in Gelsenkirchen Ückendorf. 03.06.2025, EU, DEU, Deutschland, Nordrhein-Westfalen, Gelsenkirchen: 03.06.2025, EU, DEU, Deutschland, Nordrhein-Westfalen, Gelsenkirchen: Vom No-go zum To-go ...
Gelsen, man kennt's.Bild: IMAGO images/Markus Matzel
Analyse

Keine Frauenhäuser, kaputte Schulen: Das Drama tot gesparter Kommunen

Wenn der Staat spart, zahlen die Schwächsten – und die Rechten profitieren. Wie kaputt gesparte Städte zum Nährboden für Demokratieverdruss werden.
19.10.2025, 15:2619.10.2025, 19:17

Nur wenige Dinge haben so viel Bestand wie Graffitis auf dem Schulklo. Wer nach Jahren seine ehemalige Schule besucht, findet das eigene häufig noch gut lesbar zwischen den Schmähschriften seiner Klassenkamerad:innen. Fehlt das Geld für Sanierungsarbeiten, verwandeln sich Toiletten in stinkende Museen. Das Problem beschränkt sich aber nicht nur auf Bildungseinrichtungen.

Bundesweit kämpfen Kommunen mit fehlenden Mitteln. Schwimmbäder müssen schließen, Kita-Plätze sind rar, der Glasfaserausbau läuft schleppend, Kultureinrichtungen verschwinden, Sozialarbeiter:innen platzt der Terminkalender. Und die finanziellen Spielräume schrumpfen. Vor Ort sinkt die Lebensqualität und das stärkt wiederum antidemokratische Strömungen.

Schwache Kommunen, starke AfD

Gerade in strukturschwachen Regionen erzielt die AfD ihre stärksten Wahlergebnisse. Die jüngsten Kommunalwahlen verdeutlichen das. In Gera gewann die in Teilen rechtsextreme Partei 35,1 Prozent, in Suhl 23,8 Prozent, in Eichsfeld 20,6 Prozent – alles Städte in Thüringen. Der Trend beschränkt sich aber nicht nur auf den Osten Deutschlands. In Essen, Wuppertal, Gelsenkirchen und Dortmund liegen die Werte zwischen 14 und 30 Prozent.

Alle Städte vereint eine hohe Schuldenlast. Große Investitionen sind kaum drin, bestehende Infrastruktur erodiert, ob Verkehr oder Bildung. Der Verfall füttert eine Abstiegsangst, von der die AfD profitiert, wie eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt. Die Partei inszeniert sich als Retterin einfacher Leute. Kommunen könnten hier gegensteuern, indem sie Lösungen aufzeigen und die Menschen auffangen. Doch es passiert das Gegenteil.

Berlin ist hier ein exemplarisches Beispiel. In der Stadt, lange Zeit eine linke Hochburg, konnte die AfD zumindest kleine Sprünge verzeichnen. 2021 waren es bei der Wahl fürs Abgeordnetenhaus 8 Prozent, bei der Wiederholungswahl 2023 bereits 9,1. Mehr Wachstum ist möglich.

In diesem Jahr kürzte der Senat Ausgaben für Verkehr, Kultur und Bildung. Vorwiegend sind Bereiche betroffen, die keine starke Lobby besitzen, etwa Frauenhäuser. Dort findet solidarische Arbeit statt, hauptsächlich ehrenamtlich.

ARCHIV - 18.11.2021, Berlin: In einer Berliner Schultoilette f�llt die benutzte Handtuchrolle vom Handtuchspender auf den Boden. (zu dpa: �Sauberkeit in Berlins staatlichen Schulen: Note 3�) Foto: Ann ...
Sieht aus wie immer: eine Schultoilette, irgendwo in Berlin.Bild: dpa / Annette Riedl

"Alles, was Freiheit stärkt, wird als freiwillig wahrgenommen, wohingegen Großprojekte, Betonprojekte zur Notwendigkeit stilisiert werden", sagt Aktivistin Sam Wüthrich zu watson. Sie engagiert sich in einem Zusammenschluss aus allen von den Kürzungen betroffenen Bereichen, dem Bündnis #unkürzbar, gegen die Sparmaßnahmen des Berliner Senats. In diesem und im vergangenen Jahr protestierte das Bündnis bereits gegen Einsparungen.

Bundesweiter Kampf gegen Sparmaßnahmen

Für 2026/27 plant der Senat Kürzungen einiger Sozialprojekte, etwa zur Suchtprävention. Die Abwärtsspirale geht weiter, trotz angeblichem Rekordhaushalts, wie der Paritätische Gesamtverband ausgearbeitet hat. "Das Wegkürzen sozialer Infrastruktur zerstört Vertrauen in demokratische Politik – und stärkt damit die AfD."

Das Bündnis #unkürzbar ist nur eine von vielen Bewegungen. In Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern oder in Hamburg engagieren sich Sozialverbände gegen eine Sparpolitik, die vor allem Institutionen trifft, die dabei helfen, das Leben lebenswert zu machen.

Kürzungen fußen aber nicht zwangsläufig auf bösen Absichten, nicht auf kommunaler Ebene. Sparzwänge sind das Ergebnis einer verfehlten Haushaltspolitik auf Bundesebene, festgelegt durch einengende Spielregeln.

Sparzwang, ein politisches Problem

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), macht das gegenüber watson anhand dreier Punkte fest. Kommunen seien für verschiedene soziale Leistungen zuständig, darunter die Grundsicherung für Arbeitssuchende, Kinder- und Jugendhilfe und der Sozialhilfe. Das geht ins Geld.

"Wir haben Kommunen, die haben wenig Gewerbesteuereinnahmen und gleichzeitig hohe Sozialausgaben", sagt er. Das sorgt für eine große Diskrepanz zwischen Einnahmen- und Ausgabenseite.

Dann wären da die Schulden. "Wir haben eine Menge Kommunen, die sind sehr verschuldet. Das schränkt Spielräume für große Investitionen ein."

Zuletzt ist da noch das Problem mit dem Bund-Länder-Finanzausgleich. Der ist für eine gerechte Einnahmenverteilung der Länder angedacht, reicht aber laut Fratzscher bei weitem nicht aus.

Die Finanzierungslücke wird so immer größer. Kommunen im Süden, so Fratzscher, würden bis zu 1000 Euro je Einwohner:in im Jahr investieren. "Im Norden, Westen und Osten ist es hingegen häufig nur ein Bruchteil." Mit Investitionen sind Ausgaben für Straßen, für Schulen, für Kitas gemeint. Geld für öffentliche Gehälter kommen obendrauf.

Wegen des Mangels bleiben Schul-Dächer löchrig – und niemand ist da, um sich die Beschwerden der Eltern anzuhören. "Das Dilemma ist, dass immer, wenn Kommunen wenig finanziellen Spielraum haben, sie die Kosten der Daseinsfürsorge kürzen", sagt Fratzscher. Besserung ist angesichts der Umstände nicht in Sicht, im Gegenteil. Ein Blick aufs aktuelle KfW-Kommunalpanel zeigt: Der Investitionsrückstand hat beinahe jährlich zugenommen. Mittlerweile liegt er bei 215,7 Milliarden Euro.

100 Milliarden Euro Sondervermögen, ein Tropfen auf dem heißen Stein

Die Bundesregierung hat zwar ein Sondervermögen für Investitionen in Infrastruktur verabschiedet, von dem auch Kommunen profitieren sollen. Doch das beziffert sich auf 100 Milliarden Euro und soll über einen Zeitraum von zwölf Jahren ausgezahlt werden, umgerechnet acht Milliarden Euro im Jahr. Angesichts des massiven, stetig wachsenden Rückstands nicht mehr als ein Schluck Wasser in der Wüste.

Es braucht reale Verbesserungen, damit Kommunen nicht der soziale Abstieg droht, damit Schulen nicht weiter verfallen, damit soziale Begegnungsorte weiter bestehen können und damit der soziale Abstieg nicht droht. Denn für Unternehmen ist eine Ansiedelung auch an infrastrukturelle Begebenheiten geknüpft.

Sind Straßen und Schienen kaputt, Bildungsstätten brüchig, fällt die Wahl auf einen besseren Standort. Bewohner:innen entgehen Arbeitsplätze, Kommunen Steuereinnahmen. Bestehende Probleme verschärfen sich weiter. Weder auf kommunaler noch auf Bundesebene geben Parteien wie SPD, CDU und Grüne Antworten darauf, was wiederum der AfD den Boden bereitet.

Dabei existieren Lösungen. Sogar solche, die realpolitisch umsetzbar sind. "Der erste Schritt wäre eine Entschuldung der Kommunen. So können die Kommunen deutlich selbstständiger entscheiden", sagt Marcel Fratzscher. Das ließe sich auf Bundesebene durchbringen. Zuschüsse könnten buchstäblich die dringendsten Löcher stopfen.

Eine Mischung aus kurzfristigen und langfristigen Maßnahmen

Fratzschers Ideen sind auf Langfristigkeit angelegt. Einrichtungen, die jetzt unter den Rotstift kommen, rettet das nicht. Hier hat das Bündnis #unkürzbar Ideen – etwa eine Neupriorisierung. "Es gibt Sachen, die kürzbar sind. In Berlin wären das beispielsweise die Countdown-Ampel, die Einzäunung des Görlitzer Parks, die Olympia-Bewerbung", sagt Sam Wüthrich. Auch in anderen Städten dürfte es möglich sein, Finanzierungspläne sozialer zu gestalten.

Es muss sich was tun. Denn der Status-Quo-Erhalt mit gelegentlich kleinen Reformen hat die Städte über Jahre verschleißen lassen. Das stärkt das Vertrauen in eine Partei, die vorgibt, eine Alternative zu sein, wie die Empirie allmählich herauskristallisiert. Geschwächt wird sie nur durch bessere Lebensverhältnisse – durch Begegnungsorte, Kultur, Bildung. Und durch Schulen, in denen Klo-Schmierereien nicht zu Exponaten werden.

Trump verkauft eigenen Alkohol ans US-Militär – "schmeckt nach Enttäuschung"
Donald Trump nutzt seine Präsidentschaft in den USA regelmäßig für das eigene Geschäft. Neuerdings werden alkoholische Getränke der Trump-Familie auf einmal US-Soldat:innen angeboten – doch ist das auch legal?
Immer wieder schmutzige Deals: US-Präsident Donald Trump ist in seinem Leben erst Millionenerbe gewesen, dann Geschäftsmann und schließlich zusätzlich Politiker. Seinen Geschäftssinn lässt er auch als US-Präsident definitiv nicht ruhen. Im Gegenteil: Er nutzt sein Amt sogar aus, um Business zu machen.
Zur Story