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Sudan: Unicef vergleicht Massaker in Al-Faschir mit Genozid in Ruanda

This photo released by UNICEF shows a woman from el-Fasher at a displacement camp where residents sought refuge from fighting between government forces and the RSF, in Tawila, Darfur region, Sudan, We ...
Diese junge Frau floh aus Al-Faschir und entkam dem Blutbad der RSF im Sudan.Bild: UNICEF / Mohammed Jammal
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"Essen Gras": In Sudan wiederholt sich die Geschichte – und die Welt schaut zu

Zwischen Massenflucht und Belagerung: Was der Fall von Al-Faschir über den Krieg im Sudan erzählt – und warum ein Unicef-Gesandter Parallelen zum Völkermord in Ruanda sieht.
12.11.2025, 18:5512.11.2025, 18:55

Die Nachrichten aus Al-Faschir lesen sich wie Warnsignale aus einer Vergangenheit, die nie ganz vorbei war. Zuerst die wochenlange Belagerung, dann der Zusammenbruch: Als die Miliz Rapid Support Forces (RSF) Anfang November die letzte große Stadt in Darfur einnahm, legten Videos und Satellitenbilder eine Erzählung frei, die an Grausamkeit kaum zu übertreffen ist.

Massengräber. Fliehende Familien. Ausgebrannte Häuser. Humanitäre Konvois, die beschossen werden.

Gleichzeitig wächst die Zahl derer, die nur überleben, indem sie fasten, bis es nicht mehr geht. Kinder, die Blätter essen. Erwachsene, die Tierfutter kauen. Und eine internationale Ordnung, die – wieder einmal – viel benennt, aber wenig verhindert.

HANDOUT - 27.10.2025, Sudan, Tawila: Dieses von UNICEF veröffentlichte Foto zeigt vertriebene Kinder und Familien aus Al-Faschir in einem Flüchtlingslager, in dem sie Zuflucht vor den Kämpfen zwischen ...
Einige Kinder aus Al-Faschir konnten fliehen, erlebten jedoch unsagbares Leid.Bild: UNICEF/AP / Mohammed Jammal

"Der Sudan ist ein Testfeld für moderne Kriegsführung", sagt der Unicef-Gesandte Sheldon Yett. Wenn das stimmt, ist Al-Faschir gerade das düsterste Labor.

Sudan: Eine Frau aus Al-Faschir aß Blätter, bis es keine mehr gab

Arafa Adam Maki wollte bleiben. In Faschir, ihrer Heimat. Dann schlugen die Granaten näher ein. "Ich sah, wie Menschen getroffen zu Boden fielen", erzählt die Frau, Mitte 30, laut "Spiegel". In der Nacht nahm sie demnach ein Kind auf den Arm, hielt das zweite an der Hand, das dritte klammerte sich an ihre Kleidung. Dann rannte sie.

Heute ist sie in einem Lager in Dabba, den Schal laut Bericht ins Gesicht gezogen, um nicht erkannt zu werden.

Vorher war ihr Leben einfach, sagt Maki. Man kannte sich, auch die RSF-Männer: Viele stammten aus der Stadt. Dann kam der Krieg, erst begleitet von Engpässen, dann kam die Einkesselung. Ein Erdwall vor den Toren riegelte die Stadt vollkommen ab.

Märkte wurden beschossen, Zuckerlager brannten. "Wir aßen Pflanzen und Blätter von Bäumen", sagt sie. "Doch irgendwann gab es keine Pflanzen mehr."

Al-Faschir im Sudan: Die Stadt, die zu lange standhielt

Über 500 Tage lang war Al-Faschir von der RSF belagert. Internationale Organisationen warnten, ein Fall der Stadt werde ein Massaker auslösen. Sie behielten recht. Vier Tage nach der Einnahme schätzte Nathaniel Raymond vom Yale Humanitarian Research Lab laut "Spiegel" die Zahl der Toten bereits auf mehr als 15.000. Sie könnte inzwischen deutlich höher liegen.

Satellitenaufnahmen zeigen Brandherde, mutmaßlich, um Leichen zu verbrennen. Es floss so viel Blut, dass es aus dem All zu sehen war.

Weitere Bilder, die es trotz Verboten ins Internet schaffen, sind an Brutalität kaum zu überbieten: Sie zeigen Reihen von Toten in Massengräbern, verkohlte Gesichter, Räume voller Leichen. Auf einer Aufnahme geht ein Kämpfer laut "Spiegel" eine Treppe hinab und erschießt den letzten, der sich noch bewegt.

Unicef-Gesandter zieht Parallelen zu Genozid von Ruanda

Sheldon Yett, der Unicef-Gesandte für den Sudan, ordnet das, was er hört und sieht, drastisch ein. Er vergleicht die Massaker mit dem Genozid von Ruanda 1994: "Vieles von dem, was in Teilen des Sudans gerade passiert, erinnert mich daran. Die Berichte über die Raserei. Die Freude am Töten." Es komme zu gezielten Gewalttaten gegen verschiedene ethnische Gruppen.

Yett führt aus, wie sehr das Gewaltregime den Alltag zerstört: "Die Berichte der Überlebenden sind erschütternd: Morde, Erpressung, Vergewaltigungen. Manche zahlen hohe Summen, um zu fliehen. Es herrscht ein völliger Zusammenbruch jeglicher Ordnung." Der Sudan sei ein Testfeld für moderne Kriegsführung.

Noch immer seien in Al-Faschir rund 260.000 Menschen eingeschlossen. Was er beschreibt, deckt sich mit Berichten von unabhängigen Organisationen und auch der Erzählung von Maki: "Sie essen Gras und Tierfutter. Viele sterben an Hunger oder weil Medikamente fehlen."

Sudan: Ärzte ohne Grenzen teilt erschreckende Zahlen aus Tawila

Wie Hunger aussehen kann, dokumentieren Teams von Ärzte ohne Grenzen (MsF) auch in Tawila, 60 Kilometer von Al-Faschir entfernt. Zwischen dem 27. Oktober und dem 3. November, also unmittelbar nach dem Fall der Stadt, waren mehr als 70 Prozent der ankommenden Kinder unter fünf Jahren akut mangelernährt, 35 Prozent davon schwer akut, wie MsF mitteilte.

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In Tawila erhalten viele Geflohene Zuflucht.Bild: UNICEF / Mohammed Jammal

Auch bei Erwachsenen ist das Bild demnach extrem: 60 Prozent seien akut mangelernährt, 37 Prozent schwer akut. Bei Schwangeren und Stillenden sind die Raten noch höher. Diese Beobachtungen decken sich mit dem jüngsten IPC-Bericht, der für das über 500 Tage belagerte Al-Faschir sowie für Kadugli eine Hungersnot feststellt; 20 weitere Gebiete sind demnach bedroht.

Zeug:innen berichten, dass Gemeinschaftsküchen geschlossen wurden, Hilfen blockiert blieben, Märkte beschossen und leergeräumt wurden. Wer Nahrungsmittel in die Stadt bringen wollte, riskierte, von RSF-Kämpfern erschossen zu werden. "Wir fordern alle Konfliktparteien auf, humanitären Organisationen sicheren und ungehinderten Zugang zu gewähren", sagt Myriam Laaroussi, Notfallkoordinatorin von MsF.

Hinter diesen Zahlen aus Tawila stehen weitere Katastrophen: untergewichtige Neugeborene, Cholera-Ausbrüche in provisorischen Lagern, zu wenige Organisationen vor Ort, zu langsame Wiederaufbauhilfe.

RSF gegen die Armee: Warum die Region Darfur schon wieder brennt

Um die Grausamkeit von heute zu begreifen, hilft der Blick zurück. Anfang der 2000er ließ Sudans Diktator Omar al-Baschir arabischstämmige Milizen – die Dschandschawid – gegen Aufstände in Darfur vorgehen. Dörfer wurden niedergebrannt, Frauen vergewaltigt, Hunderttausende getötet, Millionen vertrieben.

Der Internationale Strafgerichtshof stellte den Verdacht auf Völkermord fest und erließ Haftbefehl gegen Baschir. Einer, der innerhalb dieser Gewaltstrukturen aufstieg, war Mohamed Hamdan Daglo, genannt Hemeti. Aus den Dschandschawid wurden 2013 die RSF. Hemeti wurde ihr Kommandeur.

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Sudan, Omdurman: Vertriebene Sudanesen sitzen neben einer von Kugeln durchlöcherten Wand.Bild: AP / Uncredited

Nach dem Sturz Baschirs 2019 übernahm Militärchef Abdel-Fattah al-Burhan die Macht und machte Hemeti zu seinem Stellvertreter. Das Bündnis hielt nicht.

2023 eskalierte die Rivalität in offenen Krieg. Als Burhan die RSF in die reguläre Armee integrieren wollte, begann der Machtkampf zwischen der Armee und RSF, der heute weite Teile des Landes zerlegt.

Geopolitisch brisant: Die Strippenzieher hinter dem Krieg

Der Konflikt ist nicht nur ein inner-sudanesischer. Regionale Mächte mischen mit, aus geopolitischem Kalkül. Ägypten unterstützt Burhan und seine Streitkräfte (SAF), unter anderem wegen Grenzsicherheit und dem Zugang zu Nilwasser. Saudi-Arabien steht ebenfalls aufseiten der Armee.

Die Vereinigten Arabischen Emirate hingegen setzen auf Hemeti und die RSF und ermöglichen so die Gräueltaten.

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RSF-Soldaten richten die brutalsten Massaker im Sudan an.Bild: AP / Hussein Malla

Ein Motiv: Gold. Große Teile des sudanesischen Golds landen über Umwege in den Emiraten. Daneben geht es um Einfluss am Roten Meer und um Machtprojektion am Horn von Afrika. Auch Russland hat Interesse am sudanesischen Gold.

Diese Linien sind brisant, weil sie erklären, warum Waffenströme nicht versiegen und Vermittlung so zäh bleibt. Laut Beobachter:innen könnte nur ernsthafter Druck auf die Emirate die RSF zum Einlenken zwingen. Doch weder die USA noch die Europäische Union scheinen dazu bereit – nicht zuletzt, weil man die Golfstaaten für andere Krisen braucht, auch mit Blick auf den Krieg in Gaza.

Sudan offenbart die Machtlosigkeit der Weltgemeinschaft

Der Krieg im Sudan zeigt, was passiert, wenn die Welt nur zusieht, und dann entsetzt ist, dass Geschichte sich wiederholt. In den Lagern um Al-Faschir sitzen Kinder, die den nächsten Winter kaum überstehen werden, während in den Hauptstädten Strategiepapiere verhandelt werden.

Was dort als "Stabilitätspolitik" gilt, bedeutet hier Überleben oder Tod. Der Unicef-Gesandte Yett sagte, der Sudan sei ein Testfeld für moderne Kriegsführung. Vielleicht ist er längst auch ein Test dafür, ob die internationale Gemeinschaft noch fähig ist, auf einen drohenden Genozid zu reagieren, bevor er Geschichte wird. Mal wieder.

(Mit Material von dpa)

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