Renten-Streit: CDU, Junge Gruppe und SPD starten Schäbigkeitswettbewerb
Selten kam das Thema Rente mit solch enormer emotionaler Wucht daher. Die Koalition droht in der Debatte um das anstehende Paket zu zerbrechen; Bundeskanzler Friedrich Merz, sonst um keine Sozialkürzung verlegen, verteilt überraschend sozialdemokratische Erziehungsschellen; die Junge Gruppe reibt sich aber nicht die Wangen, stattdessen bleibt sie trotzig.
Streitgegenstand ist das Rentenniveau. Das Gesetz der Koalition sieht vor, das Rentenniveau über 2031 hinaus zu stabilisieren, sodass es langfristig um einen Prozentpunkt über dem liegt, wo es vor dem Gesetz gewesen wäre. Für die Bundestagsjugend der Unionsparteien ein unerhörter Angriff auf die Generationengerechtigkeit, muss doch der Nachwuchs dafür bluten. Keine Partei rückt von ihrer Position ab, die Eskalation ist da. Stellt sich die Frage, welche Seite die besseren Argumente hat.
Spoiler: keine.
Die gesamte Diskussion ist ein Witz. Die Akteur:innen führen keine Rentendebatte, sondern einen Überbietungswettbewerb in Sachen Schäbigkeit. Dafür braucht es nicht einmal große Deutungsversuche, sondern lediglich einen kleinen Crashkurs zur Rentenfinanzierung.
Was das Rentenniveau bietet
Erstmal zum Rentenniveau. Das orientiert sich am jährlichen Durchschnittseinkommen. Liegt das zum Beispiel bei 40.000 Euro und das Niveau bei 48 Prozent (was aktuell der Fall ist), gibt es eine Standardrente von 19.200 Euro, also nach 45 Beitragsjahren. Ob eine Person das bekommt, hängt aber stark davon ab, wie viele Rentenpunkte sie gesammelt hat.
Die fallen für jedes Jahr in Beschäftigung an. Entspricht der Lohn dem Durchschnittseinkommen, gibt es einen Rentenpunkt. Liegt er darunter, gibt es nur einen anteiligen Punkt, liegt er darüber, kann es auch mal 1,5 Punkte geben. Jeder volle Punkt bedeutet umgerechnet 40,79 Euro. Die Gesamtpunktzahl wird mit diesem Wert multipliziert und herauskommt die monatliche Rente.
Und wer bezahlt das? Die Beschäftigten. Ein Teil ihres Lohnes fließt in ihre Sozialversicherung und das wiederum an die aktuellen Rentner:innen, Stichwort: Umlageverfahren. Zwar zahlt der Arbeitgeber ebenfalls einen Teil, doch den verrechnet er ohnehin mit den Lohnkosten. Zur Einstellung kann ihm also erstmal egal sein, wie hoch sein Anteil ist. Theoretisch kann er bei einer Erhöhung die Löhne drücken, um einen Ausgleich zu schaffen. Alle nötigen Machtmittel dafür hat er.
Junge Gruppe: Ein zynischer Haufen
Zurück zur Rentendebatte und der wohl schäbigsten Diskurs-Teilnehmerin: die Junge Gruppe. Aufgrund der demografischen Entwicklung befürchtet sie schwere finanzielle Einbußen bei jungen Generationen. Deshalb fordert sie, das Rentenniveau zu senken, um Finanzierungsschwierigkeiten auszugleichen.
Erstmal: das Rentenniveau wird sehr wahrscheinlich sinken. Es geht nur darum, es bis 2031 zu stabilisieren, anschließend greift die Rentenanpassungsformel, die auch die demografische Entwicklung mit einbezieht. Der SPD ist das klar, der CDU ebenfalls, der Jungen Gruppe wahrscheinlich auch. Letztere will die Formel lediglich auf einem Rentenniveau von 47 Prozent anwenden, die Koalition auf 48 Prozent.
Gehen wir davon aus, ein:e Durchschnittsverdiener:in bekommt nur die Standardrente, muss er oder sie sich unter den besten Bedingungen mit nur der Hälfte des ursprünglichen Einkommens zufriedengeben. Wer unter dem Durchschnitt liegt, mit noch weniger. Für sie geht es nicht um 47 oder 48 Prozent, sondern um schlecht oder schlechter. Auch junge Generationen werden übrigens unter einem niedrigeren Rentenniveau leiden, spätestens, wenn sie aus dem Erwerbsleben ausscheiden.
Dass die Junge Gruppe ihre Blockade mit den Interessen junger Menschen verargumentiert, ist perfide. Dass sie im selben Atemzug noch das Renteneintrittsalter quasi erhöhen will, frecher Betrug. Genauso ist es kompletter Irrsinn, CDU und SPD als Bollwerk gegen allzu schwere Angriffe aufs Rentensystem zu verstehen. Sie wollen nicht das Rentenniveau anheben, sondern es lediglich erst nach 2031 senken.
Aufreger der Jungen Gruppe ist auch, dass die Koalition das Rentenniveau mittels Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt stabilisieren will. Das führe zu Wahnsinnsausgaben, zu Monumentalverlusten und was Spardiktat-Vertreter:innen noch so einfällt. Wie Wirtschaftssachverständiger Achim Truger berechnete, entspricht die Ausgabe ab 2027 15 Milliarden Euro, was einem Bruchteil des Bundeshaushalts entspricht. Ein Kleckerbetrag.
Aber auch ein Beleg dafür, dass es Spielräume für höhere Renten gibt, solche, die einen Sturz in Armut wirklich verhindern könnten. Eine Stabilisierung auf 48 Prozent ist erstmal nur ein Heftpflaster. Mehr will die SPD allerdings nicht. Denn das Niveau ließe sich auch anheben, theoretisch ohne höhere Haushaltsausgaben.
Und die Gewinner sind …
Höhere Löhne wären eine Möglichkeit, herbeigeführt durch mehr Mindestlohn und Tarifbindung. Es ginge auch, die Beitragsbemessungsgrenzen anzuheben oder schlicht zu streichen. Arbeitgeber:innen könnten stärker in die Pflicht genommen werden. Alles schlichte sozialdemokratische Maßnahmen für mehr Gerechtigkeit, nur ziehen die Sozialdemokrat:innen diese nicht in Betracht. Auch die CDU nicht, doch so kennen wir eben unsere Mitte-Parteien.
Wer Geld und Produktionsmittel hat, verfolgt die ganze Diskussion wahrscheinlich mit einem feisten Grinsen. Sorgen müssen sich Arbeitgeber:innen nicht, auch nicht Superreiche. Ihre Rente ist ohnehin sicher und zum Ziel für ein gesamtgesellschaftliches Altern in Würde werden sie wahrscheinlich nicht. Stattdessen können sie sogar auf die Junge Gruppe als nächstes Bataillon zur Verteidigung ihrer Interessen betrachten.
