Viktor Markow ist auf dem Weg vom Supermarkt nach Hause. Der 75-jährige Rentner lebt in der russischen Kleinstadt Dedowsk – rund 40 Kilometer nordwestlich von Moskau. Seine Einkaufstasche ist nicht schwer. Die bescheidene Ausbeute: Brot, Kartoffeln, Hühnchen. Eigentlich wollte er noch Äpfel und Kaffee, das kann er sich allerdings nicht leisten.
"Die Preise steigen jeden Tag", sagt er. "Äpfel kosten 150 Rubel (1,37 Euro) und mehr. Der Kaffee 400 Rubel (3,67 Euro). Zu diesem Preis kaufe ich ihn nicht, ich warte auf ein Sonderangebot." Markows Rente beläuft sich auf 22.000 Rubel (etwa 200 Euro).
Die Inflation in Russland ist anhaltend hoch, trotz massiver Zinssteigerungen der Zentralbank. Viele machen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine dafür verantwortlich und wünschen sich ein Ende der Kämpfe.
So auch Markow. Er sieht den Grund für die gestiegenen Preise in den gestiegenen Staatsausgaben. Russland zahle zu viel Geld, um die Rüstungsproduktion anzukurbeln und den Sold der Soldaten zu bezahlen.
"Der Krieg wird weitergehen", prognostiziert er verbittert. "Und für den Krieg braucht man Ressourcen." In diesem Jahr können sich er und seine Frau Nina den traditionellen "roten Kaviar" zum Neujahrsfest nicht leisten.
Russland hatte im Februar 2022 die Offensive in der Ukraine gestartet. Westliche Sanktionen und massive Investitionen ins Militär führten in dem Jahr in Russland zu einer Inflationsrate von zwölf Prozent. Auch in Deutschland und in der EU explodierten damals die Preise vor allem wegen ausbleibender Energielieferungen. Die Lage hat sich aber wieder beruhigt und die Inflationsrate nähert sich wieder dem Zwei-Prozent-Ziel der Europäischen Zentralbank.
Nicht so in Russland: 2023 stiegen die Preise erneut um 7,5 Prozent, im laufenden Jahr zog die Inflation sogar wieder an. Im November lag sie bei 8,9 Prozent. Der massive Wertverfall der Landeswährung Rubel verteuert Importgüter. Hinzu kommt der Arbeitskräftemangel, weil hunderttausende Männer im Militär sind oder sich ins Ausland abgesetzt haben. Die Unternehmen müssen deshalb attraktive Gehälter anbieten, um Personal zu finden, was die Inflation weiter anheizt.
In Dedowsk bekommen die Menschen das jetzt zu spüren. "Ich kaufe kein Rindfleisch mehr, es ist zu teuer", sagt Zinaida Kudrjawzewa. Sie ist 60 Jahre alt und lebt von einer Rente von 16.000 Rubel im Monat (etwas mehr als 140 Euro). "Ich kann mir noch Hühnchen, Milch, Brot und ab und zu Quark leisten, der ist auch teuer geworden." Auch Medikamente hätten sich stark verteuert, ihre Miete könne sie kaum noch zahlen.
"Zum Glück geben mir meine Töchter Kleidung ab. Schauen Sie sich meine Schuhe an, die sind für junge Leute", seufzt Kudrjawzewa verlegen. Dann kommt sie auf den Ukraine-Krieg zu sprechen: "Ich wünsche mir, dass es keinen Krieg mehr gibt."
Harte Zeiten gab es in Russland immer wieder. In den 2010er Jahren waren Kredite häufig das Mittel der Wahl und frisches Geld auf Pump trug maßgeblich zum Wirtschaftswachstum bei. Doch auch Kredite sind mittlerweile für viele unerschwinglich. Die russische Zentralbank erhöhte ihre Leitzinsen im Oktober ein weiteres Mal auf nun 21 Prozent. Zentralbankchefin Elvira Nabjullina schloss angesichts der anhaltend hohen Inflation weitere Zinsschritte nicht aus.
Diese Erhöhungen sind angesichts des hohen Niveaus der Staatsausgaben laut Expert:innen allerdings kein wirksames Mittel, um die Inflation zu senken. Denn die Idee einer restriktiven Geldpolitik zur Inflationsbekämpfung ist, dass sich die Wirtschaft abkühlt und die Nachfrage sinkt. Der Staat reagiert aber deutlich weniger stark auf höhere Kreditkosten als die Privatwirtschaft.
Viele sehen als einzigen Ausweg aus der Situation ein Ende des Krieges. "Natürlich will ich, dass Frieden einkehrt", sagt Viktoria. Die 30-jährige Mutter eines zweijährigen Mädchens wohnt in einem kleinen Holzhaus und arbeitet als Dolmetscherin und Fremdsprachenlehrerin. "Alles, was gerade im Land passiert, verstärkt die Angst der Menschen", sagt sie. Die Preise für Windeln und Babynahrung setzen ihr finanziell zu.
In Dedowsk sind vereinzelt Graffiti zu sehen: "Nein zum Krieg!" ist da etwa zu lesen. Wer so etwas sagt, kann nach den strengen Zensurgesetzen verfolgt werden. Es drohen teils heftige Strafen.
afp/wer