Putin nach Angriffen auf Öl-Anlagen unter Druck: neue Rekrutierungswelle
Offenbar zeigen die ukrainischen Angriffe auf die Ölinfrastruktur und andere kritische Infrastruktur in Russland Wirkung. In Dutzenden russischen Regionen läuft seit Anfang November eine ungewöhnliche Rekrutierungskampagne an: Reservisten sollen künftig nicht nur im Krieg, sondern auch in Friedenszeiten eingesetzt werden: zur "Verteidigung kritischer Objekte".
Das sieht ein Gesetz vor, das Präsident Wladimir Putin am 4. November unterzeichnet hat. Wie die russische Wirtschaftszeitung "Kommersant" berichtet, betrifft die Maßnahme bereits rund 20 Regionen.
Dass der Kreml nun im ganzen Land zivile Verteidigungseinheiten aufstellt, werten Beobachter:innen als Versuch, den wachsenden Druck im Inneren abzufangen. Wie "Kommersant" schreibt, sollen die neuen Truppen vor allem dort stationiert werden, wo der Staat sich besonders verwundbar fühlt – bei Energie, Treibstoff und Kommunikation.
Russland: Mehr "innerer Schutz" nach Angriffen auf Öl-Anlagen
Den Anfang machte die Region Leningrad mit der Bildung eines Bataillons namens BARS-47, das speziell zur Abwehr von Drohnenangriffen und Sabotageakten gegründet wurde. Kurz darauf folgten laut "Kommersant" ähnliche Programme in weiteren Gebieten.
In Tatarstan etwa werden Reservisten seit Ende Oktober zum Schutz von Öl- und Energieanlagen in Kasan und Nischnekamsk angeworben. Nach Angaben des örtlichen Senders NTR-24 reiste die erste Einheit mit 21 Kämpfern bereits zu Trainingslagern in die Regionalhauptstadt.
Auch Baschkortostan baut sogenannte "mobile Feuergruppen" auf, die Raffinerien und Chemiebetriebe wie Baschneft, Ufaneftekhim oder Anlagen von Gazprom schützen sollen. In der Region Nischni Nowgorod haben die ersten 15 Freiwilligen bereits ihre Verträge unterschrieben. Nach militärischer Vorbereitung sollen sie zur Bewachung wichtiger Infrastrukturobjekte eingesetzt werden.
Bereits im vergangenen Jahr entstanden in den Grenzregionen Belgorod, Brjansk und Kursk Einheiten des BARS-Systems ("Bojewoi Armiejskij Rjeserv Strany" – Kampfarmeereserve des Landes). Sie unterstehen den lokalen Behörden und übernehmen dort ähnliche Aufgaben: die Sicherung von Energieanlagen und militärisch wichtigen Punkten.
Nun soll dieses System laut "Kommersant" landesweit ausgebaut werden. In Brjansk und Kursk werden zusätzliche Truppen aufgestellt, die mit bestehenden Einheiten zusammenarbeiten. In Belgorod bleibt offenbar die bisherige Struktur bestehen. Offiziell heißt es, die Reservisten würden nur im jeweiligen Heimatgebiet eingesetzt. Doch der Gesetzestext enthält keine solche Einschränkung. Lediglich die individuellen Verträge sollen das festlegen.
Putin-Auftrag: Drohnen abwehren, Bevölkerung evakuieren
Aus Unterlagen des Programms in Nischni Nowgorod geht hervor, dass das Verteidigungsministerium garantieren will, dass die Einsätze nur in der Region stattfinden. In den Grenzgebieten jedoch umfassen die Aufgaben weit mehr: Neben dem Schutz vor Drohnen sollen die Reservisten Sabotagegruppen bekämpfen, Evakuierungen unterstützen und im Notfall den "antiterroristischen Modus" aufrechterhalten.
Das neue Gesetz erlaubt es, die sogenannten Mobilisierungsreserven im Rahmen spezieller Übungen einzuberufen. Die Regierung soll dafür noch genaue Regeln festlegen. Ein entsprechender Entwurf wurde am 7. November auf dem Portal für Gesetzesprojekte veröffentlicht.
Mitmachen dürfen laut Entwurf Männer zwischen 18 und 65 Jahren, abhängig vom militärischen Rang. Für Soldaten und Unteroffiziere gilt eine Altersgrenze von 50 Jahren, für Offiziere bis zu 65. Voraussetzung sind mindestens die mittlere Schulbildung, eine körperliche Tauglichkeitsstufe von "B" oder besser sowie ein sauberer Strafregisterauszug.
Dabei lockt Russland die Reservisten mit zahlreichen Versprechungen. Der Dienst dauert demnach etwa maximal sechs Monate pro Jahr. Während dieser Zeit gelten die Reservisten offiziell als Soldaten – inklusive Sold, Sozialleistungen und Prämien. Laut "Kommersant" liegen die Bezüge zudem deutlich über dem regionalen Durchschnittseinkommen.
Der Zeitpunkt ist auffällig: In den vergangenen Monaten hatten ukrainische Drohnen wiederholt russische Ölraffinerien und Energieanlagen getroffen, teils hunderte Kilometer hinter der Frontlinie. Treibstoff ist infolgedessen knapp geworden, die Preise dafür trieben in die Höhe. Dazu kommt, dass Öl als finanzielles Schmiermittel für Putins Krieg in der Ukraine gilt. Die Rekrutierung zeigt also: Der Kreml steht wegen der Angriffe zunehmend unter Druck.
