Europa kauft Drohnen aus der Ukraine – und unterliegt gefährlichem Irrtum
Europa rüstet sich für eine neue Form der Kriegsführung, die in der Ukraine seit Beginn der russischen Invasion längst Alltag ist: den Drohnenkrieg. Seit russische Drohnen immer häufiger über europäischen Luftraum fliegen, wächst die Sorge, dass die eigenen Armeen für die falsche Art Krieg vorbereitet sind.
Die Ukraine hat in knapp vier Jahren gezeigt, wie sich ein Land gegen eine militärische Übermacht behaupten kann: mit Kreativität, Tempo und technologischem Wagemut. Alles geboren aus der Not.
Deshalb kaufen mehr und mehr europäische Staaten ukrainische Drohnentechnik. Doch Fachleute warnen jetzt vor einem gefährlichen Irrtum. Denn der Kauf allein bringt kaum etwas, wenn es hart auf hart kommt.
Ukraine: Durch den Krieg hat das Land massive Drohnen-Expertise
Seit 2022 hat Kiew den Einsatz von Drohnen zur eigenen Überlebensstrategie gemacht und dabei den Krieg neu definiert. Aus improvisierten Bastelprojekten wurden hochpräzise Waffensysteme, aus Start-ups militärische Schlüsselpartner. Laut dem Atlantic Council stieg die Zahl ukrainischer Drohnenhersteller von wenigen Betrieben auf Hunderte.
Millionen Fluggeräte werden inzwischen jedes Jahr produziert: von billigen Aufklärungsdrohnen bis zu Angriffsdrohnen, die weit ins russische Gebiet vordringen können.
Damit gleicht die Ukraine fehlende Artillerie und Luftwaffe aus. So zwingt Kiew Russland, seine Taktik zu ändern. An der Front bilden die Drohnen eine zehn Kilometer tiefe "Mauer", die Bewegungen des Gegners überwacht und gezielt angreift.
Selbst auf See setzt Kiew unbemannte Boote ein, die die russische Flottenblockade im Schwarzen Meer gebrochen haben. Putins Marine zog sich daraufhin nach Noworossiysk zurück: ein Symbol für den Machtverlust Moskaus.
Ukraine-Krieg: Drohnentechnik wurde immer professioneller
Der Erfolg hat Kiews Armee verändert. Im Sommer 2024 gründete die Ukraine als erstes Land weltweit eine eigene militärische Einheit nur für unbemannte Systeme: die Unmanned Systems Forces. Parallel dazu entstand der staatlich geförderte Innovationsverbund Brave1, der Militär, Staat und Tech-Unternehmen verbindet.
Er gilt inzwischen als Motor einer neuen Verteidigungsökonomie, die militärische Bedürfnisse und zivile Innovationskraft verschmilzt. Doch die wichtigste Ressource bleibt der Mensch. Laut Maria Berlinska, Leiterin des Projekts Victory Drones, hängen etwa 90 Prozent des Erfolgs im Drohnenkrieg vom Training des Teams ab, nicht von der Technik. Ohne eingespielte Crews bleibe selbst die beste Drohne nutzlos, erklärt sie laut Atlantic Council. Mit dem Kauf der Technik ist es also nicht getan.
Drohnen: Europa muss auf Training statt nur auf Technik setzen
Ukrainische Drohnenpiloten müssen mehr können als nur fliegen: Sie reparieren, programmieren, passen ihre Systeme in Echtzeit an. Ihre Ausbildung dauert Monate. Um diesen Standard zu sichern, hat das Verteidigungsministerium mehr als 30 Trainingszentren zertifiziert, ergänzt durch ein Netz freiwilliger Initiativen und eine mobile Drohnenschule, die in einem Bus von Frontabschnitt zu Frontabschnitt fährt.
Doch während die Ukraine Ausbildung und Technologie gemeinsam denkt, setzen viele europäische Staaten vor allem auf Beschaffung. Der ukrainische Drohnenexperte Fedir Serdiuk warnte im Interview mit "Euronews": "Ich sehe mehr Fabriken als Trainingszentren entstehen. Das ist ein großer Fehler. Es geht nicht nur um technische, sondern auch um taktische Fähigkeiten."
Drohnen ohne Expertise: Ukraine als Lehrmeister von Europa
Genau hier liegt das Problem. Während europäische Länder Millionen in Drohnen investieren, fehlt es an den Menschen, die sie effektiv einsetzen können. Das Wissen, das die Ukraine in blutigen Monaten an der Front gesammelt hat, lässt sich nicht einfach einkaufen. Es muss vermittelt werden.
Deshalb beginnen Staaten wie Dänemark, Polen und Großbritannien inzwischen, ukrainische Ausbilder ins Land zu holen. Laut dem Atlantic Council teilen sie dort ihre Erfahrungen mit westlichen Streitkräften. Dabei reicht diese Wissensvermittlung von Einsatzplanung über Wartung bis hin zu improvisierten Strategien gegen feindliche Angriffe.
Damit verschiebt sich das sicherheitspolitische Machtzentrum Europas. Die Ukraine wird – ausgerechnet im Krieg, zum Lehrmeister der westlichen Armeen. Oder, wie Analyst David Kirichenko es formuliert: "Technologie ist nichts ohne Training." Ein Satz, der Europas Verteidigungspolitik nachhaltiger verändern könnte als jede neue Drohne.
