Die WDR-Sendung "Die letzte Instanz" hat so viel Kritik hervorgerufen, dass inzwischen in der Mediathek ein Vorspann davor steht: "Die nachfolgende Sendung steht aktuell unter Kritik – und das zurecht." Grund für den Protest: Vor der Kamera diskutierten vier Prominente unter anderem über das Thema Rassismus. Allerdings waren nicht nur alle Gesprächspartner weiß, darüber hinaus fehlte offenbar auch jegliche Sensibilität für das Thema.
So antwortete etwa die Moderatorin Janine Kunze auf die Frage, ob das Produkt "Zigeunersauce" von Herstellern zurecht umbenannt wird: "Ich finde, da sitzen jetzt wahrscheinlich so zwei bis drei Leute, ich sage das jetzt mal so lapidar, die haben vielleicht auch nichts Besseres zu tun und fangen dann in meiner Welt mit so einem Quatsch an." Showmaster Thomas Gottschalk sagte, dass er schon mal auf einer Party in Jimi Hendrix-Verkleidung erlebt habe, "wie sich ein Schwarzer fühlt".
In einem Twitter-Post schrieb die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, dass viele nach den Debatten des letzten Jahres gehofft hätten "weiter zu sein, nicht nur in der Zusammensetzung der Runde." Watson hat mit zwei Personen gesprochen, die man stattdessen als Experten zum Thema Rassismus hätte einladen können, und nachgefragt, wie sie die Sendung bewerten – und wie weit wir beim Thema Rassismus wirklich gekommen sind.
Karim Fereidooni ist Juniorprofessor an der Ruhr-Universität Bochum und forscht zu den Themen Rassismus und Diversität im Bildungswesen. Darüber hinaus berät Fereidooni die Bundesregierung zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus. Gegenüber watson erklärt er:
"Mich hat die Sendung sehr erstaunt. Ich verstehe nicht, wie man nach dem Jahr 2020, in dem Rassismus in Deutschland so breit thematisiert wurde, in so einer Sendung immer noch so tun kann, als ob es Rassismus nicht gäbe. Und dann die Rechtfertigung: 'Ich habe aber Freunde, die schwarz sind und die das nicht stört.' Das funktioniert nicht. Diese Berufung auf vermeintliche Autoritäten führt einfach dazu, dass Menschen sich ungeniert rassistisch äußern, in dem Glauben, sie dürften das. Das hat man in der Sendung gesehen. Ich habe das Gefühl, keiner der Gesprächspartner wusste überhaupt, was Rassismus bedeutet und was solche rassismusrelevanten Begriffe mit den Betroffenen machen.
Ich verstehe, dass der WDR Prominente einlädt, um für mehr Unterhaltung zu sorgen, aber die Auswahl der Gäste war einfach schlecht. Und damit meine ich nicht nur, dass alle weiß waren. Auch weiße Menschen können und sollen über Rassismus sprechen. Aber bitte in einer sensiblen und informierten Art und Weise. Diese Sensibilität und Informiertheit hat in der Sendung leider komplett gefehlt. Die Leute dort haben über eine Alltagsrealität geredet, von der sie nicht betroffen sind und diese dann zusätzlich auch noch geleugnet.
Man darf das meiner Meinung nach auch nicht auf sein Alter schieben und sagen, man habe das halt so gelernt. Erstens waren solche Wörter noch nie in Ordnung. Und zweitens reden wir doch immer über lebenslanges Lernen. Thomas Gottschalk hat sich auch beigebracht, mit dem Smartphone umzugehen. Der ist ein intelligenter Mensch. Ich bin mir daher sicher, er könnte auch lernen, keine rassistischen Begriffe mehr zu verwenden.
Ich finde es richtig, dass einige der Beteiligten sich entschuldigt haben und dass auch der WDR selbstkritisch war. Noch richtiger fände ich es, wenn es eine zweite Sendung gäbe, in der nochmal dieselben Fragen diskutiert werden. Dann aber von Rassismus-Experten, People of Colour sowie Sinti und Roma – also eben von Leuten, die sich auskennen und Rassismus erleben."
Aminata Touré ist Abgeordnete und Vizepräsidentin des schleswig-holsteinischen Landtags. Zudem ist sie Sprecherin der Grünen-Fraktion, unter anderem für die Themen Antirassismus und Migration. Gegenüber watson erklärt Touré:
"Von einem Sender wie dem WDR erwartet man eigentlich mehr. Was mich so entsetzt hat: Das sind ja nicht nur die Leute vor der Kamera, sondern auch die dahinter, die das offenbar für normal halten. Aber es bringt meiner Meinung nach nichts, da jetzt nur auf Einzelne zu zeigen. Rassismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und damit deutlich größer als eine Redaktion oder Talk-Show.
Mich nervt aber vor allem, dass wir in Deutschland immer wieder dieselben Debatten führen. Die Fragen, die in dieser Sendung gestellt wurden, sind nicht so kontrovers, wie da suggeriert wurde. Eigentlich lassen sie sich mit einem Mal Googeln beantworten. Dann sieht man nämlich im Prinzip schon am ersten Eintrag, warum es nicht okay ist, solche Begriffe zu benutzen. Und wenn man sie dann trotzdem benutzt, muss man eben mit solchen Reaktionen rechnen, wie es sie nach der Sendung gab.
Eben weil die Antworten auf diese Fragen klar sind, sollten wir aufhören, immer die gleichen, lächerlichen Diskussionen über eine vermeintliche Sprachpolizei zu führen. Warum reden wir überhaupt darüber, ob man rassistische Begriffe benutzen darf? Stattdessen sollten wir über Themen wie Racial Profiling oder Zugang zu Bildungseinrichtungen sprechen. Das sind die wichtigen Dinge.
Im letzten Jahr gab es schon eine positive Entwicklung. Von Rassismus Betroffene haben sich solidarisiert und angefangen, sich mehr zu wehren. Sie sind sichtbarer geworden. Es ist gut, dass solche Vorfälle wie in der Sendung nicht mehr unkommentiert stehen gelassen werden.
Ich denke, junge Menschen spielen da eine wichtige Rolle. Die jüngere Generation ist beim Thema Rassismus aufgeklärter. Heutzutage wird man einfach mehr damit konfrontiert. Und wenn man sich zum Beispiel die "Black Lives Matter"-Proteste anschaut, sieht man, wie viele junge Leute sich dort engagiert haben. Daher glaube ich, dass junge Menschen da auf jeden Fall Veränderungen bewirken können.
Aber natürlich heißt das nicht, dass junge Leute frei von rassistischem Denken sind. Und es ist auch eine Illusion zu glauben, dass innerhalb von ein paar Monaten solche Probleme gelöst werden können. Rassismus ist eine tiefsitzende Ungerechtigkeit und wir stehen immer noch am Anfang."