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Experte zu #allesdichtmachen: "Einfach unnötig, Öl ins Feuer zu kippen"

SCREENSHOT - 23.04.2021, ----: Die Kombo aus einzelnen Video-Standbildern der Internetaktion #allesdichtmachen via Youtube zeigt Schauspieler, die sich an der Internetaktion unter dem Motto #allesdich ...
Schauspieler Jan Josef Liefers und 52 weitere Schauspieler kritisieren die Corona-Maßnahmen der Regierung. Bild: dpa / -
Analyse

Experte für Verschwörungs-Mythen kritisiert #allesdichtmachen: "Hier nutzen bekannte Menschen ihren Status und höhlen weiter die Demokratie aus"

23.04.2021, 14:5824.04.2021, 11:19
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Die Aktion hat eingeschlagen, ohne Frage. Unter dem Hashtag #allesdichtmachen haben 53 Schauspielerinnen und Schauspieler am Donnerstagabend gleichzeitig auf Instagram und Youtube Videos verbreitet, in der sie Kritik an den Maßnahmen der Pandemiebekämpfung in Deutschland üben. Sie tun das auf eine Weise, die zumindest in Teilen Verschwörungserzählungen rund um die Pandemie bedient.

Ein prominentes Beispiel ist das Video von Schauspieler Jan Josef Liefers, der sich in seinem Video ironisch bei "allen Medien unseres Landes" bedankt, die "dafür sorgen, dass kein unnötiger kritischer Disput uns ablenken kann zu der Zustimmung zu den sinnvollen und immer angemessenen Maßnahmen unserer Regierung". Er unterstellt damit, alle Medien in Deutschland hätten den Plan, keine Kritik an der Corona-Politik laut werden zu lassen – während wenige Klicks reichen, um bei den reichweitenstärksten Medien des Landes reihenweise kritische Kommentare zur Regierungspolitik zu lesen.

Was bewirkt die Aktion der prominenten Schauspieler? Befeuern sie damit Verschwörungserzählungen über die Corona-Pandemie?

Watson hat darüber mit Alexander Waschkau gesprochen. Waschkau ist Psychologe und Publizist. Bekannt ist er vor allem durch den Podcast "Hoaxilla", den er zusammen mit seiner Ehefrau Alexa Waschkau seit 2010 moderiert. In dem Audio-Format beschäftigen sich beide aus wissenschaftlicher Perspektive mit Verschwörungsmythen und anderen Legenden.

"Hier nutzen bekannte Menschen ihren Status und höhlen weiter die Demokratie aus."

watson: Herr Waschkau, was haben Sie gedacht, als Sie die Videos der Aktion #allesdichtmachen gesehen haben?

Alexander Waschkau: Erst mal war ich entsetzt. Dann habe ich mich gefragt, ob das Satire ist oder ernst gemeint? Erst später am Abend habe ich dann, auch wegen der Recherchen von Journalisten, gesehen, dass das eine durchaus ernstgemeinte Aktion ist.

Und wie bewerten Sie diese ernstgemeinte Aktion?

Es ist genau das passiert, vor dem ich schon gewarnt habe, als Michael Wendler begonnen hat, Verschwörungsmythen zu verbreiten. Hier nutzen bekannte Menschen ihren Status und höhlen weiter die Demokratie aus. Wir haben ja schon am Freitagmorgen gesehen, dass viele zurückrudern und sagen: "So war es gar nicht gemeint, wir sind gar keine Querdenker und wollen nichts mit Rechtspopulisten zu tun haben." Aber das Kind ist in den Brunnen gefallen.

Warum sehen Sie das so?

Weil die Schauspieler ganz klar die Narrative aus genau dieser Richtung bedient haben. Die Twitter- oder Instagram-Statements danach, in denen sie sich distanzieren, die liest dann keiner mehr. Das haben wir immer wieder erlebt bei solchen Situationen: Eine spätere Einordnung oder Richtigstellung wird nicht mehr wahrgenommen und nicht mehr geteilt. Gerade bei Menschen wie Herrn Liefers muss man sich da schon fragen: Gibt's da keinen Beraterstab, der da noch einmal drüber schaut und dann abrät von so einer Aktion?

Sie meinen, der Schaden lässt sich nicht mehr reparieren.

Wenn man Liefers' Statement jetzt im Nachgang liest, denkt man sich: Warum haben Sie dann nicht sofort das gesagt, sondern etwas Anderes? Er hat das ironisch dargestellt, es aber als professioneller Schauspieler sehr echt wirken lassen. In einem Video wie diesem hört man Ironie nicht.

SCREENSHOT - 23.04.2021, ----: Richy M
Schauspieler Richy Müller in einem der umstrittenen Videos.Bild: dpa / -

Was Herr Liefers in seinem Video sagt, ist ja, kurz zusammengefasst: Alle Medien sagen das gleiche und lassen keine kritische Diskussion zu. Verbreitet er da aus Ihrer Sicht einen Verschwörungsmythos?

Seine Formulierung hat mich entsetzt. Ob es jetzt ein Verschwörungsmythos ist, den er da verbreiten möchte, sei mal dahingestellt. Aber das ist natürlich genau das Narrativ, das in den Vereinigten Staaten unter Präsident Donald Trump über vier Jahre hinweg zum Sturm auf das Kapitol geführt hat. Das mag Herr Liefers nicht gewollt haben.

Sondern?

Vielleicht macht er sich wirklich einfach nur Sorgen um meine Kolleginnen und Kollegen. Aber die Wirkung, die er mit diesem Statement erreicht hat, ist eben eine andere. Und entweder ist er unglaublich naiv. Oder er war sich dessen bewusst und hat das in Kauf genommen. Das kann nur er selber beantworten.

"Wir müssen nur auch ganz klar sagen, dass Meinungsfreiheit auch immer bedeutet, dass das Handeln und auch das Ausdrücken von Meinungen Konsequenzen haben kann."

Bei den Reaktionen auf #allesdichtmachen gibt es zwei Pole. Zum einen Äußerungen von Menschen wie Ihnen, die sich deswegen große Sorgen machen. Auf der anderen Seite Aufforderungen dazu, sich zu beruhigen. Das seien schließlich Äußerungen, die von Kunst- und Meinungsfreiheit gedeckt sind und die man am besten nicht beachtet. Warum wäre es auch Ihrer Sicht falsch, das eher zu ignorieren?

Klar, die 53 Schauspielerinnen und Schauspieler haben von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht. Dagegen gibt es erst mal nichts zu sagen. Wir müssen nur auch ganz klar sagen, dass Meinungsfreiheit auch immer bedeutet, dass das Handeln und auch das Ausdrücken von Meinungen Konsequenzen haben kann. Und die Konsequenzen, das werden wir in den nächsten Tagen und Wochen erleben, werden nicht schön sein.

Welche Konsequenzen meinen Sie?

Ich glaube, dass eine breite Basis der Gesellschaft diese Aussagen nicht teilen wird. Und das wird sie ihren Idolen mitteilen. Diese Menschen haben ja auch schon vorher in der Presse kritisiert, man dürfe nicht sagen, was man will. Jetzt haben sie gesagt, was sie sagen wollen und müssen mit den Konsequenzen leben.

Das ist aber nicht gefährlich, sondern eher normaler Meinungsstreit.

Ja, die Aussagen sind aber aus einem anderen Grund gefährlich. So prominente Menschen wie Liefers, Ulrich Tukur oder Ricky Müller haben eine unglaubliche Reichweite. Sie erreichen auch unpolitische Menschen und bringen sie mit diesen Verschwörungsnarrativen in Kontakt.

Also ähnlich, wie es bei Michael Wendler und Attila Hildmann auch war.

Das habe ich bei Herrn Wendler und Attila Hildmann auch schon gesagt. Damit können sie Menschen erreichen, die – wie wir alle – von der Pandemie frustriert sind. Die sich aber bisher an die Regeln halten. Und jetzt, während weiter Menschen an Covid-19 sterben und die Zahlen in den Krankenhäusern steigen, bringen Schauspieler des "Tatort", eines der größten und beliebtesten Fernsehformate, weitere Menschen mit diesen Narrativen in Berührung, die vorher damit nicht in Berührung wurden. Das ist eine echte Gefahr für die Demokratie.

"Es reicht ja, nur mal die Presseschau im Radio anzuhören, um zu merken, dass da definitiv nicht alles von den Medien gedeckt und getragen wird, was die Regierung tut."

Nun ist ja – anders, als Herr Liefers behauptet – die Kritik an der Regierungspolitik sehr laut in allen Medien, in den klassischen redaktionellen wie in den sozialen Medien. Wo verläuft denn aus Ihrer Sicht die Grenze zwischen politischer Kritik und Aktionen wie #allesdichtmachen, die aus Ihrer Sicht gefährlich sind?

Wenn jetzt Menschen aus Medien, Film und Fernsehen die Presse auf diese undifferenzierte Weise kritisieren, dann kann bei Menschen auch der Eindruck entstehen: Wenn schon diese Leute, die so nah dran sind am Medienbetrieb, sagen, dass da was nicht stimmt, dann stimmt doch wirklich was nicht. Und die Wahrheit ist eben eine ganz andere: Die Kritik an der politischen Lage aktuell ist so laut wie nie während der Pandemie. Wir erleben das im Bundestag, wo zwischen den demokratischen Parteien viel und hart diskutiert wird. Wir erleben es in den Medien: Es reicht ja, nur mal die Presseschau im Radio anzuhören, um zu merken, dass da definitiv nicht alles von den Medien gedeckt und getragen wird, was die Regierung tut. Insofern ist es einfach unnötig, hier wieder Öl ins Feuer der Verschwörungs- und Querdenken-Narrative zu kippen.

Was ist für wirtschaftlich und beruflich erfolgreiche Menschen wie Jan Josef Liefers – die im Gegensatz zu vielen anderen Kulturschaffenden weiterarbeiten und Geld verdienen konnten in der Pandemie – der Antrieb, an so einer Aktion teilzunehmen?

Eigentlich müsste man das Herrn Liefers selbst fragen. Eine wohlwollende Interpretation wäre, dass er denkt, gerade weil er noch in der Lage ist zu arbeiten und Reichweite hat, will er sich für Kolleginnen und Kollegen einsetzen. Und es wirkt zumindest so, als habe er wirklich gemeint, dass er mit diesem Video, mit der Beteiligung an dieser Aktion seinen weniger privilegierten Kolleginnen und Kollegen einen Gefallen tut. Es war aber aus meiner Sicht die denkbar schlechteste Entscheidung, die er da getroffen hat.

ARCHIV - 16.11.2017, Frankfurt/Main: Der Schauspieler Ulrich Tukur. (zu dpa �Schauspieler sorgen mit #allesdichtmachen f�r Aufsehen�) Foto: Arne Dedert/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Ulrich Tukur hat sich ebenfalls an der Aktion beteiligt.Bild: dpa / Arne Dedert
"Diese Schauspieler hätten sich auch an der Werbung für die Impfkampagne beteiligen können. Sie hätten 1000 bessere Wege gehabt, sich an der Debatte um die Pandemie zu beteiligen."

Warum?

Weil Menschen in privilegierte Stellung sich auf ganz andere Weise einsetzen können, um wirklich zu helfen. Es gibt bei #allesdichtmachen ja auch das Video von Schauspieler Ricky Müller, in dem er eine "Zwei-Tüten-Atmung" zeigt. Dazu sagen jetzt aufgebrachte Intensivpflegerinnen und Intensivpfleger, dass sie dieses Atmen in die Tüten als Karikatur ihres Alltags auf den Intensivstationen sehen, wo junge Menschen gerade beatmet werden und um ihr Leben kämpfen. Nochmal: Diese Videos sind wirklich die schlechteste Alternative. Diese Schauspieler hätten sich auch an der Werbung für die Impfkampagne beteiligen können. Sie hätten 1000 bessere Wege gehabt, sich an der Debatte um die Pandemie zu beteiligen. Die Aktion wird jetzt auch Konsequenzen für ihre Arbeit haben.

Welche?

Diese 53 Prominenten werden jetzt von anderen Menschen instrumentalisiert, das werden sie nicht mehr loswerden. Jetzt müssen sie nur noch aufpassen, dass sie nicht in das Narrativ der "Cancel Culture" hineinkommen, weil das ist klar rechtspopulistisch geprägt. Denn man darf ja alles sagen in unserem Land, solange es nicht strafbar ist. Man muss aber mit den Konsequenzen rechnen und man muss die Moral dessen, was man sagt, mitberücksichtigen. Davon spricht einen niemand frei.

Angenommen, jemand aus dem Bekanntschaftskreis wird nun aufgrund dieses Videos mit Verschwörungsmythen konfrontiert – beispielsweise, dass Regierung und Medien angeblich eingeschworen zusammenarbeiten würden. Wie sollte man reagieren?

Es ist relativ einfach, kritische Medien zu finden. Man kann diesen Menschen zum Beispiel die tägliche Presseschau im "Deutschlandfunk" zeigen, die es als Audiodatei und als schriftlichen Text gibt. Dort werden mehrere Zeitungen zitiert, die Ereignisse unterschiedlich kommentieren und oft die Regierung kritisiert. Daraufhin kann man fragen: "Findest du, dass die da unkritisch sind?" Wir reden ja hier von Bauchgefühlen, vom "Confirmation Bias", wie man ihn nennt.

Man nimmt nur das wahr, was der eigenen Meinung entspricht.

Ja, vor allem, wenn man ohnehin das Gefühl hat, irgendwer oder irgendwas verschwört sich gegen mich. Dabei kann man das Narrativ von den angeblich einheitlichen Medien schon mit ein paar Klicks widerlegen. Was auf jeden Fall falsch ist: Andere zu beschimpfen und zu sagen, du bist dumm, weil du das glaubst. Man sollte immer versuchen, mit Quellen und Belegen zu argumentieren.

Jens Spahn hat am Freitagvormittag in der Bundespressekonferenz gesagt, er wolle mit den Schauspielern hinter #allesdichtmachen reden. Halten Sie das für die richtige Reaktion?

Das ist eine spannende Frage. Ich verstehe den Impuls Spahns, als einer der politischen Hauptverantwortlichen im Rahmen der Pandemiebekämpfung das Gespräch zu suchen. Und im Grunde genommen ist es auch ein gutes Signal, weil es dem Narrativ der "Cancel Culture" entgegenwirkt. Ich hoffe, dass in einem solchen Gespräch auch sehr deutlich gemacht wird, welcher Schaden hier gerade angerichtet worden ist.

Sie hatten schon im Oktober 2020, nach dem Abdriften Michael Wendlers, im watson-Interview über die Gefahr gesprochen, dass Prominenten, die Verschwörungsmythen verbreiten, andere Menschen folgen könnten. Sie sagten damals: "Im Moment schauen wir da alle, inklusive Regierung und Sicherheitsbehörden, tatenlos zu.“ Sehen Sie das immer noch so?

Nein, ich glaube, wir sind deutlich aufmerksamer geworden. Ich glaube, dass der Fall von Michael Wendler für eine gewisse Sensibilisierung gesorgt hat. Viele Medien schauen inzwischen genauer hin bei Verschwörungserzählungen. Bei #allesdichtmachen gingen die Recherchen ja schon in der Nacht los, um zu verstehen, ob das ironisch gemeint ist und wer dahintersteckt. Also nein, tatenlos schauen wir nicht mehr zu. Aber gerade bei den Strafverfolgungsbehörden ist noch Luft nach oben: Herr Hildmann ist momentan irgendwo, aber nicht in Haft, obwohl ein Haftbefehl gegen ihn vorliegt.

"Nehmt noch einmal Kontakt mit diesen Menschen auf. Gebt ihnen zumindest die Chance, nach der Pandemie andere Kontakte zu haben, als nur die in den Blasen, in denen sie sich in den vergangenen Monaten bewegt haben."

Mit Blick auf Israel, Großbritannien und die USA und auf den Impffortschritt in Deutschland könnten wir bereits im Sommer aus dem Gröbsten der Pandemie raus sein. Was wird danach von den Corona-Verschwörungsmythen bleiben?

Ich glaube, das kommt darauf an, wie wir als Gesellschaft nach der Pandemie den Wiederaufbau gestalten. Ob wir gemeinsam gewillt sind, die Demokratie zu stärken. Die Demokratie besteht aus jeder einzelnen Bürgerin und jedem einzelnen Bürger. Wir alle müssen daran arbeiten, dass wir weiter in einem demokratischen System bleiben. Wenn wir das hinbekommen, bin ich optimistisch, dass wir gut aus diesem Jahrhundertereignis herauskommen. Aber das wird nicht ganz schnell gehen. Und wir müssen auf eines besonders aufpassen.

Was meinen Sie?

Ich erlebe gerade in den sozialen Netzwerken, dass viele Leute sagen: Die Menschen, die Verschwörungsmythen verbreiten, blockiere ich, mit denen will ich nie wieder sprechen. Ich würde immer sagen, sobald wir geimpft sind und wieder rausgehen dürfen: Nehmt noch einmal Kontakt mit diesen Menschen auf. Gebt ihnen zumindest die Chance, nach der Pandemie andere Kontakte zu haben, als nur die in den Blasen, in denen sie sich in den vergangenen Monaten bewegt haben. Dann können wir manche von ihnen wieder zurückholen. Wenn wir uns gar nicht um sie kümmern, haben wir sie schon verloren.

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