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#allesdichtmachen: Warum es nicht reicht, die Aktion zu ignorieren

SCREENSHOT - 23.04.2021, ----: Richy M
Schauspieler Richy Müller beim Atmen in eine Tüte für sein Video zur Aktion #allesdichtmachen. Bild: dpa
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Schmerzhaft dumm und zynisch: Warum es nicht reicht, #allesdichtmachen zu ignorieren

23.04.2021, 19:4324.04.2021, 11:19
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Man könnte ja einfach mit den Augen rollen und wegschauen. Man könnte ignorieren, dass sich 53 prominente Schauspielerinnen und Schauspieler vor eine Kamera stellen und dummes Zeug faseln. Jan Josef Liefers etwa, der Millionen Deutschen als Rechtsmediziner aus dem Münster-"Tatort" bekannt ist – und der die Verschwörungserzählung verbreitet, "die Medien" würden eine kritische Auseinandersetzung mit der Pandemie-Politik in Deutschland verhindern. In Wahrheit waren etwa nach dem Debakel um die gescheiterte "Osterruhe" in seriösen Medien fast ausschließliche regierungskritische Kommentare zu lesen.

Man könnte auch Richy Müller ignorieren, ebenfalls den meisten als "Tatort"-Protagonist bekannt, der eine "doppelte Tüten-Atmung" vorführt und sich damit über die Pflicht zum Tragen von Schutzmasken lustig macht – und nebenbei Krankenpflegerinnen und -pfleger brüskiert, die sich um Covid-Patienten kümmern, die an Beatmungsgeräten um ihr Leben kämpfen. Und, ja, Heike Makatsch könnte man auch überhören, die die Quatschbehauptung verbreitet, man dürfe Pizzaboten oder Paketlieferanten die Tür nicht mehr öffnen.

Man könnte das alles achselzuckend abtun als das, was es ist: Das peinliche Spektakel berühmter Menschen, die sich als ahnungslose Selbstdarsteller mit Hang zu Verschwörungsmythen entpuppen.

Und das ausgerechnet in der hoffentlich letzten Phase der Corona-Pandemie, dieser Jahrhundertkatastrophe, an der allein in Deutschland über 80.000 Menschen gestorben sind.

In der Phase, in der sich noch einmal die Intensivstationen der Krankenhäuser dramatisch füllen, in der mehr und mehr junge Menschen an Beatmungsgeräten hängen – während die Impfungen endlich in Gang gekommen sind und die realistische Hoffnung wächst, dass im Sommer das Gröbste vorbei ist. Vor allem dann, wenn möglichst viele sich jetzt noch einmal einschränken, auf Kontakte und Reisen verzichten, die Hygieneregeln beachten. Kurzum: Wenn sie intelligenter handeln als die #allesdichtmachen-Schauspieler.

Man könnte sagen: Jede und jeder der 53 hat das gute Recht, sich zum Deppen zu machen. Und es stimmt ja auch, ihr schmerzhaft dummes Gerede ist selbstverständlich von der Kunst- und von der Meinungsfreiheit gedeckt. Man muss das in einer Demokratie aushalten. Und das ist auch gut so.

Es gibt aber zwei Gründe, warum das nicht reicht. Warum es außerdem wichtig ist, den 53 Möchtegern-Rebellen vorzuhalten, was sie mit ihrer Aktion anrichten.

Grund eins: die Verachtung für die Toten und Versehrten

Der erste Grund ist die Verachtung der Toten und Versehrten – und der Menschen, die in den Krankenhäusern gegen diese verfluchte Krankheit kämpfen. Kein Wort in den #allesdichtmachen-Videos dazu, dass dieses Virus weiter Menschen tötet, in Deutschland und anderswo. In Indien wütet die Mutante B 1.617, über 300.000 Neuinfektionen pro Tag, in manchen Kliniken geht der Sauerstoff aus. Kein Wort zu den Folgeschäden vieler Covid-Erkrankungen. Kein Wort über die Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger, über die Ärzte, die Tag für Tag auf den Intensivstationen mitansehen müssen, wie Menschen an Covid-19 sterben. Das ist zynisch.

"Die Schauspieler*innen von #allesdichtmachen können sich ihre Ironie gerne mal tief ins Beatmungsgerät schieben", twitterte Moderator und Notfallsanitäter Tobias Schlegl dazu. Er hat recht.

Grund zwei: Liefers' "Lügenpresse"-Parolen

Der zweite Grund, warum es nicht reicht, diese Aktion zu ignorieren, ist der "Lügenpresse"-Anwurf, den Jan Josef Liefers in seinem Video für #allesdichtmachen genüsslich ausbreitet. Liefers sagt, er bedanke sich "bei allen Medien unseres Landes, die seit über einem Jahr unermüdlich verantwortungsvoll und mit klarer Haltung dafür sorgen, dass der Alarm genau da bleibt, wo er hingehört, nämlich ganz, ganz oben." Und dafür, dass sie "dafür sorgen, dass kein unnötiger kritischer Disput uns ablenken kann zu der Zustimmung zu den sinnvollen und immer angemessenen Maßnahmen unserer Regierung".

Dass das dummes Geschwätz ist, weiß jeder, dessen Medienkonsum aus mehr besteht als aus obskuren Telegram-Channels und schlechten Youtube-Videos. Liefers' Beitrag zu #allesdichtmachen klingt wie manche Hetzrede auf einer "Querdenker"-Demo. Seine Worte sind ein Fausthieb ins Gesicht für die Journalistinnen und Journalisten, die sich seit Monaten an der Pandemiepolitik von Bund und Ländern abarbeiten. Die sie beleuchten, erklären, einordnen – und in vielen Kommentaren, mal positiv, mal kritisch bis vernichtend kritisch bewerten.

Ausgerechnet der erfolgreiche Medienstar Liefers bläst mit seinem Anwurf, "alle Medien" würden einseitig berichten, ins selbe Horn wie die Lügenpresse-Schreier auf Corona-Demos – von denen ein Teil regelmäßig Reporter bedroht und manchmal angreift. Die Bedrohung geht so weit, dass die Polizei bei der Demo gegen das Infektionsschutzgesetz am vergangenen Mittwoch in Berlin einen "Schutzbereich" für Journalisten eingerichtet hat.

Sie geht so weit, dass wegen der massiven Einschüchterung und Bedrohung von Journalisten auf Corona-Demos die Nichtregierungsorganisation "Reporter ohne Grenzen" die Pressefreiheit in Deutschland erstmals seit Jahren nur als "zufriedenstellend" beurteilt hat und nicht mehr, wie in den Jahren zuvor, als "gut".

Es ist wichtig, den Schauspielerinnen und Schauspielern, die sich bei #allesdichtmachen lächerlich gemacht haben, ihren Zynismus vorzuhalten. Und man kann nicht unkommentiert lassen, dass Jan Josef Liefers jetzt Parolen nachplappert, mit denen Demokratiefeinde seit Jahren gegen ihnen unbequeme Journalisten hetzen.

Das alles müssen die 53 jetzt aushalten. "Was ihr abbekommt, ist Meinungsfreiheit", hat die Publizistin Marina Weisband in einem Twitter-Video in Richtung der Schauspieler gesagt. Es war einer der klügsten Sätze des Tages.

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