Auch in der Nacht zum Donnerstag kam es in Israel wieder zu Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen. Inzwischen ist Außenminister Heiko Maas nach Israel gereist, um sich vor Ort für eine Waffenruhe einzusetzen. Das israelische Sicherheitskabinett will noch am Donnerstag über eine mögliche Waffenruhe mit der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen beraten. Ausgang: ungewiss.
Die israelische Armee hat zuletzt weiter Luftangriffe auf den Gazastreifen geflogen, bei denen inzwischen mehrere hundert Tote auf palästinensischer Seite zu beklagen sind. Darunter auch einige Zivilisten, Frauen und Kinder.
Watson hat mit dem Sprecher der israelischen Armee (IDF), Arye Sharuz Shalicar, darüber gesprochen, wie er den Konflikt vor Ort in Tel Aviv miterlebt und nachgefragt, warum die israelische Armee auch zivile Gebäude im Gazastreifen angreift. Wir wollten wissen, was es mit seiner kleinen Tochter macht, unter Sirenengeheul in den Luftschutzbunker zu fliehen und wie es für ihn als Vater ist, Bilder von toten Kindern aus dem Gazastreifen zu sehen.
watson: Sie sind derzeit in Tel Aviv im Hauptquartier der israelischen Armee. Wie ist die Lage aktuell?
Arye Sharuz Shalicar: Aktuell warten wir ab, ob es nun wirklich einen Waffenstillstand geben wird und ob sich die Hamas auch daran halten wird. 2014 gab es schon einmal die Situation, dass die Hamas nach Verkündigung des Waffenstillstands einen israelischen Offizier getötet und seine Leiche verschleppt hat. Deshalb bin ich vorsichtig damit, optimistisch zu sein.
Wie ist es mit dem Raketenbeschuss aktuell in Tel Aviv?
Vergangene Nacht sind ebenfalls wieder 200 Raketen auf Israel abgefeuert worden. Aber es gab keine Toten, da der "Iron Dome", das Raketenabwehrschild der israelischen Armee, funktioniert hat. Aber die meisten Schulen und Kindergärten sind geschlossen. Auch meine Kinder sind nach wie vor zu Hause.
Wie erleben Ihre Kinder die Angriffe mit?
Meine Tochter ist sechs Jahre alt. Für sie ist es das erste Mal, dass sie den Raketenbeschuss miterlebt. Als die Sirenen angingen, waren die sehr, sehr laut. Meine Tochter hatte Angst. Ich habe sie dann in den Arm genommen und in den Luftschutzbunker mitgenommen. In Israel hat jedes Gebäude, das in den vergangenen 20 Jahren gebaut wurde, einen solchen Luftschutzbunker.
Wie erklären Sie ihrer Tochter, was gerade passiert?
Ich habe ihr gesagt, dass sie keine Angst haben soll. Dass es Menschen um uns herum gibt, die uns hier nicht haben und töten wollen. Dass das aber nicht alle sind, denn die Hamas spricht nicht für die Palästinenser oder die anderen arabischen Länder um Israel. Ich habe ihr dann gesagt, dass ich sie beschützen werde und am nächsten Morgen stand ich in Uniform vor der Tür. Die letzten zehn Tage habe ich sie nur noch sehr selten gesehen.
Auf der anderen Seite sterben im Gazastreifen bei den israelischen Luftangriffen auch Kinder. Wie geht es Ihnen als Vater damit, wenn Sie die Bilder von dort sehen?
Das geht mir auch nahe. Ich wünsche keinen Eltern, dass ihre Kinder getötet werden. Dass Zivilisten sterben, ist das absolut Schlimmste am Krieg. Aber wir haben diesen Krieg nicht herbeigerufen, sondern verteidigen uns gegen die Raketenangriffe der Hamas.
Trotzdem sterben aktuell Zivilisten vor allem im Gazastreifen.
Es sterben auch Palästinenser durch fehlgeleitete Raketen der Hamas. Wenn wir in Israel nicht Milliarden in ein komplexes Raketenabwehrsystem gesteckt hätten, hätten wir hier auch schon hunderte tote Zivilisten. Und wenn die Hamas aus dem Untergrund operiert, ihre Einsatzzentralen und Waffen in zivilen Einrichtungen unterbringt, dann nimmt sie in Kauf, dass es zivile Opfer gibt. Die Offiziere der Hamas verstecken sich in zivilen Einrichtungen wie Krankenhäusern. Nach Kriegsvölkerrecht dürfen wir zivile Einrichtungen, die für militärische Zwecke benutzt werden, auch angreifen.
Aber ist das auch moralisch richtig?
Ich habe auf meiner Twitter-Seite ein Video veröffentlicht, das aus dem Cockpit von einem Kampfpiloten aufgenommen wurde. Dabei ist auch der Funkverkehr aufgezeichnet. In dem Video wird klar, dass am Boden Kinder sind und der Pilot bricht seinen Angriff daraufhin ab. Die israelische Armee trifft viele verschiedene Vorkehrungen dafür, dass so wenig Zivilisten wie möglich zu Schaden kommen.
Was tut die israelische Armee konkret, um zivile Opfer zu vermeiden?
Die israelische Armee ist die einzige Armee der Welt, die vor einem Bombenangriff anruft, um sicherzugehen, dass sich Zivilisten in Sicherheit bringen können. Bevor richtige Bomben abgeworfen werden, werden auch zuerst Bomben abgeworfen, die nur Lärm erzeugen und die Bewohner vor dem Angriff warnen. Dabei nehmen wir auch in Kauf, dass Terroristen sich in Sicherheit bringen können. Es ist nicht nur moralisch falsch, wenn Zivilisten sterben, sondern nützt auch der Hamas, wenn solche Bilder entstehen. Deshalb trifft die israelische Armee solche Vorkehrungen.
Trotzdem kam es gerade erst zum Angriff auf ein Hochhaus, das auch von internationalen TV-Sendern und Journalisten genutzt wurde.
Dort gab es eine Handvoll internationaler Medienbüros. Aber auch Büros des islamischen Dschihad und der Hamas. Die haben dieses Haus genutzt, weil sie davon ausgingen, dass es nicht angegriffen wird, weil dort Medien beheimatet sind. Sie haben die Medienvertreter als Schutzschilde benutzt.
Im Zuge des Nahostkonflikts gab es auch hierzulande Proteste gegen die israelische Militäroffensive, die teilweise antisemitische Züge annehmen. Sie sind selbst in Berlin aufgewachsen. Wie nehmen Sie die antisemitischen Ausschreitungen wahr, die hier in den vergangenen Tagen zu sehen waren?
Ich bin als iranischer Jude in Berlin aufgewachsen und mit 13 Jahren in den Wedding gezogen. Das ist ein Stadtteil mit einem recht hohen Anteil an arabisch- und türkischstämmigen Bewohnern muslimischer Glaubensrichtung. Da ich so ähnlich aussehe, dachten viele dort, ich sei Muslim. Als ich mich dann als Jude geoutet habe, wurde ich sehr oft antisemitisch angegriffen und bedroht. Ich wollte nicht, dass meine Kinder so aufwachsen und habe für mich und meine Familie entschieden, dass wir nach Israel auswandern. Und trotz der Raketenangriffe habe ich den Eindruck, dass meine Kinder hier sicherer aufwachsen als in Berlin.