Angriffe gegen LGBTIQ+-Personen nehmen zu. Die Gewalt gegen queere Menschen hat sich in den vergangenen Monaten dramatisch gesteigert. Selbst in Berlin: Die Anzahl trans- und homophober Gewalttaten ist in der Hauptstadt auf einen neuen Höchststand angestiegen. 2021 wurden 456 solcher Taten erfasst. 2020 lag die Zahl noch bei 277 Fällen.
Das geht aus einem Bericht hervor, der von der gemeinnützigen Organisation Camino erstellt wurde. Am Montag wurden die Zahlen aus dem sogenannten Monitoringbericht zu trans- und homophober Gewalt in Berlin vorgestellt. Ihren Angaben zufolge hat Berlin als einziges Bundesland einen solchen Monitoringbericht zu trans- und homophober Gewalt.
Unterstützt wurde die Organisation von Berlins Justizsenatorin Lena Kreck (Linke). "Mit dem Monitoringbericht wollen wir zu einem öffentlichen Bewusstsein beitragen und Betroffene weiter motivieren, Vorfälle zu melden und zur Anzeige zu bringen", sagte sie.
Ein Großteil der trans- und homophoben Straftaten wurde in den innerstädtischen Vierteln Berlins angezeigt: fast ein Viertel im Bezirk Mitte, gefolgt vom Bezirk Tempelhof-Schöneberg und Friedrichshain-Kreuzberg. Also auch den Bezirken, in denen sich viele queere Bars und Einrichtungen befinden. Mehr als die Hälfte aller Vorfälle fand zudem in den Abend- und Nachtstunden statt. Zu den Straftaten zählen sowohl Gewalttaten als auch Beleidigungen oder Bedrohungen.
Das jüngste Beispiel transfeindlicher Gewalt in Berlin war ein Angriff auf eine trans* Person der aktivistischen Gruppe "Feminista Berlin". Die Aktivist:innen-Gruppe kampiert seit Wochen vor der Grünen-Parteizentrale, um auf die Menschenrechtslage – insbesondere von Frauen und queeren Menschen – aufmerksam zu machen.
Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, stellt den Anstieg der Gewaltbereitschaft gegenüber Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans* und intergeschlechtlichen wie queeren Menschen mit großer Sorge fest. Denn: Auch bundesweit ist die Zahl LSBTIQ*-feindlicher Straftaten gestiegen.
"Insgesamt gab es nach offiziellen Angaben 1051 Fälle. Das sind mehr als drei Angriffe pro Tag", sagt Lehmann im Gespräch mit watson. Um 50 Prozent sei die Zahl von Straftaten gegen die sexuelle Orientierung gestiegen. Trans*feindliche Taten seien sogar um 66 Prozent gestiegen. Das ergeben Zahlen der Polizeibehörden für das Jahr 2021.
Doch der Queer-Beauftragte warnt: "Dabei müssen wir außerdem von einer hohen Dunkelziffer ausgehen. Das bedeutet, diese Zahl ist nur die Spitze des Eisbergs." Allerdings sei es schwierig einzuschätzen, ob mehr passiert sei, oder ob mehr polizeilich registriert wurde, wenn "mehr Opfer zur Polizei gehen, diese Gewalt nicht mehr einfach so hinnehmen, sondern sich trauen, die Tat anzuzeigen", sagt Lehmann. "Vielleicht registriert die Polizei inzwischen auch besser"
"Ein homofeindlicher Übergriff wäre früher womöglich 'nur' als Gewalttat registriert worden, nicht aber als Hassgewalt." In Deutschland gehörten Hasskriminalität und Gewalt zur Alltagserfahrung queerer Menschen, sagt Lehmann. "Die Angst, dass vielleicht etwas passiert, dass man beleidigt oder angegriffen wird, kennen viele queere Menschen in Deutschland. Und das muss sich dringend ändern."
Auffallend ist, dass die Gewalt gegen trans* Personen mit 66 Prozent besonders stark angestiegen ist. Aber dazu seien differenzierte Aussagen nur schwer zu treffen. Es gebe nur wenige offizielle Zahlen. Und die der Polizeibehörden differenzierten nicht nach trans* Männern, trans* Frauen oder nicht-binären Menschen, erläutert der Queer-Beauftragte Lehmann. Er führt aus:
Bei dieser Untersuchung wurden queere Menschen gefragt, ob sie innerhalb eines Jahres Belästigungen oder Gewalt erfahren hätten. Jede 20. homosexuelle, bisexuelle cisgeschlechtliche Person bejahte diese Frage. Während es bei den befragten trans* und inter* Personen jede 10. Person bejahte.
"Wesentlich mehr trans* Personen gaben auch an, belästigt, bedroht oder beleidigt worden zu sein." Lehmann macht einen generellen Unterschied im gesellschaftlichen Umgang aus. Die öffentliche Debatte über geschlechtliche Vielfalt sei wesentlich toxischer und aggressiver geworden.
Auf Kosten von trans* Personen werde zudem in der Debatte um das geplante Selbstbestimmungsgesetz "rücksichtslos gehetzt und manipuliert". Die Bundesregierung plant, das aktuell geltende Transsexuellengesetz (TSG) abzuschaffen.
Das Transsexuellengesetz regele, wie trans* Menschen ihren Geschlechtseintrag im Personenstand ändern dürfen. Seit Inkrafttreten des Gesetzes 1981 habe das Bundesverfassungsgericht einzelne Vorschriften des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt. Lehmann sagt weiter:
Dies müsse dringen geändert werden. Das Transsexuellengesetz soll durch das Selbstbestimmungsgesetz abgelöst werden. Es soll "trans*, inter* sowie nicht-binären Menschen künftig einfacher machen, Personenstand und Namen durch eine einfache Selbstauskunft beim Standesamt zu ändern".
Lehmann sagt weiter: "Welchem Geschlecht sich jemand zugehörig fühlt, darf keine fremdbestimmte Entscheidung von Richter*innen, Mediziner*innen und Psycholog*innen sein." Er erklärt:
Daher bringt die Ampel-Regierung ihren Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz Anfang kommenden Jahres zur Beratung in den Bundestag ein.
(Mit Material von AFP)