Rudi Dutschke. Heute ein Grüner?Bild: imago images/Westend61/ZUMA/Keystone/watson-montage
Deutschland
bernhard Sprengel, dpa
Am Weihnachtsabend 1979 stirbt Rudi Dutschke an den Spätfolgen eines Attentats. Welche Rolle hätte der ehemalige Studentenführer noch spielen können? Sein Sohn glaubt, dass er in einer bestimmten Partei Karriere gemacht hätte.
24.12.2019, 10:1124.12.2019, 11:33
Vor 50 Jahren polarisierte Rudi Dutschke als Anführer
der Studentenbewegung die Bundesrepublik – heute würde er nach
Ansicht seines Sohnes Brücken bauen. "Er war immer offen und hat mit
allen möglichen Leuten geredet, egal ob sie links oder rechts waren",
sagt Hosea-Che Dutschke.
Aus diesem Grund habe sich sein Vater kurz
vor seinem Tod 1979 an der Gründung der Bremer Grünen Liste
beteiligt, der ersten grünen Partei, die in ein deutsches
Landesparlament einzog.
Tod als Spätfolge des Attentats
Rudi Dutschke war am Weihnachtsabend vor 40 Jahren an einem
epileptischen Anfall in seiner dänischen Wahlheimat Aarhus gestorben.
Er gilt bis heute als Kopf und Idol der 68er Bewegung. Kurz vor
Ostern 1968 hatte ihn der Hilfsarbeiter Josef Bachmann in Berlin
angeschossen und lebensgefährlich am Kopf verletzt. Sein Tod beim
Baden gilt als Spätfolge des Attentats.
Wenige Tage vor dem Mauerbau war Dutschke 1961 aus der damaligen DDR
ins nahe West-Berlin geflüchtet. Im brandenburgischen Luckenwalde war
er Mitglied der Jungen Gemeinde gewesen und hatte als Pazifist den
Militärdienst in der DDR-Volksarmee abgelehnt. Seine erste politische
Aktion in West-Berlin hatte sich gegen den Bau der Mauer gerichtet.
Dann wurde er zu einem Gegner der parlamentarischen Demokratie, des
Eingreifens der Amerikaner in Vietnam und des "Imperialismus".
DER SPIEGEL, 11.12.1967Bild: imago images / teutopress
Dutschkes Handlungen waren nie gewaltsam
Zur Frage der Gewalt sagte er 1967 in einem Fernsehinterview des
Journalisten Günter Gaus: "Wäre ich in Lateinamerika, würde ich mit
der Waffe in der Hand kämpfen." Und er kündigt an: "Es ist sicher,
dass wir dann Waffen benutzen werden, wenn bundesrepublikanische
Truppen in Vietnam oder in Bolivien oder anderswo kämpfen."
Ob das
eine ambivalente Haltung zur Gewalt war? "Eigentlich nicht", findet
Dutschke jr. im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. "Es kommt
ja immer auf das Handeln an, und seine Handlungen waren nie
gewaltsam."
Über die Verbindungen seines Vaters zu Mitgliedern der Terrorgruppe
"Rote Armee Fraktion" sagt Hosea-Che Dutschke: "Ich denke, das war
eine Sympathie dafür, dass man die bestehende Gesellschaft ändern
sollte. Aber auf die Methoden haben sie sich ja nicht geeinigt, Rudi
war gegen Mord und sah Baader als einen Verrückten an."
Dynamitstangen im Kinderwagen
Terroristische Aktionen lehnte der Studentenführer allerdings nicht
grundsätzlich ab. Nach Darstellung seiner Frau Gretchen Dutschke
transportierten die jungen Eltern 1968 Dynamitstangen im Kinderwagen
durch Berlin, den kleinen Hosea-Che zur Tarnung auf der Sprengladung
liegend. Rudi Dutschke und seine Freunde überlegten, mit dem Dynamit
Anschläge auf US-Schiffe, Eisenbahngleise oder Überlandleitungen als
Protest gegen den Vietnamkrieg zu verüben. Diese Pläne seien aber
nicht verwirklicht worden, weil möglicherweise Menschen gefährdet
worden wären, schreibt Gretchen Dutschke in ihren Erinnerungen.
Revolution als Marsch durch die Institutionen:
Rudi Dutschke und die DDR
Eindeutig blieb die Position des Studentenführers zur deutschen
Einheit. Zwar verteidigte er die DDR grundsätzlich, sparte aber nicht
mit Kritik am SED-Regime und fragte 1977: "Warum ist die Linke in der
Bundesrepublik so blind in Bezug auf (...) die deutsche Frage?" Die
Mauer fiel erst zehn Jahre nach seinem Tod. Beim Zusammenwachsen
zwischen Ost und West hätte er Brücken bauen können, ist Hosea-Che
Dutschke überzeugt:
"Ich denke, er hätte da einen Unterschied machen können."
Bei den Bürgerrechtlern in der DDR kam das revolutionäre Engagement
von Rudi Dutschke offenbar nicht gut an. Der frühere Bundespräsident
Joachim Gauck sagt über seine damalige Reaktion: "Ich konnte nicht
verstehen, wie man so blöd sein kann, im Kommunismus sein Heil zu
sehen." Erst später habe er erkannt, dass eine demokratische Linke
mit einem emanzipatorischen Ansatz ein Gewinn für die Gesellschaft
sei, fügt Gauck in einem Interview des "Stern" hinzu.
"Wir kämpfen dafür, dass es nie dazu kommt, dass Waffen in die Hand genommen werden müssen."
Heute wäre Dutschke bei den Grünen, glaubt sein Sohn
Auf jeden Fall hätte sein Vater weiter Politik gemacht, "ganz
bestimmt" bei den Grünen, ist Hosea-Che Dutschke überzeugt. Als
Studentenführer hatte Rudi Dutschke den "langen Marsch durch die
Institutionen" propagiert. Sein Sohn leitet heute die Gesundheits-
und Pflegebehörde von Aarhus.
Ein wichtiges Anliegen seiner Behörde
ist die Bekämpfung der Einsamkeit im Alter. Sein Vater wäre aber kein
einsamer alter Mann geworden, ist sich Dutschke jr. sicher. "Ich
glaube, der wäre immer noch ein bisschen auf den Barrikaden gewesen",
sagt er am Rande einer Tagung der Körber-Stiftung in Hamburg.
Am Weihnachtsabend wird der Sohn wieder an seinen Vater denken. "Dann
gehe ich in mich und fühle, und das fühlt sich auch schön an und
gut." Für die Revolte seines Vaters hat der Sohn großes Verständnis:
"Die Universitäten waren von Professoren total bestimmt. Es gab keine
richtige Aufarbeitung mit den alten Nazis. Vietnamkrieg,
Imperialismus – in dem Sinne war es einfach notwendig, '68 diese
Revolte zu machen."
Lange Zeit war es still um die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel. Nach Ende ihrer Kanzlerschaft hatte sie nur sehr wenige öffentliche Auftritte. Aktuell steht sie aber wieder im Mittelpunkt medialer Aufmerksamkeit. Am 26. November sollen nämlich ihre Memoiren erscheinen.