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Iran-Krise: Experte erklärt, warum Deutschland viel wichtiger ist, als alle denken

Die Tötung des iranischen Top-Generals Soleimani löste große Proteste und eine handfeste Krise zwischen den USA und Iran aus.
Die Tötung des iranischen Top-Generals Soleimani löste große Proteste und eine handfeste Krise zwischen den USA und Iran aus.Bild: imago images / Pacific Press Agency
Interview

Experte: Warum Deutschland in der Iran-Krise viel wichtiger ist, als viele denken

12.01.2020, 11:3301.04.2020, 10:19
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Es waren martialische Worte, die Donald Trump wählte. Noch bevor er über die iranischen Raketenangriffe sprach oder überhaupt seine Zuhörer begrüßte, begann er sein Statement am Mittwoch mit diesen Worten: "Solange ich Präsident der Vereinigten Staaten bin, wird es dem Iran niemals erlaubt sein, eine Atomwaffe zu besitzen."

Trump dominierte die Woche über die Schlagzeilen mit seinen Worten zur Iran-Krise. Die USA verhängten zudem am Freitag weitere Sanktionen gegen den Iran. Deutschland hingegen? Hält sich zurück und scheint in der aktuellen Krise keinerlei relevante oder zumindest wahrnehmbare Rolle zu spielen. Aber ist das tatsächlich so?

Wir haben mit dem Außenpolitik-Experten Henning Riecke von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ("DGAP") über die Rolle von Deutschland in dem Konflikt gesprochen und warum ihn die bisherige Reaktion der Bundesregierung überrascht.

"Ich war überrascht, dass Deutschland nicht gleich versucht hat, diplomatisch zu vermitteln."

watson: Wie würden Sie die aktuelle Iran-Politik der Bundesregierung beschreiben?

Henning Riecke:
Deutschland versucht, den Iran dazu zu bewegen, die Eskalation nicht weiter nach oben zu treiben. Im Moment sieht es zwischen den USA und Iran nach Zurückhaltung aus, sicher auch, weil keine amerikanischen Soldaten getötet wurden.

Aber neue Aktionen des Iran oder seiner Verbündeten können den Konflikt wieder anfachen. Deshalb spricht sich Heiko Maas derzeit mit seinen europäischen Kollegen ab, um eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, denn ohne Kohärenz kann die EU nichts ausrichten. Es gibt Sorgen, dass der Iran das Atomprogramm wieder hochfährt, sich Möglichkeiten für den Bombenbau schafft und die Amerikaner wieder auf den Plan ruft. Man versucht, so viel von dem Atom-Abkommen wie möglich zu retten. Die Außenminister zeigten sich auch besorgt, dass im Irak unter iranischem Druck jetzt über Abzug westlicher Kräfte diskutiert wird – dies gefährdet auch den Kampf gegen den Islamischen Staat.

Die deutsche Regierung hat sehr zurückhaltend bei der jüngsten Eskalation reagiert. Waren Sie überrascht?

Ja. Ich war überrascht, dass Deutschland nicht gleich versucht hat, diplomatisch zu vermitteln. Aber in der aktuellen Zuspitzung der Situation sind die diplomatischen Möglichkeiten auch begrenzt, ebenso die wirtschaftlichen Anreize die Europa dem Iran angesichts der US-Sanktionen setzen kann. Und es ist sinnvoll, die europäische Abstimmung vorzuziehen.

Maas' und Merkels Reaktionen:
Am Freitag trafen sich die EU-Außenminister in Brüssel, um ein gemeinsames Vorgehen im Iran-Konflikt zu besprechen.

Heiko Maas sagte vorab dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland": "Einfluss nehmen können wir nur, wenn wir unser Gewicht gemeinsam in die Waagschale werfen".
Angela Merkel traf sich am Samstag in Moskau mit Wladimir Putin, um unter anderem über den Konflikt zwischen den USA und dem Iran zu sprechen.

Wie wichtig ist Deutschland für den diplomatischen Kontakt zwischen Iran und den USA?

Deutschland verhandelt seit Jahren mit und über den Iran, meist an der Seite der USA, hat auch immer Impulse gesetzt, insbesondere beim Zustandekommen des Atomabkommens waren deutsche Diplomaten maßgeblich beteiligt. Es kann auch gut sein, dass Deutschland mit der EU wieder eine Vermittlerrolle zwischen den Kontrahenten einnimmt, sobald sich der Konflikt abgeschwächt hat und die Bereitschaft für Verhandlungen wächst.

Außenminister Heiko Maas bei der EU-Außenministerkonferenz in Brüssel
Außenminister Heiko Maas am Freitag bei der EU-Außenministerkonferenz in BrüsselBild: imago images / photothek
"Deutschland ist in dieser Vermittlerrolle wichtiger, als viele denken."

In der Öffentlichkeit ist gar nicht bekannt, dass Deutschland beim Atomabkommen so eine große Rolle spielt…

Wenn man in den Iran kommt, dann sprechen Iraner gerne über die geistige Nähe des Irans und Deutschlands, wie eine brüderliche Verbindung. Deutschland, als größter Handelspartner in Europa und mit alten Kontakten zum Iran, ist dessen wichtiger Ansprechpartner. Deswegen war Deutschland auch an den Verhandlungen zum Atomabkommen beteiligt, obwohl Deutschland keinen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat hat.

Deutschland hat sich intensiv dafür, dass die Verhandlungspartner – also der Iran, die USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich – sich zusammen an den Tisch setzten und das Abkommen zustande kam. Deutschland ist in dieser Vermittlerrolle wichtiger, als viele denken.

Wie ist das Atomabkommen dann in die Brüche gegangen?

Die Konservativen (in den USA, Anm.) haben das Abkommen immer kritisiert, weil es zeitlich befristet war, und die Iraner eingefrorene Gelder wieder zur Verfügung gestellt bekamen. Der Ausstieg der Amerikaner war ein schwerer Schlag für das transatlantische Bündnis zwischen Europa und den USA, weil es die Europäer bloßgestellt hat. Die haben sich so sehr um das Zustandekommen des Abkommens bemüht, und für die Europäer war das ein großer Erfolg. Dass Trump das Abkommen hat platzen lassen, haben die Europäer den Amerikanern noch nicht verziehen, weil es eben auch keine bessere Alternative gibt.

Über den Experten
Henning Riecke ist Politikwissenschaftler und forscht für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik mit dem Schwerpunkt Demokratie und Internationale Ordnung.
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Bild: dgap/dirk enters
"Es bestehen gute Chancen, dass Europa das Handelsembargo der USA nicht mitträgt."

Was bedeutet das für zukünftige Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und dem Iran?

Es besteht die Möglichkeit, dass der Iran in Europa, aber auch in China und Russland Sympathien sammelt. Es bestehen gute Chancen, dass Europa das Handelsembargo der USA nicht mitträgt und eigene Handelsverträge mit dem Iran abschließt. Der Iran könnte also mit gesonderten Handelsverträgen mit China, Russland und der EU die Verluste durch das amerikanische Handelsembargo wieder ausgleichen.

Wie wichtig ist der Iran denn für Deutschland als Handelspartner?

Deutschland hat intensive wirtschaftliche Beziehungen zum Iran. Deutschland hat schon zur Zeit des Schahs in den 1960er und 1970er Jahren wirtschaftlich in den Iran investiert, vor allem beim Anlagenbau. Nach der Revolution im Iran 1979 hat sich das etwas geändert, aber nach wie vor ist Deutschland der größte europäische Exporteur in den Iran. Dieses Geschäft ist aber angesichts neuer US Sanktionen eingebrochen. Deutschland ist aber immer wichtig gewesen, wenn es darum ging, Sanktionen gegen den Iran umzusetzen.

"Die Iraner nutzen dieses Verhältnis, um politisch auf Deutschland Einfluss zu nehmen."

Und dieses Verhältnis zu Deutschland nutzen die Iraner dann auch politisch?

Die Iraner nutzen dieses Verhältnis, um politisch auf Deutschland Einfluss zu nehmen. Da wird dann an die alte Freundschaft zwischen beiden Ländern appelliert, um Deutschland von den US-Amerikanern wegzuziehen, die ein Handelsembargo gegen den Iran verhängt haben. Ganz nach dem Motto: "Was wollt ihr denn mit den Amerikanern, wir sind uns doch viel näher." Das hat nur leider nicht so ganz funktioniert, weil auch Deutschland und die EU die Entwicklung von Nuklearwaffenfähigkeiten im Iran nicht akzeptieren können und sich unter Bush und Obama mehr zu immer stärkeren Sanktionen entschlossen haben.

Widerwillig?

Mit dem Nuklearabkommen, so sehen das die Europäer, ist das größte Problem – der Verdacht, dass der Iran Atomwaffen entwickelt – erstmal vom Tisch, durch freiwillig akzeptierte Einschränkungen des Iran und internationale Inspektionen. Deshalb bemüht sich die EU, dass der Iran an dem Abkommen festhält.

Die Europäer haben darum nach dem Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen begonnen, einen Zahlungsmechanismus aufzubauen, mit dem sie die Sanktionen durch die USA teilweise umgehen konnten. Dadurch konnten mittelständische Unternehmen ihre Geschäfte mit dem Iran abrechnen, für die der Zugang zum US-Markt nicht wichtig ist. Das ist historisch einmalig. Das gab es sonst nie, dass Europäer ein amerikanisches Handelsembargo umgehen. Allerdings wird der Mechanismus nicht benutzt, ist also kein Erfolg.

So umgeht die EU das US-Handelsembargo mit dem Iran
Der Iran, England, Frankreich und Deutschland haben Anfang 2019 das Instrument "Instex" geschaffen, um die US-Sanktionen gegen den Iran zu umgehen und trotzdem weiter Handel mit Iran zu betreiben. Das Zwecksystem "Instex" funktioniert wie klassischer Tauschhandel. Eine Seite liefert Maschinen und bekommt beispielsweise Rohstoffe. Bei der Umsetzung soll es allerdings erhebliche Probleme geben. Außerdem boykottieren die USA europäische Unternehmen, die über Instex mit dem Iran Handel betreiben. In der Praxis funktioniert das System daher nicht wie erwartet.
"Die Europäer waren weit weniger besorgt um die internationale Sicherheit als die Amerikaner."

Und die USA drängen Europa jetzt, selbst das Abkommen fallen zu lassen….

Die iranischen Übergriffe machen es den Europäern ja auch schwer, den Golfstaat wie einen Partner zu behandeln. Die Amerikaner sagen den Europäern schon lange: "Versteckt euch nicht hinter dem Atomabkommen. Mit dem Geld, das der Iran spart, weil er keine Atombombe baut, investiert er in seine Armee und bedroht Israel mit seinen Raketen."

Die Amerikaner beobachten aufmerksamer, was der Iran im Nahen Osten tut, nämlich in Syrien und im Jemen vorzudringen und Militärbasen in der Nähe von den Israeli einzurichten. Der Iran gefährdet die Durchfahrt durch die Straße von Hormus, beschlagnahmte vergangenen Sommer einen britischen Tanker, griff Anlagen in Saudi-Arabien an, was beinahe zur Eskalation geführt hat. Die Europäer waren da weit weniger besorgt um die internationale Sicherheit, als die Amerikaner.

Waren die Europäer also naiv gegenüber dem Iran?

Die Amerikaner würden das so sehen. Ich nicht. Die Europäer waren vielleicht pragmatischer, weil sie wussten, welche Möglichkeiten sie haben, um Einfluss zu nehmen. Und das ist eher der diplomatische Weg als der militärische.

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