Bislang Innenminister, bald Kanzler von Österreich: Karl Nehammer. Bild: imago images / Martin Juen
International
Österreichs Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) übernimmt laut Angaben der Nachrichtenagentur APA den Kanzlerposten vom zurückgetretenen Alexander Schallenberg. Schallenberg war gestern zurückgetreten, nachdem zuvor Ex-Kanzler und Noch-ÖVP-Vorsitzender Sebastian Kurz den Abschied von der Politik angekündigt hatte.
Zieht sich zurück: der einstige politisches Shooting-Star Österreichs, Sebastian Kurz.Bild: imago images / Martin Juen
"Es war mir eine große Ehre, der Republik zehn Jahre lang gedient zu haben", hatte der 35-jährige Kurz am Donnerstag in Wien gesagt. Mit seinem Abschied vom Amt des ÖVP-Partei- und Fraktionschefs zog er die Konsequenzen aus einem jähen Sinkflug. Ermittlungen der Korruptionsstaatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Falschaussage und der Untreue hatten ihn stark in Bedrängnis gebracht.
Der komplette Rückzug hat nun auch gravierende Folgen für die Koalition von ÖVP und Grünen. Kanzler Alexander Schallenberg kündigte am Donnerstagabend an, dass er sein Amt zur Verfügung stellen werde, sobald die Partei die entsprechenden Weichen gestellt habe.
Er wolle nicht Parteichef werden und sei zugleich überzeugt, "dass beide Ämter – Regierungschef und Bundesparteiobmann der stimmenstärksten Partei Österreichs – rasch wieder in einer Hand vereint sein sollten", teilte der Diplomat mit. Schallenberg hatte vor zwei Monaten die Nachfolge von Kurz als Regierungschef angetreten.
Will nicht mehr Kanzler sein: Kurz-Nachfolger Schallenberg kündigte später am Tag seinen Rücktritt an. Bild: imago images / Martin Juen
Kurz wies Vorwürfe erneut zurück
Die Ankündigung eines Wechsels an der Regierungsspitze war der Abschluss eines Tages mit höchster politischer Brisanz. In einer eilig einberufenen Pressekonferenz hatte Kurz am Vormittag noch einmal alle Vorwürfe gegen ihn zurückgewiesen, sich aber auch selbstkritisch gezeigt. Zum Ende seiner zehn Jahre in der Bundespolitik bilanzierte er: "Ich bin weder ein Heiliger noch ein Verbrecher."
Auch wenn zuletzt immer wieder die Rede vom "Schattenkanzler" Kurz war, zeigten die Reaktionen in der ÖVP, wie sehr der 35-Jährige in jüngster Zeit innerparteilich an Rückhalt verloren hatte. Einige ÖVP-Landeschefs sprachen ohne viel Wehmut von einem "richtigen" und "unausweichlichen" Schritt.
Karl Nehammer als möglicher Nachfolger
Als möglicher neuer Vorsitzender der Konservativen in Österreich wurde schon Donenrstag Innenminister Karl Nehammer gehandelt – und damit auch als nächster Kanzler. Nun berichtete die österreichische Nachrichtenagentur APA ebendies: Nehammer übernimmt das Amt von Schallenberg.
Nehammer bedient einen politischen Markenkern der ÖVP: Er ist – wie Kurz – Verfechter einer restriktiven Migrationspolitik. In der Corona-Krise hat sich der 49-Jährige – als Chef über die Polizei – durch die Ankündigung scharfer Kontrollen zu profilieren versucht. Vizekanzler Werner Kogler von den mitregierenden Grünen betonte in einer Stellungnahme, ihn verbinde mit Nehammer eine gute Gesprächs- und Arbeitsbasis.
Im Mai hatte die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Kurz eingeleitet – und sein politischer Stern begann zu sinken. Die Staatsanwaltschaft verdächtigt ihn, seine Karriere mit geschönten Umfragen gefördert zu haben. Dafür soll mehr als eine Million Euro aus Steuergeldern ausgegeben worden sein. Vorläufiger Tiefpunkt waren Hausdurchsuchungen im Bundeskanzleramt und in der ÖVP-Zentrale im Oktober, nach denen Kurz als Regierungschef zurücktrat.
SPÖ fordert Neuwahlen
Die Opposition nannte den Politik-Abschied von Kurz folgerichtig. Offensichtlich sei der Druck auf ihn zu groß geworden, meinte die Chefin der Sozialdemokraten, Pamela Rendi-Wagner. Der SPÖ-Spitzenpolitiker Hans Peter Doskozil forderte Neuwahlen im Frühjahr. Auch die rechte FPÖ hofft auf baldige Neuwahlen.
Kurz galt lange Zeit als Superstar der Konservativen in Europa, denn er zeigte, wie man Wahlen gewinnt. So führte er die ÖVP in Österreich 2017 und 2019 aus einem Stimmungstief zu zwei großen Siegen und damit zurück an die Macht. Er verpasste seiner Partei mit türkis eine neue Farbe, sein Charme im persönlichen Kontakt und seine Gewinner-Aura verschafften ihm innerparteilich zeitweise fast grenzenlosen Einfluss.
Gegenmodell zu Merkels Willkommenskultur
Gerade in Deutschland erregte er Aufsehen. Seine seit Beginn der Flüchtlingskrise 2015 formulierte Skepsis gegenüber einer Zuwanderung wurde zum Gegenmodell zu der von Angela Merkel propagierten Willkommenskultur.
Seine Anhänger gingen für ihn durchs Feuer, seine Gegner höhnten gern über ihn ohne Unterlass. Kurz galt als politisches Naturtalent und wurde bei der ÖVP entsprechend gefördert. Seine Karriere auf Bundesebene startete er im zarten Alter von 25 Jahren als Staatssekretär für Integration. Wenige Jahre später wurde er 2014 jüngster Außenminister in der Geschichte Österreichs. 2017 gelang ihm der Sprung an die Regierungsspitze. Kurz wurde Kanzler einer Regierungskoalition aus ÖVP und rechter FPÖ. Für die Beteiligung der Rechtspopulisten an der Regierung wurde er vielfach kritisiert. Nach dem Ende der Koalition in Folge der Ibiza-Affäre kam es zu Neuwahlen. Seit Anfang 2020 war Kurz Kanzler eines Bündnisses von ÖVP und Grünen.
"Ich werde jetzt aufbrechen und meinen Sohn und meine Freundin aus dem Spital abholen"
Österreichs Ex-Kanzler Kurz nach Bekanntgabe seines Rückzugs aus der Politik
Kurz nannte als eines der Motive für seinen Rückzug seine zuletzt deutliche gesunkene Lust, sich wie bisher zu hundert Prozent zu engagieren. Auch wenn die Kritik zum Schicksal eines Spitzenpolitikers gehöre, habe ihn das doch auch etwas zermürbt, räumte Kurz ein. "Ich hatte fast ein bisschen das Gefühl, gejagt zu werden, sagte er mit Blick auf die Ermittlungen und viele politische Angriffe.
Seine Zukunftspläne ließ Kurz, der Jura nicht zu Ende studiert hat, im Unklaren. Er wolle sich im neuen Jahr neuen beruflichen Aufgaben widmen. Zuvor war spekuliert worden, er übernehme wohl einen Top-Job in der Wirtschaft. Zunächst solle nun seine Familie im Mittelpunkt stehen, gab der Ex-Kanzler zu erkennen. Er war vor wenigen Tagen erstmals Vater geworden. Das Kind heißt Konstantin. "Ich werde jetzt aufbrechen und meinen Sohn und meine Freundin aus dem Spital abholen", rief Kurz beim Abgang den Journalisten zu.
(andi/dpa)
Rolf Mützenich ist der Fraktionschef der SPD. In zahlreichen Debatten spricht er für seine Partei im Bundestag. Mützenich ist bekannt für seine Friedenspolitik, gleichzeitig half er aber auch bei der Durchsetzung des Sondervermögens für die Bundeswehr.