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Corona: Wie sozial und nachhaltig ist das Konjunkturpaket? Der Faktencheck

Haben lange Verhandlungen zum Konjunkturpaket hinter sich: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Olaf Scholz.
Haben lange Verhandlungen zum Konjunkturpaket hinter sich: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Olaf Scholz.Bild: www.imago-images.de / Thomas Imo/photothek.net
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Wie sozial und nachhaltig ist das Konjunkturpaket? Experten machen den Faktencheck

04.06.2020, 17:3104.06.2020, 19:00
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Mit "Wumms" aus der Corona-Krise kommen: So kommentierte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) das neue Konjunkturprogramm der Bundesregierung. Nach fast 21 Stunden Verhandlungen – diesmal ohne Nachtschicht – wurde am Mittwochabend bekannt: Das 130 Milliarden Euro schwere Paket, das die Rezession in Folge der Corona-Pandemie abfedern soll, steht.

57 Punkte umfasst das GroKo-Paket, das Unternehmen, aber auch Familien und Bezieher von sozialen Leistungen finanziell unterstützen soll. Auch der Klimaschutz soll mit berücksichtigt werden.

Das Konjunkturpaket wurde von vielen Seiten positiv aufgenommen: Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, hat die vereinbarten Maßnahmen der Bundesregierung als "erstaunlich gut" und "überzeugend" gelobt. Das sagte er am Donnerstag im Inforadio-Podcast "Corona – das Virus und die Wirtschaft" vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb). Auch Ifo-Präsident Clemens Fuest findet lobende Worte für das Paket:

So weit, so gut – zumindest in der Theorie. Es bleibt die Frage: Wie viel der milliardenschweren Hilfen kommen tatsächlich bei den Bürgern an? Schließlich ist das Schnüren des Konjunkturpakets auch gleichzeitig eine Chance für Politik und Wirtschaft, nicht nur die Auswirkungen der Pandemie abzufedern, sondern auch Probleme wie die soziale Ungleichheit in Deutschland und den Klimawandel anzugehen.

Deswegen hat watson gefragt: Wie sozial gerecht und nachhaltig ist das Konjunkturpaket wirklich? Und wer wird am Ende von den einzelnen Maßnahmen profitieren? So bewerten Experten das Paket im Faktencheck.

Mehrwertsteuer wird gesenkt

Um Unternehmen zu entlasten, sieht das Konjunkturpaket vor, die Mehrwertsteuer von Juli bis Ende Dezember 2020 zu senken – und zwar von 19 auf 16 Prozent beziehungsweise von 7 auf 5 Prozent bei der ermäßigten Mehrwertsteuer.

„Ich finde die Senkung der Mehrwertsteuer bis zum Ende des Jahres äußerst sinnvoll", sagt Rüdiger Bachmann, Professor für Volkswirtschaftslehre an der University of Notre Dame in den USA. "Das wird hoffentlich dazu führen, dass der Konsum wieder angekurbelt wird. Das setzt aber voraus, dass die Mehrwertsteuersenkung auch beim Verbraucher ankommt.“

Der Politikwissenschaftler und Armutsforscher Christoph Butterwegge sieht die Mehrwertsteuersenkung dagegen zwiegespalten: "An sich ist eine niedrigere Mehrwertsteuer wünschenswert, weil diese Steuerart arme Personen, die einen Großteil ihres Einkommens in den Alltagskonsum stecken (müssen), am härtesten trifft", sagt er zu watson. Er bezweifelt allerdings, dass die niedrigeren Preise tatsächlich beim Verbraucher ankommen:

"Nur wird kaum ein Händler wegen der befristeten Mehrwertsteuersenkung die Preise seiner Waren für ein halbes Jahr senken, sondern er wird sie als steigenden Gewinn verbuchen, ganz unabhängig davon, ob es ihm aufgrund der Covid-19-Pandemie schlecht geht oder nicht."

Eltern bekommen 300 Euro Bonus pro Kind

Wegen der geschlossenen Kitas und Schulen wurden Familien häufig besonders hart von der Corona-Pandemie getroffen. Nun will der Staat Eltern deswegen einmalig mit 300 Euro pro Kind unterstützen. Der Betrag muss versteuert werden, wird allerdings nicht auf soziale Leistungen angerechnet.

Laut Butterwegge wäre Eltern, die Hartz IV beziehen, eher geholfen worden, wäre die finanzielle Leistung dauerhaft aufgestockt worden:

"Familien im Transferleistungsbezug wäre eher mit einem Ernährungsaufschlag in Höhe von 100 Euro pro Monat gedient, wie ihn Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und Kirchen seit Wochen fordern."

Aktivistin Inge Hannemann dagegen lobt diese Maßnahme: "Dass keine Anrechnung auf Sozialleistungen erfolgen, ist positiv zu bewerten", sagt die ehemalige Jobcenter-Mitarbeiterin und Hartz-IV-Kritikerin gegenüber watson. Sie kritisiert allerdings:

"Dass Haushalte ohne Kinder weiterhin ausgenommen sind, ist ein falsches Zeichen und führt zu Missgunst und unnötigen Neiddebatten."

Hier versage das Konjunkturpaket ihrer Ansicht nach für Menschen, die von Hartz IV leben und generell vom Armutsrisiko betroffen sind.

Prämie für E-Autos und Hybride wird verdoppelt

Die heftig diskutierte allgemeine Kaufprämie für Autos kommt nicht, dafür wird die sogenannte Innovationsprämie verdoppelt. Beim Kauf eines klimafreundlichen E-Autos gibt es also in Zukunft doppelt so viel Geld vom Staat. Für ein E-Auto mit einem Kaufpreis von bis zu 40.000 Euro würde die Förderung des Bundes von 3000 auf 6000 Euro steigen. Die Prämie gilt auch für Plug-in-Hybridautos, die mit Verbrennmotor und Elektroantrieb ausgestattet sind. Gleichzeitig werden 2,5 Milliarden Euro in den Ausbau von Ladesäulen und die Forschung von E-Mobilität investiert.

Umweltökonom Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig lobt gegenüber watson, dass die pauschale Abwrackprämie ausgeklammert und dem Drängen der Industrielobby nicht entsprochen wurde:

"Gut ist auch, dass das Thema E-Mobilität nicht nur über die Subventionierung des Autokaufs angegangen wird, sondern im Gleichlauf mit dem Aufbau von Ladeinfrastrukturen und E-ÖPNV, also der städtischen Beschaffung von Elektrobussen."

Die Umweltorganisation Bund sieht das kritischer. "Die zusätzliche Förderung von Fahrzeugen mit Plug-in-Hybrid-Technologie ist eine Kaufprämie für Verbrenner durch die Hintertür", sagte der Verkehrsexperte der Umweltorganisation Bund, Jens Hilgenberg, der Deutschen Presse-Agentur. Es brauche einen Nachweis, wie die Plug-in-Hybride bewegt würden. Wenn nicht mindestens 70 bis 80 Prozent der Strecke elektrisch gefahren würden, sei das Auto ein Verbrenner. Förderungen sollten dann erst nachträglich gewährt werden.

Kfz-Steuer wird an CO2-Emissionen gekoppelt

Die Kfz-Steuer für Pkw wird künftig stärker an CO2-Emissionen gekoppelt. Wer ein klimafreundliches Auto fährt, zahlt also weniger. Für Neuzulassungen ist die Bemessungsgrundlage die Co2-Emission pro Kilometer.

Umweltökonom Schwarze sagt: "Gut so. Damit entspricht die Regierung einer – allerdings lange schon vorgetragenen – umweltökonomischen Forderung, zum Beispiel des Sachverständigenrats für Umweltfragen. "

Vereinfachter Zugang zu Hartz IV

Während der Corona-Pandemie haben Jobcenter deutschlandweit bis zu fünfmal mehr Anträge auf Hartz IV erhalten als vor der Krise. Darüber hat watson im Mai berichtet.

Um der steigenden Anzahl der Anträge gerecht zu werden, wurde bereits zu Beginn der Pandemie die Vermögensprüfung bei Antragsstellung ausgesetzt. Außerdem wurde beschlossen, dass Neu-Hartz-IV-Empfänger zunächst ihre bisherigen Wohnungen nicht verlassen müssen, auch wenn deren Miete höher ist, als das jeweilige Jobcenter üblicherweise übernehmen würde.

Hannemann bewertet es positiv, dass zumindest die Vermögensprüfung wegfällt. Allerdings warnt sie vor einer Spaltung der Menschen, die jetzt erst Harzt IV beantragen und solchen, die Leistungen schon länger beziehen: "Diese Maßnahme schafft auch eine Zwei-Klassen-Erwerbslosengesellschaft, die gerade längere Erwerbslose stark kritisieren."

Auch Butterwegge meint, dass die Erleichterungen beim Beantragen von Hartz IV vor allem einer bestimmten sozialen Gruppe nutzen, nicht aber allen Menschen, die vom Armutsrisiko betroffen sind: Solo-Selbstständige und Kleinstunternehmer, deren Existenz bedroht ist und die einen leichteren Zugang zu Transferleistungen erhalten, profitieren von den Maßnahmen. Aber:

"Transferleistungsbezieher, die schon lange Arbeitslosengeld, Sozialgeld, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung oder Asylbewerberleistungen erhalten, haben nichts davon."

Eine Milliarde Euro jährlich für die Deutsche Bahn

In den kommenden zehn Jahren bekommt die Deutsche Bahn jährliche eine Million Euro zusätzlich vom Bund. Davon soll die Bahn modernisiert und die Modernisierung und Elektrifizierung des Schienensystems vorangetrieben werden. Für die Einnahmeausfälle während der Corona-Pandemie gibt es fünf Milliarden Euro obendrauf.

Schwarze bezweifelt jedoch, dass die Maßnahme viel nützt – die Bahn leide effektiv nicht unter einem Mangel an öffentlicher Förderung:

"Das Klimaschutzpaket sieht bereits eine Multimilliarden-Investition von 86 Milliarden in das Schienennetz bis 2030 vor, da bleibt diese Förderung nur ein Akt der Ausbalancierung der verkehrsumweltpolitischen Strategien, gewissermaßen ein verkehrsumweltpolitisches Feigenblatt."

Das eigentliche Hemmnis, nämlich die Planung und Umsetzung von Infrastruktur der Bahn, könne durch mehr Geld nicht gelöst werden, sagt Schwarze. "Deshalb wäre eine höhere Förderung schädlich. Das ist also kein Mangel des Konjunkturprogramms."

CO2-Gebäudesanierung und Erneuerbare Energien

Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm wird für 2020 und 2021 um eine Milliarde Euro auf 2,5 Milliarden Euro aufgestockt. Auch die Förderprogramme des Bundes zur energetischen Sanierung kommunaler Gebäude werden aufgestockt. Gleichzeitig wird der Deckel für Photovoltaik abgeschafft und das Ausbau-Ziel für die Offshore-Windkraft von 15 auf 20 GW in 2030 angehoben. Die Länder dürfen zur Steigerung der Akzeptanz von Windrädern die Mindestabstände von 1000 Metern gesetzlich festlegen.

Umweltökonom Schwarze hält die Aufstockung bei der Gebäudesanierung für zu niedrig:

"Hier hängt die Klimapolitik gegenüber ihren selbstgesetzten Zielen weit zurück. Gerade die Landesliegenschaften wie Schulen und Kasernen brauchen deutlich mehr Fördermittel. Hier verletzt die Politik seit Jahrzehnten ihre selbst proklamierte Vorbildfunktion beim Klimaschutz."

Auch der Deckel für die Photovoltaik war laut der Meinung des Experten längst nötig. Aber auch hier gebe es ganz andere Hürden zu überwinden, nämlich Infrastrukturen für die Solarenergie zu schaffen. Schwarze sagt: "Die Ausgewogenheit in der Verkehrsumweltpolitik spiegelt sich nicht in der Energieumweltpolitik."

Nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder

Hinter uns liegen zwei Dürresommer, und der nächste steht möglicherweise schon vor der Tür. Um die Schäden in den Wäldern zu minimieren, sieht das Konjunkturprogramm deshalb 700 Millionen Euro für den Erhalt und die nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder vor. Dazu gehört auch die Förderung der Digitalisierung in der Forstwirtschaft.

Der nötige Waldumbau wurde seit Jahrzehnten stiefmütterlich gefördert, sagt Schwarze:

"Mit den dramatischen, für alle sichtbaren Folgen der Dürren 2018 und 2019 gibt es reichlich Mittel des Landwirtschaftsministeriums für die Staatsforsten öffentliche Besitztümer, nicht aber den privaten Forst."

Wenn die 700 Millionen tatsächlich im vollem Umfang zusätzlich zu den bestehenden Förderprogrammen Wald eingesetzt würden, fände Schwarze das begrüßenswert: "Sonst wäre es entweder Etikettenschwindel oder überflüssig." Der Waldumbau ginge im übrigen nur ganz langsam, er brauche Zeit, um der Natur willen.

Wie sozial gerecht und nachhaltig ist das Konjunkturpaket nun?

Ökonom Schwarze gibt dem Konjunkturpaket insgesamt die Note "umweltökonomisch befriedigend". "Ich würde dem Prüfling dazu schreiben, dass das Bemühen erkennbar ist und unter Berücksichtigung der schwierigen Umstände – Corona – ein 3+ geben", bewertet er die Maßnahmen abschließend.

Aus sozialpolitischer Sicht gesehen glaubt Armutsforscher Butterwegge, dass das Konjunkturpaket der Großen Koalition eine verteilungspolitische Schieflage aufweist:

"Es ist insofern ungerecht, als Wirtschaft, Unternehmen und Besserverdiener am meisten profitieren."

Butterwegge sieht es kritisch, dass viele soziale Gruppen von den Maßnahmen ausgeschlossen werden: "Die am härtesten von der Pandemie betroffenen Personengruppen werden nur am Rande bedacht, wenn überhaupt", sagt er. Darunter fielen zum Beispiel Obdachlose, Pflegebedürftige oder Menschen mit Behinderung – also solche, deren Lebenswelt abseits der gesellschaftlichen Mitte stattfindet.