Halten Sie Wladimir Putin für einen Mörder? "Das tue ich", sagte US-Präsident Joe Biden jüngst in einem Interview mit ABC News. Und kündigte in Richtung des russischen Präsidenten an: "Er wird einen Preis zahlen."
Kaum 60 Tage ist der US-Präsident Biden im Amt und bereits jetzt hat das russisch-amerikanische Verhältnis einen ersten Tiefpunkt erreicht. Nach dem Interview beorderte Moskau den russischen Botschafter vorläufig aus Washington zurück. Man wolle sich beraten, hieß es vonseiten der russischen Regierung.
Öffentlich gab Putin sich von den Vorwürfen eher unbeeindruckt. Der russische Präsident erklärte, er wolle die zukünftigen Beziehungen zu Washington allein zu Moskaus Vorteil gestalten. Einen Seitenhieb konnte sich der Kreml-Chef dennoch nicht verkneifen: Man solle nicht von sich auf andere schließen, erklärte Putin. "Wir sehen in einem anderen Menschen immer unsere eigenen Eigenschaften und denken, dass er so sei wie wir selbst."
Das Verhältnis zwischen den beiden Staaten könnte mindestens als unterkühlt beschreiben werden. Aber warum genau hat Biden Konsequenzen für Putin angekündigt? Und was bedeutet das für die zukünftigen Beziehungen der beiden Länder – und für Deutschland?
Joe Biden zeigt schon seit Längerem offen, dass er kein Fan der russischen Regierung ist. Bereits während des Wahlkampfes in den USA bezeichnete Biden den russischen Präsidenten etwa als "thug", also als Verbrecher.
Dass er Putin nun sogar öffentlich einen Mörder nennt, ist allerdings noch einmal eine Steigerung seiner Kritik. Der eine oder andere US-Präsident dürfte solche Dinge über Putin vielleicht schon gedacht haben. So klar öffentlich geäußert wie Biden hat es aber noch keiner.
Anlass für Bidens Äußerung und seine Drohung, dass Putin noch einen Preis bezahlen werde, ist ein Bericht der amerikanischen Geheimdienste. Demnach soll auch im vergangenen Jahr Russland versucht haben, die US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen zugunsten von Donald Trump zu beeinflussen.
Bereits bei den US-Wahlen im Jahr 2016 wurde Russland mindestens der Versuch der Manipulation vorgeworfen. Nun kamen die amerikanischen Geheimdienste erneut zu dem Schluss, dass die russische Regierung mithilfe ihres Geheimdienstes sowie Internet-Trollen, staatlichen Medien und Verbündeten versucht haben soll, die Präsidentschaftswahl zugunsten ihrer Interessen zu beeinflussen.
Teil der russischen Strategie sei es gewesen, den Vorwurf zu streuen, Biden und seine Familie seien in korrupte Geschäfte in der Ukraine verwickelt gewesen, heißt es in dem Bericht. Auch Trumps ehemaliger Anwalt Rudy Giuliani soll in die russische Kampagne verstrickt gewesen sein. Dieser traf sich mehrfach mit ukrainischen Beamten, um Beweise für die angebliche Korruption zu sammeln und Ermittlungen in der Ukraine voranzubringen. Die Korruptionsvorwürfe gegenüber den Bidens wurden jedoch inzwischen von Ermittlern mehrfach als haltlos deklariert.
Laut Medienberichten zieht der Bericht der US-Geheimdienste unter anderem das Fazit, Russland hätte mit dieser Kampagne das Ziel verfolgt, "dem früheren Präsidenten Trump zu helfen, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wahl zu untergraben und die gesellschaftliche Spaltung der Menschen in den USA zu vertiefen".
Entsprechend verärgert reagierte Biden nun auf den Bericht. "Joe Biden nimmt Russlands Manipulationsversuche bei den US-Wahlen persönlich. Denn es ging ja schließlich darum, seine Wahl zum US-Präsidenten zu vereiteln", sagt USA-Experte Josef Braml gegenüber watson
"Ganz offensichtlich wähnten sich die Russen in einer besseren Lage, als noch Donald Trump die Amtsgeschäfte der USA führte", erklärt Braml weiter. Erfolg hatte Russland mit dieser Strategie offensichtlich nicht. Belastet ist das Verhältnis zwischen USA und Russland nun dennoch.
Putin hatte also den Berichten zufolge offensichtlich ein Interesse daran, dass Trump die Wahlen in den USA gewinnt. Dabei "wurde auch Trump parteiübergreifend vom amerikanischen Kongress genötigt, Sanktionen gegen Russland scharfzumachen", sagt USA-Experte Braml. Warum wäre es trotzdem in Putins Sinne gewesen, wenn Trump die Wahl gewonnen hätte?
Die USA und Russland haben schon lange ein Verhältnis, das man als angespannt beschreiben könnte. Sie sind zwei konkurrierende Großmächte, die in vielen Punkten politisch sehr weit auseinanderliegen. Das hat sich während Trumps Amtszeit nicht verändert. Auch in den vergangenen Jahren wurden Sanktionen gegen Russland verhängt und es gab Streit, etwa um das Vorgehen in Syrien oder das iranische Atomabkommen.
Aber: Diese Entscheidungen trugen nicht immer unbedingt Trumps Handschrift. 2017 setzte der US-Kongress etwa eine Verschärfung der Sanktionen gegenüber Russland ohne Trumps Zustimmung durch – und gestaltete diese auch noch so, dass Trump sie nicht mehr im Alleingang zurücknehmen konnte.
Die Differenzen zwischen den USA und Russland sollten also zumindest teilweise losgelöst von Trumps individuellem Verhältnis zu Putin gesehen werden. Denn in ihren politischen Ansichten und ihrer Art sind sich Putin und Trump in vielerlei Hinsicht ähnlich: Beide hängen einem autoritären Führungsstil an und profilieren sich gerne mit Macht-Posen, während sie liberalen Werten ablehnend gegenüberstehen.
Trump hatte schon vor seiner Präsidentschaft ein besonderes Verhältnis zu Putin. Im vergangenen Jahr wurde öffentlich, dass er dem Kreml-Chef bereits im Jahr 2007 einen Brief schrieb. Putin war damals vom Time-Magazin zur Person des Jahres gewählt worden. Trump, zu diesem Zeitpunkt noch fast ein Jahrzehnt von seiner Wahl zum Präsidenten entfernt, gratulierte Putin in seinem Brief zu der Auszeichnung und schrieb dazu: "Wie Sie wahrscheinlich gehört haben, bin ich ein großer Fan von Ihnen."
Auch während seiner Präsidentschaft verlieh Trump seiner Bewunderung für den russischen Regierungsführer immer wieder Ausdruck. Noch im Herbst des vergangenen Jahres erklärte Trump, er und Putin kämen gut miteinander aus. Und auch Putin fand umgekehrt des Öfteren freundliche Worte für den ehemaligen US-Präsidenten, nannte ihn einen "klugen Mann" und erzählte etwa, wie "wohlwollend" und "korrekt" Trump sich verhalte.
Zudem drückte sich Trump selbst immer wieder davor, Putin offen zu kritisieren oder politisch gegen Russland vorzugehen. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte Kopfgeld-Affäre, die im vergangenen Jahr in den USA Wellen schlug.
Dabei wurde ein Geheimdienst-Bericht über mögliche Kopfgelder öffentlich, die von Russland auf US-Soldaten ausgesetzt worden sein sollen. Russische Geheimdienst-Agenten sollen demnach den Taliban Geld gezahlt haben, damit diese Anschläge auf das US-Militär in Afghanistan verüben. Donald Trump bestritt zunächst, etwas von diesen Anschuldigungen gewusst zu haben, tat die Vorwürfe dann später als Schwindel ab und verzichtete auf weitere Untersuchungen oder Sanktionen gegen Russland.
Der neue Präsident Joe Biden wird solche Anschuldigungen wohl nicht mehr einfach stehen und tiefergehender untersuchen lassen. Denn Biden vertritt mit den Demokraten eine Partei, in deren Reihen es viele Russland-Kritiker gibt. Zwei Wochen nach seiner Vereidigung kündigte Biden bereits an, nicht mehr vor Russland kuschen zu wollen und dies auch Putin schon in einem Telefonat deutlich gemacht zu haben.
Diese klarere Linie dürfte auch damit zusammenhängen, dass Biden sein Amt insgesamt idealistischer angeht als Trump, wie sich allein an der Besetzung von Bidens Kabinett zeigt. Trump war als Politiker hingegen deutlich pragmatischer. Er verfolgte häufig eine "Wie du mir, so ich dir"-Politik, Themen wie Menschenrechte waren für den Ex-Präsidenten dabei weniger relevant als für seinen Nachfolger. Allein deshalb könnte Putin ein Interesse daran gehabt haben, dass Trump die Wahlen gewinnt.
Einen Vorteil könnte Bidens Präsidentschaft dennoch für Putin haben: Der Demokrat ist als Politiker vermutlich deutlich berechenbarer als sein Vorgänger Trump.
Erstmal: nichts Gutes. Was genau der "Preis" ist, den Putin für seine Wahlkampf-Einmischung zahlen soll, hat Biden bisher noch nicht genauer beziffert. Aber der US-Präsident hat es sich offensichtlich zur Aufgabe gemacht, einige mutmaßliche Vergehen Russlands aufzuklären, die während Trumps Präsidentschaft wenig Beachtung fanden. Dazu gehören neben der Einmischung in den Wahlkampf wohl auch die vermutete russische Beteiligung an einem großen Hackerangriff auf amerikanische Firmen und Behörden zu Beginn dieses Jahres sowie die bereits erwähnte Kopfgeld-Affäre.
Wahrscheinlich ist, dass die USA zunächst weitere Sanktionen gegen Russland verhängen werden. Erst Anfang des Monats hatten verschiedene US-Ministerien in Zusammenhang mit der Haftstrafe des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny verschiedene Strafmaßnehmen gegen russische Unternehmen in Gang gesetzt. Diese könnten nun noch einmal ausgeweitet werden. Es ist damit wohl davon auszugehen, dass gerade zwar der erste, aber wohl längst nicht der letzte Tiefpunkt der amerikanisch-russischen Beziehungen unter Präsident Biden erreicht ist.
Der US-Experte Joseph Braml geht jedoch davon aus, dass die USA nicht dauerhaft auf Distanz zu Russland gehen werden. Denn sie sind laut Braml in einem wichtigen Punkt auf die russische Kooperation angewiesen:
Im Zuge der Diskussion rückt noch einmal ein Projekt in den Fokus, in das auch Deutschland involviert ist: die Gas-Pipeline Nord Stream 2.
Das Projekt, mithilfe dessen größere Mengen Gas von Russland nach Deutschland befördert werden sollen, ist den USA schon länger ein Dorn im Auge. Sie befürchten, dass so eine zu große Abhängigkeit Europas von russischen Energielieferungen geschaffen wird. Kritiker sagen, dass die USA einfach ihr eigenes Gas in Europa verkaufen wollen. Aber auch mehrere europäische Länder stehen Nord Stream 2 kritisch gegenüber. Die Bundesregierung hat bisher dennoch an der Fertigstellung der Pipeline festgehalten.
Bereits im vergangenen Jahr waren die Arbeiten an Nord Stream 2 für fast ein Jahr unterbrochen gewesen – aufgrund amerikanischer Sanktionen. Erst im Dezember des vergangenen Jahres wurden die Arbeiten wieder aufgenommen.
Die Auseinandersetzung zwischen Biden und Putin lenkt nun aber erneut Aufmerksamkeit auf das Nord-Stream-Projekt. Schon länger üben vor allem viele demokratische Abgeordnete Druck auf Biden aus, den Bau zu verhindern. Am Donnerstag forderten die USA nun den sofortigen Stopp aller Arbeiten an der Ostsee-Pipeline. Jede Stelle, die an dem Projekt zwischen Russland und Deutschland mitwirke, müsse sich sofort zurückziehen oder mit US-Sanktionen rechnen, kündigte US-Außenminister Antony Blinken an. Derzeit werte man Informationen über Firmen aus, die an dem Projekt beteiligt seien, erklärte Blinken weiter.
Von der angespannten Lage könnte daher auch Deutschland betroffen sein. Die Bundesregierung steht bereits seit Längerem unter Druck wegen ihres Festhaltens an der Pipeline, das sowohl innerhalb der Parteien als auch international kritisch beäugt wird. Der Streit zwischen den USA und Russland und die daraus möglicherweise folgenden Sanktionen könnten diesen Druck nun noch ein weiteres Mal verstärken.