"Die wollen doch nur, dass wir blechen" oder "Robert Habeck schadet mit seiner Regulierung der Wirtschaft" sind Sätze, die in letzter Zeit häufiger fallen. Vornehmlich aus den Bereichen der Unternehmen.
Der Sündenbock: oftmals der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Anfang des Jahres hagelte es beispielsweise Kritik für das Inkrafttreten des sogenannten Lieferkettengesetzes.
Häufig, so macht es zumindest den Anschein, ist es mehr ein Gegeneinander als ein Miteinander – gesamtgesellschaftlich, aber auch zwischen Unternehmen und Politiker:innen. Jung gegen Alt, Wirtschaft gegen Politik. Zulasten der Umwelt. Dabei wäre ein gemeinsamer Ansatz so wichtig. Und hier kommt es vor allem auf die Jugend an.
"Politik und Wirtschaft kann man nicht getrennt betrachten", meint Lena Partzsch im Gespräch mit watson. Sie ist Politikwissenschaftlerin und Professorin am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin mit Schwerpunkt Umwelt- und Klimapolitik.
Die beiden Bereiche würden einander bedingen, erklärt sie. "Es sind politische Entscheidungen, die den Rahmen für eine Wirtschaft schaffen, die die Umwelt zerstören."
Erschwerend dazu kommt nicht selten eine starke Lobby der jeweiligen Unternehmensbranche. Und die drängt meistens auf Entlastungen, wie etwa im Falle des Lieferkettengesetzes.
Wie kann die deutsche Industrie da noch klimafreundlicher werden und gleichzeitig wettbewerbsfähig bleiben? Mit dieser Frage schlägt sich klassischerweise unter anderem der Wirtschaftsminister der Bundesrepublik rum.
Es sind grundsätzliche Interessen, die beim Thema Nachhaltigkeit in Politik und Wirtschaft aufeinanderprallen. Sie treffen sich bei der Umweltregulierung. Dabei sollte längst klar sein: Klimaziele erreichen geht nur gemeinsam.
Lena Partzsch meint, Klimaschutz würde zwar sowohl in Politik als auch Wirtschaft immer mehr thematisiert, die Umsetzung bleibe jedoch auf der Strecke. Genauso wie etwa andere Umweltthemen.
Der Vorwurf, mit dem sich Robert Habeck immer wieder konfrontiert sieht – die Wirtschaft mit Regulierungen zu schädigen – sei empirisch nicht haltbar, sagt Partzsch. "Es gibt weltweit immer mehr Umweltregulierung." Die deutsche Wirtschaft sollte sich in eigenem Interesse frühzeitig darauf einstellen.
Denn dass man einen Wettbewerbsvorteil hat, wenn man als Unternehmen ins Ausland abwandert, sei aus eben diesem Grund schon lange nicht mehr so, erklärt die Wissenschaftlerin.
Als Negativbeispiel nennt sie Elektroautos. Viele asiatische Länder haben diese bereits frühzeitig gefördert – im Gegensatz zu Deutschland, wo man immer noch stark auf Verbrenner setzt. Das wurde dem Bund nun zum Verhängnis – und zum Wettbewerbsnachteil.
Einzelne Branchen könnten durch Umweltregulierung trotzdem leiden, merkt die Expertin an, Gründe für pauschale Abwanderung durch horrende Kosten liefere das aber nicht.
Wichtig ist eine konsequente Durchsetzung der Gesetze, wie beim Lieferkettengesetz. Denn Partzsch betont:
Hier ist die Politik gefordert. Das geht aber nicht ohne die Wirtschaft. Letztere muss mitziehen.
Aber es geht auch um die Jugend. Denn prinzipiell sind Nachhaltigkeit und Klimaschutz größere Themen unter Jüngeren – und somit auch Jung- und Erstwähler:innen – als unter Älteren. Die ältere Generation ist allerdings oft für politische Akteure interessanter, da sie den größten Wähleranteil in Deutschland ausmacht.
Was helfen würde, sei: Den Älteren sinnbildlich die Hand zu reichen, anstatt sie für frühere Fehler im Klimaschutz zu verurteilen. Sonst entstehe eine Gegenbewegung – zulasten des Klimas, meint Julian Emde, Mitglied der Nachhaltigkeitsberatung "BAM! Bock auf Morgen" und des Bündnis für klimapositives Verhalten. Die Agentur veranstaltet am 29. und 30. November ein Festival in Berlin, bei dem Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kreativszene und Politik zusammentreffen und über Nachhaltigkeit diskutieren.
Hier sei es nicht unbedingt entscheidend, wer mit wem diskutiert, sondern vielmehr, mit welcher Haltung, betont Julian Emde.
Die Unternehmen, die dem Bündnis für klimapositives Verhalten angehören, erlegen sich selbst strenge Umweltregeln auf. Sie werben dafür, dass sich die Wirtschaft dadurch selbst regulieren solle – und die Politik nicht mehr eingreifen müsse. Ein Gegenentwurf zu Lena Partzschs Ausführungen.
Partzsch nennt es Green-Marketing, ethischen Konsum. Auch eine Form der Politik, meint sie. Darin sieht sie aber auch einen Nachteil: "Unternehmen, die Nachhaltigkeit als Alleinstellungsmerkmal für sich entdeckt haben, sind oft nicht an gesetzlichen Vorgaben für die breite Masse interessiert." Denn: "Durch gesetzliche Vorgaben hätten sie zunächst einen Vorreitervorteil, verlören aber ihr Alleinstellungsmerkmal."
Partzsch mahnt:
Das sieht Julian Emde auch so. Er vergleicht es mit Fußball: Es müssten endlich alle nach denselben Regeln spielen, damit es keinen Wettbewerbsvorteil mehr gebe. Und vor allem, die Spielregeln mitgestalten, anstatt sie immer wieder für Schlupflöcher auszunutzen.
Expertin Partzsch appelliert an die Bundesregierung: "Damit sich wirklich was ändern kann, muss ein Umdenken stattfinden. Umweltschutz muss politisch vor Wirtschaftswachstum gestellt werden."