Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bei der 6. Industriekonferenz 2023 seines Ministeriums in Kooperation mit dem Bündnis "Zukunft der Industrie".Bild: dpa / Hannes P. Albert
Analyse
13.11.2023, 19:5315.11.2023, 08:10
"Die wollen doch nur, dass wir blechen" oder "Robert Habeck schadet mit seiner Regulierung der Wirtschaft" sind Sätze, die in letzter Zeit häufiger fallen. Vornehmlich aus den Bereichen der Unternehmen.
Der Sündenbock: oftmals der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Anfang des Jahres hagelte es beispielsweise Kritik für das Inkrafttreten des sogenannten Lieferkettengesetzes.
Was ist das Lieferkettengesetz?
Unternehmen haben die Pflicht, für die Einhaltung von Menschenrechten bei der gesamten Produktion zu sorgen.
Unternehmen (mit mehr als 3000 Mitarbeiter:innen, ab 2024 mit mehr als 1000 Mitarbeiter:innen) müssen laut geltendem Gesetz unter anderem jährlich einen Bericht vorlegen über die Erfüllung von Sorgfaltspflichten. Er soll spätestens vier Monate nach dem Schluss eines Geschäftsjahres veröffentlicht werden. Habeck möchte Unternehmen nun dahingehend entlasten und die Berichtspflicht lockern. (dpa)
Häufig, so macht es zumindest den Anschein, ist es mehr ein Gegeneinander als ein Miteinander – gesamtgesellschaftlich, aber auch zwischen Unternehmen und Politiker:innen. Jung gegen Alt, Wirtschaft gegen Politik. Zulasten der Umwelt. Dabei wäre ein gemeinsamer Ansatz so wichtig. Und hier kommt es vor allem auf die Jugend an.
Streit zwischen Politik und Wirtschaft auf dem Rücken des Klimaschutzes?
"Politik und Wirtschaft kann man nicht getrennt betrachten", meint Lena Partzsch im Gespräch mit watson. Sie ist Politikwissenschaftlerin und Professorin am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin mit Schwerpunkt Umwelt- und Klimapolitik.
Die beiden Bereiche würden einander bedingen, erklärt sie. "Es sind politische Entscheidungen, die den Rahmen für eine Wirtschaft schaffen, die die Umwelt zerstören."
Politische Entscheidungen sind laut Expertin Partzsch maßgebend für wirtschaftliche Aktionen.Bild: dpa / Uwe Anspach
Erschwerend dazu kommt nicht selten eine starke Lobby der jeweiligen Unternehmensbranche. Und die drängt meistens auf Entlastungen, wie etwa im Falle des Lieferkettengesetzes.
Wie kann die deutsche Industrie da noch klimafreundlicher werden und gleichzeitig wettbewerbsfähig bleiben? Mit dieser Frage schlägt sich klassischerweise unter anderem der Wirtschaftsminister der Bundesrepublik rum.
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Es sind grundsätzliche Interessen, die beim Thema Nachhaltigkeit in Politik und Wirtschaft aufeinanderprallen. Sie treffen sich bei der Umweltregulierung. Dabei sollte längst klar sein: Klimaziele erreichen geht nur gemeinsam.
Einheitlich strenge Umweltregulierung ist entscheidend
Lena Partzsch meint, Klimaschutz würde zwar sowohl in Politik als auch Wirtschaft immer mehr thematisiert, die Umsetzung bleibe jedoch auf der Strecke. Genauso wie etwa andere Umweltthemen.
Der Vorwurf, mit dem sich Robert Habeck immer wieder konfrontiert sieht – die Wirtschaft mit Regulierungen zu schädigen – sei empirisch nicht haltbar, sagt Partzsch. "Es gibt weltweit immer mehr Umweltregulierung." Die deutsche Wirtschaft sollte sich in eigenem Interesse frühzeitig darauf einstellen.
Denn dass man einen Wettbewerbsvorteil hat, wenn man als Unternehmen ins Ausland abwandert, sei aus eben diesem Grund schon lange nicht mehr so, erklärt die Wissenschaftlerin.
Als Negativbeispiel nennt sie Elektroautos. Viele asiatische Länder haben diese bereits frühzeitig gefördert – im Gegensatz zu Deutschland, wo man immer noch stark auf Verbrenner setzt. Das wurde dem Bund nun zum Verhängnis – und zum Wettbewerbsnachteil.
Beim Thema Elektroautos hat Deutschland den Kürzeren gezogen – weil nicht schnell genug reagiert wurde.Bild: dpa / Arne Dedert
Einzelne Branchen könnten durch Umweltregulierung trotzdem leiden, merkt die Expertin an, Gründe für pauschale Abwanderung durch horrende Kosten liefere das aber nicht.
Wichtig ist eine konsequente Durchsetzung der Gesetze, wie beim Lieferkettengesetz. Denn Partzsch betont:
"Es geht darum, gleiche Bedingungen für alle Unternehmen zu schaffen. Im Moment sind allzu oft Unternehmen im Wettbewerbsvorteil, die Umwelt- und Menschenrechtsstandards unterlaufen."
Hier ist die Politik gefordert. Das geht aber nicht ohne die Wirtschaft. Letztere muss mitziehen.
Einigkeit im Klimaschutz: Warum es auf die Jugend ankommt
Aber es geht auch um die Jugend. Denn prinzipiell sind Nachhaltigkeit und Klimaschutz größere Themen unter Jüngeren – und somit auch Jung- und Erstwähler:innen – als unter Älteren. Die ältere Generation ist allerdings oft für politische Akteure interessanter, da sie den größten Wähleranteil in Deutschland ausmacht.
Was helfen würde, sei: Den Älteren sinnbildlich die Hand zu reichen, anstatt sie für frühere Fehler im Klimaschutz zu verurteilen. Sonst entstehe eine Gegenbewegung – zulasten des Klimas, meint Julian Emde, Mitglied der Nachhaltigkeitsberatung "BAM! Bock auf Morgen" und des Bündnis für klimapositives Verhalten. Die Agentur veranstaltet am 29. und 30. November ein Festival in Berlin, bei dem Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kreativszene und Politik zusammentreffen und über Nachhaltigkeit diskutieren.
Man müsse die Älteren mitnehmen, meint Julian Emde. (Im Bild: Luisa Neubauer von Fridays for Future.)Bild: dpa / Soeren Stache
Hier sei es nicht unbedingt entscheidend, wer mit wem diskutiert, sondern vielmehr, mit welcher Haltung, betont Julian Emde.
Die Unternehmen, die dem Bündnis für klimapositives Verhalten angehören, erlegen sich selbst strenge Umweltregeln auf. Sie werben dafür, dass sich die Wirtschaft dadurch selbst regulieren solle – und die Politik nicht mehr eingreifen müsse. Ein Gegenentwurf zu Lena Partzschs Ausführungen.
Partzsch nennt es Green-Marketing, ethischen Konsum. Auch eine Form der Politik, meint sie. Darin sieht sie aber auch einen Nachteil: "Unternehmen, die Nachhaltigkeit als Alleinstellungsmerkmal für sich entdeckt haben, sind oft nicht an gesetzlichen Vorgaben für die breite Masse interessiert." Denn: "Durch gesetzliche Vorgaben hätten sie zunächst einen Vorreitervorteil, verlören aber ihr Alleinstellungsmerkmal."
Partzsch mahnt:
"Es ist wichtig, dass diese Unternehmen vorweg gehen und den anderen zeigen: So geht es auch. Es funktioniert auch mit ambitionierten Standards. Aber es ist an der Zeit, dass grüne Unternehmen ihre Nischenposition aufgeben und ambitionierte Regeln für alle etabliert und angewendet werden."
Das sieht Julian Emde auch so. Er vergleicht es mit Fußball: Es müssten endlich alle nach denselben Regeln spielen, damit es keinen Wettbewerbsvorteil mehr gebe. Und vor allem, die Spielregeln mitgestalten, anstatt sie immer wieder für Schlupflöcher auszunutzen.
Expertin Partzsch appelliert an die Bundesregierung: "Damit sich wirklich was ändern kann, muss ein Umdenken stattfinden. Umweltschutz muss politisch vor Wirtschaftswachstum gestellt werden."
Die Logistikindustrie stellt fürs Klima eine enorme Belastung dar. Das gilt nicht nur für Großtransporte, sondern auch regionale Paketrunden. Auch, weil das Bestellvolumen in den vergangenen Jahren stark zugelegt hat. Ein Umstand, der unter anderem dem Versandriesen Amazon geschuldet ist.