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Deutschland
30.07.2019, 09:3016.08.2019, 12:27
Ein achtjähriger Junge ist im Frankfurter Hauptbahnhof von einem Mann vor einen einfahrenden ICE in den Tod gestoßen worden. Ein Tatverdächtiger wurde festgenommen, wie die Polizei mitteilte. Ein Überblick:
Was ist passiert?
Am Montagvormittag, kurz vor 10 Uhr, spielten sich an Gleis 7 des Frankfurter Hauptbahnhofs grauenhafte Szenen ab. Eine Mutter stand mit ihrem acht Jahre alten
Sohn am Bahnsteig, als die beiden plötzlich von einem Mann vor einen einfahrenden
ICE gestoßen wurden.
"Das Kind wurde vom Zug überrollt und tödlich verletzt, es starb noch
im Gleisbett", sagte Polizeisprecher Thomas Hollerbach. "Der 40 Jahre
alten Mutter ist es noch gelungen, sich zur Seite zu rollen und zu
retten." Laut der Polizei wollte der Mann eine dritte Person schubsen – diese wehrte sich jedoch.
Was ist über den Täter bekannt?
Der mutmaßliche Täter konnte
zunächst entkommen. Er wurde aber von Passanten verfolgt; die Polizei
konnte ihn schließlich außerhalb des Bahnhofs festnehmen.
Der Mann wird am Dienstag einem Haftrichter vorgeführt. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wohnt der Tatververdächtige in der Schweiz.
Was verleitet jemanden zu so einer solchen Attacke?
Diese Frage
stellen sich nun auch die Ermittler. "Es gibt keinerlei
Anhaltspunkte, dass Täter und Opfer sich kannten", sagte eine
Polizeisprecherin.
Was könnte also das Motiv sein? Christian Lüdke,
Kriminalexperte und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut aus
Essen, sagt: Man könne natürlich nur spekulieren, aber oft entwickelten
sich solche Taten aus Frust, Wut, Angst oder dem Gefühl, alles
verloren zu haben, sagt er. "Das führt zu einem Ohnmachtsgefühl.
Durch die Gewaltausübung verwandelt sich diese Ohnmacht in ein Gefühl
der Allmacht."
Der Psychologe sagt auch: "Niemand wird über
Nacht zum Mörder. Das ist immer der Abschluss einer langen gestörten
Entwicklung."
Gibt es solche Fälle in Deutschland öfters?
Wie jetzt in Frankfurt gab es schon in der Vergangenheit Fälle, bei denen Menschen von Fremden ohne Vorwarnung auf die Gleise gestoßen wurden:
Voerde, 20. Juli 2019: In der niederrheinischen Stadt stößt ein 28-jähriger Mann eine 34-jährige Frau vor eine einfahrende Regionalbahn. Sie stirbt an ihren Verletzungen. Das Motiv des Mannes ist unklar. Er war wegen Diebstahls und Körperverletzungen polizeilich bekannt.
München, 26. April 2017: Ein 59-jähriger Mann wartet an einem U-Bahnhof, als ihn eine 38-jährige Frau vor die einfahrende Bahn stößt. Der Zug bremst und kommt etwa zehn Meter vor dem Mann im Gleisbett zum Stehen. Die Frau leidet unter paranoider Schizophrenie. Ein Gericht ordnet eine Unterbringung in der Psychiatrie an.
Berlin, 19. Januar 2016: Eine junge Frau wird auf einem U-Bahnhof von einem psychisch kranken 29-Jährigen vor eine Bahn gestoßen, überrollt und tödlich verletzt. Der Täter wird im Prozess zur dauerhaften Unterbringung in der Psychiatrie verurteilt.
Stuttgart, 24. Dezember 1998: Ein Unbekannter stößt eine 20-Jährige vor eine S-Bahn. Sie wird überrollt und stirbt noch vor Ort. Ein Jahr später stellt sich ein Mann der Polizei. Ein Gutachten ergibt, dass er an einer schizophrenen Psychose leidet. Er wird dazu verurteilt, dauerhaft in der Psychiatrie untergebracht zu werden.
Wie können solche Fälle verhindert wwerden?
Eine Patentlösung für mehr Sicherheit an deutschen Bahnsteigen sieht
Thomas Kraft vom Fahrgastverband Pro Bahn Hessen nicht. "Ich weiß
keinen Rat. Man kann so etwas nicht hundertprozentig verhindern",
sagt er. An größeren Bahnhöfen wie dem Frankfurter Hauptbahnhof gebe
es sogar noch vergleichsweise viel Aufsichtspersonal.
Auch Konzepte wie etwa für größere Bahnhöfe in England oder
Frankreich, wo Bahnreisende oft nur mit einem Ticket oder erst
nach Einfahren des Zugs auf den Bahnsteig gelangen, bringen Kraft
zufolge keine völlige Sicherheit.
Wie reagiert die Politik auf den Vorfall?
Der SPD-Verkehrspolitiker Martin Burkert bemängelte in der "Bild"-Zeitung eine unzureichende Aufsicht an den Bahnsteigen. Zudem fehle es an den Bahnhöfen an Bundespolizisten. Einen Umbau der Bahnhöfe halte er aber nicht für nötig, sagte Burkert. "Es würde erstmal reichen, wenn wieder Normalität durch Polizei und Aufsicht geschaffen würde."
Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, warnte aber, solch "grauenhafte Verbrechen" würden sich nicht durch mehr Polizisten verhindern lassen. Radek fordert stattdessen, "über den Einbau technischer Sperren zu diskutieren, die den Zugang zu Gleisen erst ermöglichen, wenn der Zug bereits steht". Solche Vorrichtungen gebe es etwa an bestimmten Gleisen in Londoner Bahnhöfen.
Die Deutsche Bahn erklärte gegenüber "Bild", die Forderungen, Bahnsteige nur noch für Ticketinhaber betretbar zu machen, seien zwar nachvollziehbar. Dies würde aber Hunderte Millionen Euro kosten und zu Schlangen an den Bahnsteigen führen. Auch der Fahrgastverband "Pro Bahn" erklärte, eine solche Forderung sei "logistisch kaum umzusetzen".
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will sich am Dienstag in Berlin zu der Tötung eines achtjährigen Kindes am Montag im Frankfurter Hauptbahnhof äußern. Zuvor will Seehofer Gespräche mit Sicherheitsbehörden führen. Dafür unterbrach der Innenminister seinen Urlaub. Bei den Gesprächen soll es laut Innenministerium auch um weitere jüngste Gewaltakte gehen.
(pb/dpa/afp)