Deutschland

Seehofer verbietet Reichsbürger-Gruppe –Razzien in zehn Ländern

German Interior Minister Horst Seehofer speaks during a press conference in Berlin, Germany, Friday, Feb. 21, 2020 two days after a 43-year-old German man shot and killed several people at several loc ...
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU).Bild: ap / Michael Sohn
Deutschland

Seehofer verbietet Reichsbürger-Gruppe –Razzien in zehn Ländern

19.03.2020, 06:5119.03.2020, 10:22
Mehr «Deutschland»

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat erstmals eine Reichsbürgervereinigung verboten. Es handelt sich um die Gruppe "geeinte deutsche Völker und Stämme", wie sein Sprecher am Donnerstag über Twitter mitteilte. Seit den Morgenstunden liefen in zehn Bundesländern polizeiliche Maßnahmen. Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus würden auch in Krisenzeiten unerbittlich bekämpft, erklärte der Ministeriumssprecher mit Verweis auf die Coronavirus-Krise.

Die Mitglieder des Vereins "bringen durch Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus ihre Intoleranz gegenüber der Demokratie deutlich zum Ausdruck", hieß es aus dem Bundesinnenministerium. In den vergangenen Jahren sei die Gruppierung unter anderem durch "verbalaggressive Schreiben" aufgefallen. Darin sei den Adressaten "Inhaftierung" und "Sippenhaft" angedroht worden. Das "Höchste Gericht" der Gruppe drohte Regierungsmitgliedern mit Klagen wegen der "Zersetzung hoheitlicher Staatlichkeit".

Dass die Gruppierung eigene Stempel hergestellt und ein Zahlungsmittel als eine Art Phantomwährung geschaffen haben soll, mag man skurril finden. Dass ein solches Treiben harmlos sei, solle dennoch niemand glauben, warnt der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle. "Diese Gruppen werden mitunter immer noch als bloße Irre verklärt." Tatsächlich bereiteten sie jedoch durch "krude Theorien und seltsame Aufrufe" den Boden für rechtsextreme Gewalt.

Sogenannte "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" zweifeln die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland an. Einige dieser Gruppierungen berufen sich auf ein selbst definiertes "Naturrecht", andere auf das historische Deutsche Reich. Viele unter ihnen behaupten, die Bundesrepublik sei in Wirklichkeit kein Staat, sondern ein Unternehmen. Sie erkennen Gesetze und Behörden nicht an und wehren sich teilweise gewaltsam gegen staatliche Maßnahmen. Bundesweit soll es nach Angaben des Verfassungsschutzes rund 19.000 Mitglieder dieser Szene geben, deren Mitglieder als waffenaffin gelten.

Schwerpunkt der Aktionen der Kleingruppe "Geeinte deutsche Völker und Stämme" war zuletzt Berlin. So versuchte beispielsweise 2017 eine Handvoll Anhänger, das Rathaus im Bezirk Zehlendorf zu "übernehmen". Im Brustton der Überzeugung verlangten sie die Herausgabe eines Schlüssels, bevor die Polizei schließlich die Aktion beendete.

Gruppe will Holocaus-Leugner befreien

Nach Angaben der Polizei setzten sich ihre Mitglieder zudem mit Vehemenz und Drohungen für eine vorzeitige Haftentlassung des wegen Volksverhetzung verurteilten todkranken Holocaust-Leugners Horst Mahler ein. Im vergangenen September hatten Polizeibeamte in drei Bundesländern insgesamt vier Durchsuchungsbeschlüsse gegen Mitglieder der Gruppe vollstreckt. Jetzt wurde nach dpa-Informationen in Berlin, Brandenburg, Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Sachsen und Thüringen durchsucht.

Heike W., die das bekannteste Gesicht der Gruppe ist, rechnet sich selbst nicht der Reichsbürger-Szene zu. Sie verbreitet ihre Theorien unter anderem auf der Website der Gruppe und auf Youtube. Heike W. beruft sich auf "die germanischen Erstbesiedlungsrechte". Ihre Anhänger animiert sie, ihre Personalausweise zurückzugeben und sich "lebend zu erklären". Die Gruppierung hat nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden einige Dutzend Mitglieder. Sie hatte Drohbriefe an mehrere Politiker verschickt, darunter auch Landesjustizminister.

Seehofer hatte im vergangenen Jahr mehrere Verbotsverfügungen angekündigt. Ende Januar hatte er dann die rechtsextreme Gruppe "Combat 18" verboten. Der Name der Vereinigung gilt als Codewort für "Kampftruppe Adolf Hitler". Mehrere mutmaßliche Mitglieder der Gruppe haben gegen das Verbot gemeinsam Klage eingereicht.

(dpa/lin/pcl)