Mindestens 157 Menschenleben hat Tief "Bernd" im vergangenen Juli gefordert. "Bernd" war das Tiefdruckgebiet, das durch seinen Starkregen zu schwersten Überschwemmungen im Süden und im Westen Deutschlands geführt hat. Seither berühmt: Das Ahrtal.
Nach der Flut waren sich Wissenschaft, Wetterdienst und Klimaaktivisten einig: Solche Extremwetterlagen mit Hochwassergefahr wird es in Zukunft häufiger geben. Davon ist auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) überzeugt. Um die Bevölkerung dafür zu wappnen, brauche es aus Sicht des BBK vor allem Aufklärung.
"Diese Katastrophe darf sich nicht wiederholen", sagt BBK-Präsident Ralph Tiesler ein Jahr nach der Flut auf watson-Anfrage. Wie viele Menschen durch das Erlebte schwer traumatisiert seien, ließe sich nur erahnen. Die Flut habe aber nicht nur geschockt, sondern auch vieles angestoßen.
Tiesler führt aus:
Was es nun brauche: "Ein szenario-unabhängiges, übergreifendes Denken und Handeln", meint Tiesler. Damit im Krisenfall alles funktioniert, müsste die Zusammenarbeit zur Routine werden.
Eigentlich liegt der Katastrophenschutz vornehmlich bei den Bundesländern. Innenministerin Nancy Faeser sagte am Mittwoch in einer Pressekonferenz in Berlin, dass sie in Zukunft weniger auf Kompetenzen herumreiten wolle, wenn es am Ende um den Katastrophenschutz ginge. Genau aus diesem Grund haben die Innenminister der Länder und die Bundesministerin bereits im Juni die Gründung eines Kompetenzzentrums beschlossen.
Der Sinn dahinter: Mehr Zusammenarbeit, kürzere Wege und vor allem mehr Austausch. Denn die unterschiedlichen Regionen Deutschlands hätten auch unterschiedliche Kompetenzbereiche. Brandenburg habe beispielsweise viel Erfahrung mit Waldbränden, meint Faeser. Der Bevölkerungsschutz bekommt dadurch einen höheren Stellenwert, erklärt Tiesler auf watson-Anfrage.
Aber nicht nur Bund und Länder wollen in Sachen Bevölkerungsschutz in Zukunft besser zusammenarbeiten, auch die unterschiedlichen Ressorts des Bundeskabinetts. Aus diesem Grund wurde gemeinsam eine Resilienzstrategie für Deutschland beschlossen.
Sie soll zu einer besseren Vorhersage und Bewältigung von Naturkatastrophen, Gesundheitskrisen sowie anderen Notlagen führen. In dem Papier heißt es, bestehende Strukturen und Systeme sollten durch neue oder verbesserte Maßnahmen im Katastrophenrisikomanagement ergänzt oder miteinander verknüpft werden. "Wir haben uns zu lange sicher gefühlt", sagt Faeser bei der Pressekonferenz. Nun müssten Versäumnisse der vergangenen Jahre ausgebügelt werden.
Verbessert werden soll aber nicht nur die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Akteure, sondern auch die Warnstrategie der Bevölkerung. Hier werde an unterschiedlichen Ecken gearbeitet. Zum einen soll das Sirenenförderprogramm dafür sorgen, dass es wieder mehr Sirenen gibt. "Das muss ich noch einmal deutlich sagen: Die Sirenen wurden in den vergangenen Jahren abgebaut", macht Faeser klar. Sie sei mit Israel im Austausch, da dieser Staat eine Sirenentechnik nutze, die nicht auf das Mobilnetz angewiesen ist.
Und auch Warnungen per Handys sollen verbessert werden. Unter anderem durch den Ausbau der App Nina, als auch des Cell-Broadcasting-Systems – also der Warnung per Handy. Der Testalarmtag im Sommer 2020 hatte für Irritationen gesorgt: Vielerorts schrillten keine Sirenen, die Warnapp schlug auf vielen Handys ebenfalls keinen Alarm.
Der Testtag sei der erste seit Ende des Kalten Krieges gewesen, viele Kommunen hätten heute keine Sirenen mehr, weil die Instandhaltung zu teuer wäre. Das System, das die Apps, lokal und regional auslösen sollte, sei außerdem überlastet gewesen. Diese Schwachstellen zu finden, sei der Sinn des Tests gewesen. "Solche Testtage werden in Zukunft häufiger stattfinden", meinte ein Sprecher des BBK im vergangenen Sommer – nach der Flutkatastrophe.
Im September ist es dann so weit: Ein neuer Testtag ist angesetzt. An diesem soll es, sagte die Ministerin, vor allem um den Test des Cell-Broadcastings gehen. Sie stellte direkt klar: Testen bedeutet auch, dass Dinge schiefgehen dürfen. Der Tag sei dafür da, zu sehen, wo Probleme liegen.
Klar ist: Der Umgang mit Krisen soll verbessert werden. Deutschland soll resilienter werden. Deshalb soll im kommenden Jahr auch der Bevölkerungsschutztag eingeführt werden. An diesem Tag wollen Bund und Länder auch für individuelle Schutzmaßnahmen werben – ohne dabei Panik zu verbreiten. "Wir müssen uns mit Selbstschutz auseinandersetzen", meint Faeser. In anderen Regionen der Welt werde das bereits gemacht – beispielsweise in Hurrikane-Regionen in den USA oder in Asien.
Und das nicht ohne Grund, denn was Ralph Tiesler, Nancy Faeser und der Präsident des Technischen Hilfswerk, Gerd Friedsam, in einer gemeinsamen Pressekonferenz klarstellen: Deutschland wird den Bevölkerungsschutz in Zukunft häufiger brauchen. Friedsam sagt: "Wir stehen durch den Klimawandel vor der Herausforderung, dass wir wissen, was für Katastrophen kommen werden – nur nicht, wann und wo." Hier würden aber genauere Prognosen in Zukunft helfen.
Der BBK-Chef Tiesler erlärte gegenüber der "Funke Mediengruppe", dass es sein könnte, dass manche Regionen in Deutschland aufgrund des Klimawandels und der damit verbundenen Extremwettereignisse nicht mehr besiedelt werden könnten. Welche Regionen das genau betreffen könnte, in diesem Punkt möchte sich der Bevölkerungsschützer nicht festlegen. Denn das sei vor Ort zu bewerten und nicht aus seinem Büro in Bonn.
Wofür der BBK-Chef allerdings werben möchte: Eine offene Kommunikation, was möglich ist. Was sicher sein könnte. "Das ist ein respektvoller Umgang mit der Bevölkerung", sagt er.
Und auch Faeser stellt klar:
Um Deutschland resilienter zu machen und den Bevölkerungsschutz voranzutreiben, sollen in den kommenden zehn Jahren 10 Milliarden Euro investiert werden. Gemeinsam von Bund und Ländern, denn wie Faeser anmerkt, die Länder haben eine Verantwortung – auch wenn es ein gemeinsames Kompetenzzentrum gibt.