Deutschland
Analyse

Warum RKI-Chef Wieler seinen Posten trotz Kritik von der FDP behalten wird

BERLIN, GERMANY - DECEMBER 16: Robert Koch Institute head Lothar Wieler attends a press conference on coronavirus (Covid-19) pandemic with German Health Minister Karl Lauterbach on December 16, 2021 i ...
RKI-Chef Lothar Wieler (links) bei einer Pressekonferenz mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).Bild: AA / Abdulhamid Hosbas
Analyse

Muss RKI-Chef Wieler seinen Posten räumen? Wenn es nach FDP-Politikern geht schon – passieren wird es trotzdem nicht

07.02.2022, 18:55
Mehr «Deutschland»

Lothar Wieler ist einer der Menschen, die Deutschland seit Beginn der Pandemie erklären sollen, was los ist.

Der Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI) ist mittlerweile ähnlich bekannt, wie der Berliner Charité-Virologe Christian Drosten oder SPD-Gesundheitsexperte und -minister Karl Lauterbach. Wie früher neben dessen Vorgänger Jens Spahn sitzt Wieler heute mit Lauterbach Woche für Woche in der Bundespressekonferenz, um über das Pandemiegeschehen zu sprechen.

Wenn es nach Politikern der FDP geht, sollte bald jemand anderes diesen Platz neben dem Gesundheitsminister einnehmen. Denn die Liberalen wollen für Probleme innerhalb des RKI Köpfe rollen sehen. Genauer gesagt: Wielers Kopf.

Christian Drosten (l-r), Direktor des Instituts für Virologie an der Charité Berlin, Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, und Lothar Wieler, Präsident vom Robert Koch-Institut (RKI),  ...
Die deutschen Gesichter der Pandemie: Christian Drosten, Karl Lauterbach und Lothar Wieler (von links nach rechts).Bild: dpa / Kay Nietfeld

Wofür das RKI kritisiert wird

FDP-Politiker und Vize-Bundestagspräsident, Wolfgang Kubicki sowie der designierte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai zum Beispiel fordern, dass Wieler die Verantwortung für Probleme und Entscheidungen seiner Behörde übernimmt.

Vor allem die spontane Verkürzung des Genesenenstatus hatte für Verwirrung und Zorn gesorgt. Das RKI hatte am 13. Januar vom Bundestag die Zuständigkeit übertragen bekommen, zu regeln, wie lange jemand nach einer Covid-19-Erkrankung als genesen gilt und dadurch Zutritt zu Räumen mit 2G-Regel bekommt. Bereits zwei Tage später setzte es die Dauer des Genesenstatzs von sechs auf drei Monate herab. Manche Menschen erfüllten von jetzt auf gleich nicht mehr die 2G-Bestimmungen in Bars und Restaurants oder dem Einzelhandel. Sie hatten aber auch keine Zeit, sich vor Inkraftreten der Regelung durchimpfen zu lassen.

Der designierte Generalsekretär der FDP Djir-Sarai kritisierte dieses Vorgehen gegenüber der Zeitschrift "Der Spiegel" hart. "Des Vertrauens der FDP kann sich Herr Wieler aber aufgrund dieser neuerlichen Verfehlung, die ja leider keinen Einzelfall darstellt, nicht mehr sicher sein", sagte Djir-Sarai wörtlich.

Auch vor dem Vorstoß des verkürzten Genesenstatus war das RKI in die Kritik geraten. Zum Beispiel im vergangenen Oktober, weil die Zahl der Geimpften zu niedrig angegeben worden war. Oder durch die Aussage Wielers zu Beginn der Pandemie, als er erklärte, es gebe "keinerlei Evidenz, dass das [tragen von Masken] in irgendeiner Weise hilfreich ist". Wenig später revidierte er diese Aussage allerdings und empfahl das Tragen der Masken, wenn kein Abstand gehalten werden konnte.

Ähnlich ablehnend wie zu Beginn der Pandemie das RKI zeigte sich zu dieser Zeit auch die Weltgesundheitsorganisation WHO. Diese änderte die Empfehlung hin zur Maske erst im Juni, nach dem Erscheinen einer Meta-Analyse.

Rückendeckung für Wieler kommt indes nicht nur aus der SPD, sondern auch von den Grünen. So schreibt beispielsweise die stellvertretende Bundestagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt auf Twitter, sie sei Wieler für seine Arbeit in der Pandemie sehr dankbar.

Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Janosch Dahmen, geht einen Schritt weiter als Göring-Eckardt: Auch er stellt sich hinter den RKI-Chef. Und gibt der FDP einen Seitenhieb mit. In einem Thread auf Twitter schreibt Dahmen: "Wer verantwortlich ein Land regieren möchte, sollte verantwortlich mit der eigenen Exekutive umgehen. Menschen öffentlich 'anzuzählen' ist nicht nur unverantwortlich, sondern so geht man einfach nicht miteinander um!"

Der Vorwurf der "Nibelungentreue"

FDP-Politiker Wolfgang Kubicki indes springt dem designierten Generalsekretär seiner Partei zu Seite. "Bis heute haben wir eine katastrophale Datenlage, haben kaum eigene Erkenntnisse über die Ansteckungswege des Virus gewinnen können, wissen nicht, wer mit Corona als Haupt- oder Nebenbefund hospitalisiert wird und haben kein belastbares Wissen über die Immunität in der Bevölkerung", schreibt Kubicki auf Facebook.

Dass sich führende Grünenpolitiker hinter Wieler gestellt haben und Dahmen noch einen Tipp in Richtung FDP mitgegeben hat, trifft bei Kubicki einen Nerv. Sein Vorwurf:

Die Nibelungentreue
Nibelungentreue beschreibt eine bedingungslose, emotionale und potenziell verhängnisvolle Treue, die im Zweifel bis zum Tod führt.
"Ich frage mich auch, wie diese grüne Nibelungentreue zur Politik der Vorgängerregierung und dem Robert Koch-Institut wohl bei all denjenigen ankommt, deren Existenz wegen einer Politik der unvollständigen Informationen und einer dauerhaften Kommunikation der Angst gefährdet oder gar ruiniert wurde."

Ein offener Schlagabtausch zwischen den Regierungsparteien.

Die Personalie Wieler wird zu einer Ampel-Streiterei. Im Grunde allerdings, geht es nicht nur um den RKI-Chef, sondern auch um das weitere Vorgehen in der Corona-Politik, bei dem sich die Koalitionäre uneins sind.

Die FDP beispielsweise drängt auf Öffnungsperspektiven, während SPD und Grüne noch verhalten sind. Allerdings hat sich nun auch Gesundheitsminister Lauterbach für Lockerungen "deutlich vor Ostern" ausgesprochen.

Zu Kubickis Vorwurfs der Nibelungentreue hat watson bei Politikerinnen und Politikern der Grünen nachgefragt, aber keine Antworten bekommen.

Christian Duerr, Fraktionsvorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, aufgenommen im Rahmen eines Statements im Deutschen Bundestag in Berlin. 25.01.2022.
FDP-Fraktionsvoritzender Christian Dürr.Bild: PHOTOTHEK / Felix Zahn

Der FDP-Fraktionsvorsitzende im Bundestag Christian Dürr äußert sich zur Causa Wieler gegenüber watson folgendermaßen:

"Herrn Wieler gebührt viel Respekt für seine Leistungen in den letzten zwei Jahren. Dennoch müssen wir Fehler, die zuletzt passiert sind, auch offen ansprechen. Das tun wir innerhalb der Koalition und dann heißt es, solche Dinge in Zukunft zu vermeiden. Letztlich entscheidet der Bundesgesundheitsminister über die Besetzung der Spitze des RKI."

Dürr kritisiert Wieler also ebenfalls. Er stellt aber keine direkte Rücktrittsforderung.

Das RKI ist eine untergeordnete Behörde des Gesundheitsministeriums. Seit 2015 ist Wieler der Chef des Instituts. Er wurde auf Vorschlag des damaligen Gesundheitsministers Hermann Gröhe (CDU) ernannt. Eine Befristung gibt es für diesen Job nicht – Wieler kann also grundsätzlich so lange Chef bleiben, bis er gehen will oder gehen soll.

Ohne die SPD wird eine Neubesetzung nicht möglich

Da nun aber das Gesundheitsministerium vom SPD-Politiker Lauterbach geführt wird, der sich bereits hinter Wieler gestellt hat, ist eine baldige Neubesetzung der Stelle unwahrscheinlich. Gegenüber der "Bild" sagte Lauterbach: "Er hat zwei Jahre lang eine sehr wichtige und gute Arbeit gemacht und genießt weiter mein Vertrauen." Es sei aber auch klar, dass sich ein Alleingang wie bei der Genesenen-Regelung nicht wiederholen dürfe.

Rückendeckung bekommt der RKI-Chef laut "Spiegel" auch von SPD-Kanzler Olaf Scholz, wenn auch weniger enthusiastisch als von den Grünen. Auf die Frage, ob Wieler noch das Vertrauen des Kanzlers genieße, soll eine Regierungssprecherin am Samstag mit "Ja" geantwortet haben.

Juso-Chef macht CDU klare Ansage bei Bürgergeld-Debatte

Die CDU will ans Bürger:innen-Geld ran. Schon vor der Reform der Sozialhilfe – und damit dem Ende von Hartz-IV – hatte sich die Union gegen die Ampel-Pläne gewehrt. Im Zuge des Gesetzgebungsprozesses mussten die Koalitionäre daher einige Reformideen wieder zurückschrauben. Seit über einem Jahr gibt es nun das neue Bürger:innen-Geld und die Union ist offensichtlich nicht zufrieden damit.

Zur Story