Die Situation an den Schulen ist nach wie vor dürftig: Krankheitswellen schwappen durch die Klassensäle. Schüler:innen wie Lehrpersonal – alle fallen immer wieder aus. In manchen Regionen der Republik war die Situation vor den Weihnachtsferien so dramatisch, dass Klassen zusammengelegt werden mussten.
Eine enorme Belastung, für Schüler:innen und Familien. Aber eben auch für die Lehrer:innen, wie Maike Finnern, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) auf watson-Anfrage erklärt. Sie sagt:
Verschärft würde die angespannte Situation durch den chronischen Lehrkräftemangel, stellt Finnern klar. Die Schulen arbeiteten am Limit und seien auf mehr Unterstützung durch die Politik angewiesen, meint die Gewerkschaftlerin. Da komme aber nicht viel. Sie sagt: "Der Bildungsbereich wird seit Jahren auf Verschleiß gefahren – das rächt sich jetzt einmal mehr."
Für Finnern ist klar: Um etwas am Personalmangel zu ändern, müssen die Arbeitsbedingungen an Schulen verbessert werden. Was die Lehrkräfte brauchen, das weiß die Gewerkschaftschefin durch Gespräche ganz genau:
Diese Forderungen teilt Gerhard Brand. Er ist der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). Die größten Herausforderungen für die Politik sind der Personalmangel und die chronische Unterfinanzierung des Bildungssystems, meint er. Es brauche kluge Investitionen und eine vernetzte Förderung.
Auf watson-Anfrage sagt Brand:
Eine bessere personelle Ausstattung könne in Zukunft helfen, Infektionswellen, wie derweil, abzufedern. Es bräuchte also neben den geplanten Stellen auch eingeplante Puffer, meint Brand. Er sagt: "Krankheit, Schwangerschaft, Elternzeit oder der Bedarf an individueller Förderung rechtfertigen dies."
Dass sich in puncto Bildung etwas bewegen muss, das wissen auch die Kultusminister:innen der Länder. In Sachsen beispielsweise, sei bereits 2018 ein 1,7 Milliarden Euro schweres Handlungsprogramm gestartet. So soll dem Lehrer:innenmangel entgegengewirkt werden, heißt es aus dem Ministerium.
Zu diesem Programm gehörten unter anderem die Verbeamtung von Lehrkräften, sowie die Erhöhung der Studienkapazitäten. Für Referendar:innen, die freiwillig an eine Dorfschule gehen, gibt es außerdem eine 1000 Euro Gehaltszulage. Zumindest dann, wenn sich diese verpflichten, nach ihrer Ausbildung für einige Jahre in Bedarfsregionen zu bleiben. Zudem würden Seiteneinsteiger:innen eingestellt.
Trotzdem sei es nicht unüblich, dass gerade im Herbst und Winter die Lage an den Schulen angespannt sei, heißt es vonseiten des Ministeriums. In solchen Fällen hätten die Schulen aber die Möglichkeit, eigenverantwortlich zu entscheiden, wie der Unterricht organisiert werden kann. Beispielsweise, indem Klassen zusammengelegt oder in den Home-Unterricht geschickt würden.
Weniger Probleme gibt es in Rheinland-Pfalz. Das meint zumindest das Bildungsministerium auf watson-Anfrage. In den vergangenen Jahren sei es dort immer gelungen, die Planstellen mit ausgebildeten Lehrkräften zu besetzen. Im laufenden Schuljahr sei die Besonderheit, dass für die Integration ukrainischer Geflüchteter weitere Stellen geschaffen werden mussten.
Um auch in Zukunft nicht vor Personalproblemen zu stehen, hat Rheinland-Pfalz "eine Reihe von Maßnahmen ergriffen", um mehr junge Menschen von der Lehramtsausbildung zu überzeugen. Vonseiten des Ministeriums heißt es, dafür sei unter anderem die Zahl der Ausbildungsplätze angehoben worden. Außerdem sei das Gehalt angehoben worden. Anders als in anderen Bundesländern ist in Rheinland-Pfalz die Verbeamtung nach wie vor die Regel.
Wie in Sachsen setzt aber auch das südwestliche Bundesland auf Quer- und Seiteneinsteiger:innen. So könnten sowohl Lehrer:innen, die eigentlich am Gymnasium unterrichten, auch an Grundschulen oder Realschulen wechseln. Aber auch Menschen, die kein Lehramtsstudium hinter sich haben, können mit einer 24-monatigen Weiterbildung in den Schuldienst wechseln – und sogar verbeamtet werden.
Auch in Nordrhein-Westfalen geht es in Zukunft darum, mehr Menschen für die Arbeit mit Schüler:innen zu begeistern. Aus diesem Grund hat Schulministerin Dorothee Feller (CDU) ein Handlungskonzept auf den Weg gebracht. Darin enthalten: Mehr Studienplätze, Erleichterung bei der Lehramtsqualifikation für Fachkräfte aus Drittstaaten, Studierende sollen eigenständig unterrichten dürfen.
Es reiche aber nicht aus, nur mehr Menschen in den Lehrberuf zu bringen – auch an der Wertschätzung müsse gearbeitet werden. Dafür schlägt die Ministerin ein höheres Gehalt vor. Aber auch eine Entlastung beim Papierkram und die Arbeit mit Alltagshelfer:innen. Die sollen in Zukunft dem Lehrpersonal bei der Bewältigung von Alltagsroutinen helfen. Also bei der Vor- und Nachbereitung des Unterrichts und der Organisation.
Eine Offensive, mit der das Land mehr Lehrer:innen gewinnen will, gibt es seit dem vergangenen Sommer auch in Niedersachsen. Zum einen, heißt es aus dem Kultusministerium, indem das Referendariat verändert worden ist. In der Praxisausbildung nach dem Studium geht es nun mehr um tatsächlichen Unterricht, weniger um schriftliche Arbeiten. Der Wechsel von Gymnasiallehramt zu Real- und Hauptschule und auch an die Grundschulen sei ebenfalls erleichtert worden.
Aber nicht nur der Wechsel innerhalb der Schulformen ist möglich, auch Quereinsteiger:innen sind in dem norddeutschen Flächenland gern gesehen. Lehrer:innen, die nur einen Bachelorabschluss gemacht haben, sollen fortan die Möglichkeit bekommene, ihren Master berufsbegleitend zu erreichen. Und auch Menschen, die im Studium keine pädagogischen Inhalte hatten, sollen sich weiterqualifizieren können.
Auch Niedersachsen will mehr Lehramtsstudienplätze anbieten. Da aber Lehrkräftemangel ein gesamtdeutsches Problem sei, gebe es aktuell Überlegungen, eine gemeinsame Werbekampagne für die Berufswahl zu fahren. Bildung ist zwar Ländersache, man könnte aber auch zusammenarbeiten, ohne Kompetenzen abzugeben.
Aus dem Bildungsministerium in Niedersachsen heißt es außerdem, dass jede unterstützende Maßnahme vom Bund begrüßt würde. Beispielsweise der "Digitalpakt Schule", der die digitale Ausstattung an Schulen fördert.
Viele der Probleme, die Lehrer:innen und ihre Gewerkschaften beklagen, sind also auch bei den politischen Entscheider:innen bekannt. Nun müssen die Ausbildungsoffensiven allerdings greifen und die Maßnahmen, die den Lehrberuf attraktiver gestalten sollen, umgesetzt werden. Dann dürfte es künftig Entlastung geben.