Zahlreiche Klima-Aktivist:innen der Letzten Generation wurden in Präventivhaft genommen.Bild: IMAGO/Christian Grube
Analyse
"Haut endlich ab!", "Lasst mich durch!" oder "Ich hau' dich kaputt!", sind nur wenige Beispiele von Aussagen, die Klima-Protestierenden entgegengeschleudert werden. Meist von wütend hupenden Autofahrer:innen an vollgestopften Kreuzungen mitten in der Großstadt.
Nicht selten gefolgt von physischer Gewalt. Unsanftes Entfernen von der Straße ist da noch das harmloseste. Schläge ins Gesicht zählen immer häufiger zur Tagesordnung bei Sitzblockaden der Letzten Generation.
Viele Autofahrer:innen werden so wütend, dass sie Selbstjustiz üben.Bild: dpa / Jonas Walzberg
Seit Januar 2022 macht die Klimaprotestbewegung Letzte Generation von sich reden. Sie wollen die Bundeshauptstadt aktuell auf unbestimmte Zeit lahmlegen. Vor allem ihre Aktionen, berühmte Gemälde in Museen mit Lebensmitteln zu bewerfen oder, wie jüngst am Berliner Kurfürstendamm geschehen, Luxusboutiquen mit Farbe zu besprühen, generierten Aufmerksamkeit.
Dafür werden Anhänger:innen der Protestbewegung regelmäßig in Polizeigewahrsam genommen. Auch präventiv. Also bevor überhaupt etwas passiert ist.
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Rund 3000 Strafermittlungsverfahren gegen Klima-Aktivisten
Die sogenannte Präventivhaft wird auch Unterbindungsgewahrsam genannt. Diese polizeiliche Maßnahme bezeichnet eine Befugnis der Polizei, Menschen in Gewahrsam zu nehmen, um eine Ordnungswidrigkeit zu verhindern, die für die Allgemeinheit von erheblicher Bedeutung ist. So wie das Festkleben auf Straßen, wie es die Letzte Generation macht.
Um das durchzusetzen, ist vorher eine richterliche Entscheidung am zuständigen Strafgericht einzuholen. Die Polizist:innen müssen ihre Empfehlung der Präventivhaft vor dem Strafgericht begründen.
Seit 24. Januar vergangenes Jahres bis 21. April zählt die Polizei Berlin auf Anfrage von watson 3008 Strafermittlungsverfahren gegen Klima-Aktivist:innen. Die häufigsten Anzeigen erfolgten demnach aufgrund von Nötigung im Straßenverkehr oder etwa Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Dazu zähle ebenfalls das bloße Festkleben auf der Straße, erklärte eine Sprecherin.
Eine Statistik, wie viele Klima-Aktivist:innen in diesem Zeitraum in Präventivhaft genommen wurden, führt die Polizei Berlin jedoch nicht. Im Zusammenhang mit den Sitzblockaden zählt die Polizei Berlin im aktuellen Jahr bisher einen Fall.
Sowohl die Maßnahmen der Klima-Aktivist:innen, insbesondere der Letzten Generation, als auch der Umgang mit den Klima-Protesten wird aktuell viel diskutiert. Auch politisch. Während einige härtere Strafen fordern, mahnen andere zur Vernunft.
Berlin will Polizei mehr Spielraum geben
Vor allem in Berlin gibt es zum Umgang mit den Klima-Protesten und dem entsprechenden Strafmaß unterschiedliche Ansichten der Ausgestaltung.
Nachdem sowohl die Bundestagswahl 2021 als auch die Abgeordnetenhauswahl in Berlin schiefgelaufen ist, wurde letztere bereits wiederholt. Das Ergebnis: Bürgermeisterin Franziska Giffey musste ihren Posten an Kai Wegner von der CDU abgeben. Die SPD und die CDU einigten sich vor wenigen Tagen auf einen neuen Koalitionsvertrag. Darin vorgesehen unter anderem: eine Ausweitung der Präventivhaft.
Und zwar von bisher 48 Stunden auf fünf Tage.
Doch selbst die Polizei ist sich dabei uneins. So fordert die Gewerkschaft der Polizei (GdP) gegenüber der Deutschen Presseagentur vielmehr eine Harmonisierung der unterschiedlichen Polizeigesetze der Länder. Nicht aber eine Verschärfung der Maßnahmen.
Auch in Hamburg werden Klima-Aktivist:innen teils gewaltsam von den Straßen entfernt.Bild: dpa / Jonas Walzberg
Die Leitung der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPoIG) hingegen will härtere Strafen. Der "Deutschlandfunk" zitiert die Gewerkschaft damit, dass die "hohe Inanspruchnahme der Polizei und anderer Einsatzkräfte" unverantwortlich sei und der Inneren Sicherheit schade.
Auf dieselbe Seite schlägt sich die CDU. Der Berliner Abgeordnete Alexander Herrmann sagte gegenüber dem RBB: "Am Ende sind es Straftäter, die unsere Stadt in Geiselhaft nehmen." Er fordert eine längere Präventivhaft. "Um abzuschrecken, um eine Wiederholung zu verhindern". CDU-Generalsekretär Mario Czaja nannte die Letzte Generation im Deutschlandfunk sogar "Extremisten".
Grünen-Politiker Vasili Franco hingegen rät beim RBB, "die Ruhe zu bewahren". Und die Linke betont ebenfalls in Form vom Berliner Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg, dass Sitzblockaden auch von der Versammlungsfreiheit gedeckt würden.
In Bayern geht die Regelung am weitesten
In Bayern gilt indes das härteste Polizeiaufgabengesetz: Dort ist eine Präventivhaft in Ausnahmen sogar bis zu 30 Tage möglich. Plus Verlängerung auf zwei Monate. Zuletzt sorgte diese Regelung für viel Diskussionspotenzial, als zwölf Mitglieder der Letzten Generation im Herbst 2022 für einen Monat ohne Strafprozess eingesperrt wurden. Teilweise wurde die Strafe damals nach 23 Tagen aufgehoben.
Die Letzte Generation blockiert auch in München die Straßen.Bild: IMAGO/aal.photo
Das sogenannte Polizeiaufgabengesetz in Bayern wurde im Jahr 2017 verschärft und brachte unter anderem die Änderung von einer Obergrenze von 14 Tagen für die Präventivhaft auf 30 Tage. Dafür wurde eine Expertenkommission eingesetzt. Aus ihrem Abschlussbericht ging damals bereits hervor, dass die Verlängerung der Präventivhaft in Bayern umstritten ist. "Aus dem anwaltlichen Erkenntnisbereich" hieß es beispielsweise, dass es kritisch gesehen werde, "dass dem Betroffenen kein Rechtsanwalt beigeordnet werde".
"Und abschrecken dürfen wir mit dem Präventivgewahrsam gerade nicht – dafür haben wir Freiheitsstrafen."
Jura-Professor Markus Krajewski von der FAU Erlangen
Doch auch in anderen Bundesländern ist die Präventivhaft möglich. In Nordrhein-Westfalen und Brandenburg beträgt die Dauer beispielsweise 14 Tage, mit der Möglichkeit der Verlängerung um erneute 14 Tage.
Kürzlich forderte Rainer Wendt, der Chef der DPoIG, sogar, dass sich Berlin an dem umstrittenen bayerischen Modell orientierten sollte. Bundesweit sollten, ginge es nach ihm, Klima-Aktivist:innen bis zu 30 Tage präventiv eingesperrt werden können.
Anwendung der Präventivhaft wird kritisiert
Im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur bezeichnete Jura-Professor Markus Krajewski von der FAU Erlangen das Einsperren der Klima-Aktivist:innen als "unverhältnismäßigen Eingriff in die Freiheit der Person" und nennt die Präventivhaft ein "großes rechtsstaatliches Problem".
In Bezug auf Bayern sagte der Wissenschaftler, dass mit dem Präventivgewahrsam etwas gemacht werde, wofür es eigentlich gar nicht vorgesehen war: Es werde benutzt, um abzuschrecken. "Und abschrecken dürfen wir mit dem Präventivgewahrsam gerade nicht – dafür haben wir Freiheitsstrafen", betonte er.
Eigentlich sei die Präventivhaft eingeführt worden, um schnell auf drohende terroristische Gefahren reagieren zu können. Die Anwendung bei Klima-Protesten gehe allerdings an diesem Zweck vorbei.
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