Der Eingangsbereich der Hamburger Synagoge.Bild: dpa / Jonas Walzberg
Deutschland
05.10.2020, 10:5105.10.2020, 12:49
Polizei und Generalstaatsanwaltschaft werten den Angriff auf einen jüdischen Studenten vor einer Hamburger Synagoge nach ersten Erkenntnissen als versuchten Mord - mutmaßlich aus Judenhass. "Aufgrund der derzeitigen Einschätzung der Gesamtumstände ist bei der Tat von einem antisemitisch motiviertem Angriff auszugehen", teilten beide Behörden am Montag in Hamburg mit.
Wegen der Bedeutung des Falles und wegen eines möglichen extremistischen Hintergrundes habe die Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungen an sich gezogen. Beamte des Staatsschutzes sind im Einsatz.
Zettel mit Hakenkreuz in seiner Hosentasche gefunden
"Nach aktuellem Ermittlungsstand liegen keine Hinweise auf Mittäter vor", hieß es in einer Erklärung. Bei dem mutmaßlichen Täter handelt es sich um einen 29 Jahr alten Deutschen mit kasachischen Wurzeln und Berliner Meldeadresse. Eine Überprüfung in Berlin habe aber ergeben, dass er dort seit 2019 nicht mehr wohnt. "Weitere Ermittlungen führten zu einer Wohnung in Hamburg-Langenhorn, in der sich der Beschuldigte unangemeldet aufhielt", hieß es weiter. In der Nacht zum Montag sei die Wohnung durchsucht worden. "In der Wohnung wurden Datenträger sichergestellt, deren Auswertung andauert."
Der Mann sei bislang polizeilich nicht in Erscheinung getreten. Nach seiner Festnahme hatten die Ermittler einen Zettel mit einem handschriftlich aufgemalten Hakenkreuz in seiner Hosentasche gefunden. "Die Ermittlungen zur Herkunft der vom Beschuldigten getragenen Bundeswehruniform dauern ebenfalls an", hieß es.
Die jüdische Gemeinde wollte laut Polizei am Sonntag das Laubhüttenfest
Sukkot feiern. Auch das 26 Jahre alte Opfer sei auf dem Weg dorthin
gewesen und habe das Gelände gerade betreten wollen. Der 29 Jahre
alte Tatverdächtige habe dort offensichtlich gewartet, sagte die
Sprecherin. Zu den Motiven könne man noch keine definitiven Aussagen
treffen. "Ob die beiden sich kennen, ob es vielleicht sogar noch
einen privaten Hintergrund gegeben hat, das kann man nicht sagen."
Der 26-Jährige erlitt Kopfverletzungen, ist aber nicht
lebensgefährlich verletzt. Er konnte sich den Angaben zufolge in
Sicherheit bringen und wurde bis zum Eintreffen von Rettungskräften
von Passanten erstversorgt. Beamte, die zum Schutz der Synagoge vor
Ort waren und den Vorfall beobachteten, hätten den Angreifer
festgenommen. Er hat laut Polizei seinen Wohnsitz in Berlin.
Maas: "Widerlicher Antisemitismus"
Außenminister Heiko Maas (SPD) verurteilte die Attacke scharf.
"Das ist kein Einzelfall, das ist widerlicher Antisemitismus und dem
müssen wir uns alle entgegenstellen", schrieb Maas am Sonntagabend
auf Twitter. "Meine Gedanken sind bei dem Studenten, ich wünsche gute
Genesung."
Sollte sich ein antisemitischer Hintergrund bestätigen, würde das
dunkle Erinnerungen an den Anschlag auf das jüdische Gotteshaus in
Halle vor fast einem Jahr wecken. "Die Frage ist, was haben wir nicht
gelernt seit Halle?", sagte Landesrabbiner Shlomo Bistritzky von der
Jüdischen Gemeinde Hamburg, der nach eigenen Angaben wenige Minuten
nach der Tat eintraf. "Alle waren sehr, sehr schockiert."
Am 9. Oktober 2019 hatte der schwer bewaffnete Rechtsextremist
Stephan Balliet versucht, die Synagoge in Halle zu stürmen und ein
Massaker unter 52 Besuchern anzurichten. Die begingen dort zu dem
Zeitpunkt den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur. Als ihm dies
nicht gelang, erschoss er eine Passantin und in einem Dönerimbiss
einen 20 Jahre alten Gast. Auf seiner Flucht verletzte der Deutsche
mehrere Menschen teils sehr schwer. Gegen ihn läuft am
Oberlandesgericht Naumburg der Prozess.
Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) erklärte: "Ich
bin bestürzt über den Angriff vor einer Synagoge in Hamburg." Die
Polizei kläre nun die Hintergründe der Tat auf. "Ich wünsche dem
Opfer viel Kraft und baldige Genesung. Hamburg steht fest an der
Seite unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger."/let/DP/zb
(hau/dpa)