"Tatsächlich hängt das subjektive Sicherheitsempfinden kaum mit der objektiven Kriminalitätslage zusammen."Bild: imago/Christoph Hardt/watson-montage
Deutschland
Nico Dannenberger
"Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt", sagte Innenminister Horst Seehofer bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) im Frühjahr 2019. Laut Statistik war die Kriminalität im Jahr 2018 im Vergleich zum Vorjahr um 3,4 Prozent gesunken und mit 5,5 Millionen Straftaten auf dem niedrigsten Stand seit 1992.
Gefühlte und tatsächliche Kriminalität
Ein Blick in die mediale Berichterstattung hingegen zeichnet ein anderes Bild. Dort dominieren Gewalttaten verschiedener Größenordnung die Schlagzeilen und die Emotionen in den Kommentarspalten kochen hoch. Hinzu kommt, dass aktuelle Studien in Deutschland zeigen, dass die Sorge, Opfer einer Straftat zu werden, in den vergangenen Jahren zugenommen hat.
Es scheint also eine Diskrepanz zwischen gefühlter Sicherheit, medialer Berichterstattung über Gewalt und faktischer Kriminalität zu geben.
Diese Diskrepanz wird noch deutlicher, wenn man sich anschaut, welche Straftaten in der Statistik am häufigsten vorkommen. Allgemein dominieren leichte und mittelschwere Straftaten die Statistik. "Diebstahls- und Betrugsdelikte machen zusammen über die Hälfte aller registrierten Straftaten aus", sagt der Psychologe Thomas Bliesener, Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Schwere Gewaltkriminalität ist in Deutschland hingegen sehr selten, die Zahlen weiterhin sehr gering. "Auch wenn solche Taten regelmäßig zu öffentlichen Debatten führen und durch die Medienberichterstattung ein anderer Eindruck entsteht", sagt der Kriminologe Prof. Dr. Tobias Singelnstein von der Ruhr-Universität Bochum.
Die Statistik bildet nicht zwangsläufig die Realität ab
Konkrete Schlüsse aus der PKS über die Einschätzung der Kriminalität abzuleiten, halten die Experten aber für falsch. "Die PKS ist zunächst nur ein Tätigkeitsnachweis der Polizei. Daraus etwas über die Kriminalität insgesamt abzulesen, ist kaum möglich", sagt Singelnstein. In der PKS tauchen also nur Straftaten auf, die der Polizei bekannt sind.
So entsteht ein verzerrtes Bild: "Bei vielen Delikten ist das, was der Polizei bekannt ist, nur die Spitze des Eisbergs", sagt Bliesener. "Das gilt insbesondere für Sexualdelikte, weil diese bei den Opfern oftmals stark schambesetzt sind, aber beispielsweise auch für Diebstähle, die den Opfern gar nicht auffallen, oder weil die Opfer keinen Nutzen von einer Anzeige sehen."
Helfen können Dunkelfeldstudien
Die Kriminologie setzen deshalb auf unterschiedliche Methoden, wie etwa sogenannte Dunkelfeldstudien, in denen mit Hilfe von groß angelegten Befragungen versucht wird, ein tatsächliches Bild über die Kriminalität zu gewinnen. Üblicherweise wird dabei in repräsentativen Umfragen gefragt, inwiefern die Befragten zuletzt Opfer oder Täter einer Straftat waren. "Einige Deliktbereiche können so recht gut abgebildet werden, andere – insbesondere seltene und sehr schwere Straftaten – sind auch mit solchen Studien nur schwer zu erfassen", sagt Singelnstein. "Dunkelfeldbefragungen sind daher mit erheblichem Aufwand verbunden und methodisch nicht immer einfach."
Trotzdem sehen die beiden Kriminologen Dunkelfeldbefragungen als wichtigen Bestandteil der Bewertung der Kriminalität in Deutschland und somit als wichtige Ergänzung zur PKS. Aussagen aus der Dunkelfeldstudien bestätigen ebenfalls den Trend der registrierten Straftaten:
Bliesener sagt:
"Aus unseren Zahlen, sowie weiteren Untersuchungen des Dunkelfelds, weiß man, dass Deutschland in den letzten Jahren nicht unbedingt gefährlicher geworden ist."
Das subjektive Sicherheitsempfinden nimmt ab
Trotzdem zeigt das Deutsche Viktimisierungssurvey 2017, dass die Sorge, Opfer einer Straftat zu werden in Deutschland zugenommen hat. Ein Eindruck, den Studien, die Blieseners Team durchgeführt hat, ebenfalls bestätigen. "Tatsächlich hängt das subjektive Sicherheitsempfinden kaum mit der objektiven Kriminalitätslage zusammen. Viel entscheidender ist etwa, ob man als Person das Gefühl hat, mit Bedrohungs- und Kriminalitätslagen umgehen zu können, wenn man ihnen begegnet", sagt Singelnstein. "Aus der kriminologischen Forschung wissen wir etwa, dass Menschen mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit Opfer einer Straftat zu werden die stärkste Kriminalitätsfurcht haben."
Warum dieser Widerspruch?
Weshalb genau dies so ist, kann derzeit nicht wissenschaftlich belegt werden. Auch für die Zunahme der vermeintlichen Sorge vor Kriminalität fehlt es noch an belastbaren Studienergebnissen. Allerdings gibt es zumindest Vermutungen, was dazu beitragen könnte: "Die Veränderung der Berichterstattung in den klassischen Medien über schwere Straftaten, die Meinungsblasen und Algorithmen in den sozialen Medien und die Verfügbarkeit authentischer Aufnahmen aus Überwachungskameras haben allesamt den Effekt, dass das subjektive Sicherheitsempfinden tendenziell abnimmt", so Bliesener.
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