Hier in Berlin hat sich seit dem Coronavirus-Ausbruch wenig verändert. Die Straßen an U- und S-Bahn-Haltestellen sind weiterhin voll. Im Supermarkt drängen sich Menschen Schulter an Schulter. Und beim Dönerladen gegenüber sitzen Menschen dicht gedrängt auf den Bierbänken. 1,5 bis 2 Meter Abstand, wie es als Empfehlung überall heißt? Wohl kaum.
Natürlich ist es gut, auch mal die 50-Quadratmeter-Wohnung verlassen zu können, wenigstens für kurze 30 Spazier-, Jogging- oder Hunde-Minuten an der frischen Luft. Denn: Komplett eingesperrt zu sein in der Ein-, Zwei- oder Drei-Zimmer-Wohnung hält selbst die stärkste Partnerschaft nicht aus.
Nun überschlug sich am Freitag alles. Nach Freiburg und Mitterteich in Bayern kündigte Ministerpräsident Söder nun für ganz Bayern eine "Ausgangsbeschränkung" an. Das heißt, alle unnötigen Bewegungen vor der Haustür sind verboten. Einkaufen, zur Arbeit fahren und zum Arzt gehen indes noch erlaubt. Ebenso mit dem Hund rausgehen und spazieren. Er argumentierte mit der Unvernunft der Deutschen. Und verwies insbesondere auf die Jungen, die sich – wir sehen es aktuell überall im Fernsehen – in Parks, Cafés oder an Straßenecken zusammenfinden.
Meist gehen die Begründungen in eine Richtung: gerichtet an die Jüngeren dieses Landes. Gerade sie würden das Ausgehverbot ignorieren und man bräuchte nun härtere Maßnahmen, heißt es. Klar, die vielgenannten Coronapartys werfen kein gutes Licht auf Menschen unter 30.
"Vielleicht ist es eine Frage, wie man sich selbst zuordnet: Gerade junge Menschen fühlen sich möglicherweise fernab ihrer Ursprungsmilieus einer größeren Gemeinschaft oder der Gesellschaft nicht verpflichtet. Sie fühlen sich ihresgleichen näher", erklärt Psychiater Michael Huppertz das Verhalten der Jungen in Deutschland gegenüber watson. Natürlich sind sie aber nicht die einzigen, die sich nicht an die Vorgaben halten.
Auch wenn es unvernünftig und nun ganz offiziell nicht rechtens ist, einen Augenblick lang sollte man sich in sie hineinversetzen, Gründe suchen und verstehen. Ihnen zuhören. Denen, die bei Sonnenschein draußen im Park sitzen oder ein wenig Trost bei Freunden suchen. Die, die vielleicht noch keine eigene Familie oder einen Partner haben, mit dem sie zusammenwohnen. Sie fühlen sich besonders allein in diesen Zeiten. Zu ihren Eltern sollen sie nicht, zu den Großeltern dürfen sie nicht. Einen Partner haben sie vielleicht nicht, Kinder sowieso nicht. Einen Hund vielleicht. Aber der muss auch mal raus.
Frische Luft tut gut, das sagen aktuell auch die führenden Virologen wie Alexander Kekulé. Geschlossene, enge Räume verbreiten das Virus am besten. Ganz zu schweigen von der psychologischen Belastung, auf engstem Raum allein, zu zweit oder eben zu mehreren zu sein.
Auch Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité empfiehlt daher, rauszugehen. Aber: Unter Einhaltung der Sicherheitsempfehlungen, 1,5 bis 2 Meter Abstand, kein Körperkontakt, keine größeren Gruppen und natürlich immer die Hände waschen. Sprich: Pro Ausgangsbeschränkung, contra Ausgangssperre.
Was spricht also dagegen, wenn einzelne Personen oder Zweiergruppen zusammen spazierengehen oder eine Runde joggen?
Nichts, so Markus Söder, der das in Bayern der Tage noch als zulässig bewertet und gestattet. "Für die Vernünftigen ändert sich gar nicht mal so viel", sagte er in der bayerischen Staatskanzlei, "aber für die Unvernünftigen gibt es jetzt ein klares Regelwerk." Er meint damit unter anderem die vielfach genannten Coronapartys, bei denen sich meist junge Leute in größeren Gruppen treffen. Hier hat er recht.
Doch: Oft kommt man dieser Tage auf den Gedanken, wie wertvoll Zwei- und Mehrsamkeit ist. Und wie wenig wir sie im stressigen Alltag oft zu schätzen wissen. Wie sich Schüler und Studenten in ihren Gruppen im Park sozialisieren. In diesen unsicheren Zeit in sichere menschliche Beziehungen flüchten. Vielleicht – und auch das wäre nachvollziehbar – weil sie die täglichen "Weltuntergangsmeldungen" wegen eines unsichtbaren Gegners nicht mehr sehen wollen. Oder können.
Dabei sind diese Meldungen wichtig. Nicht nur, damit wir informiert bleiben, wie es um Deutschland und die Welt in der Corona-Krise bestellt ist, sondern damit sie uns erden. Freiheit ist wichtig, Ordnung aber auch. Wir müssen beides gleichermaßen zu schätzen wissen. Und lernen, dass wir dieser Tage wieder um beides kämpfen müssen. Auch wenn das heißt, sich mehr oder weniger abzuschotten. Um am Ende nicht im Chaos zu enden. Wie beispielsweise Italien.
Nach Bayern schränken nun auch andere Bundesländer wie das Saarland, Hessen, Baden-Württemberg das öffentliche Leben ein. "Wir fahren das öffentliche Leben nahezu vollständig herunter", sagte Söder mit strenger Miene. Auf die Straße darf man trotzdem noch. Um wenigstens zu zweit zu sein. Das ist gut.
Was aber eben nicht mehr möglich sein wird, ist exakt das, was seit Tagen die Gemüter erhitzt: Coronapartys, volle Cafés in den Innenstädten und Menschen, die draußen in größeren Gruppen die Lage nicht ernst genug nehmen. Auch wenn sie sicherlich nicht absichtlich, andere Menschen anstecken wollen. Denn wer sollte das schon bewusst wollen?
Die Bundesregierung wird nachziehen – mit der Ausgangsbeschränkung. Immer mehr Bundesländer werden den Verzicht auf die Freiheit erklären und Angela Merkel dem Prozedere für uns alle zustimmen. Es wäre sowieso nicht mehr zu verhindern. Und am Ende auch das einzig Richtige.
(kiru/ Interview mit Michael Huppertz: ak)