Zwei Bürgermeister, die mit gegensätzlichen Ansätzen versucht haben, ihre Städte durch die Pandemie zu bringen. Eine Journalistin, die Markus Lanz diesmal als Verstärkung gar nicht braucht und eine erfrischend klare Virologin hat sich der ZDF-Talker zur Auftaktsendung in dieser Woche eingeladen. Seine Gäste sind:
Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hat der Hansestadt eine nächtliche Ausgangsbeschränkung verordnet, als ihm die Inzidenzen zu hoch wurden. Von der Bundesnotbremse war da noch keine Rede. Das Pandemie-Motto des Mannes, der vor seiner Polit-Karriere Medizin studiert hat: "Es ist nicht gut zu warten."
Boris Palmer, streitbarer Oberbürgermeister von Tübingen (Die Grünen), hat seine Stadt in einem bundesweit beachteten Modellversuch mit Außengastronomie und Geschäften für tagesaktuell negativ Getestete geöffnet. Als die Bundesnotbremse kam, wurde der Versuch abgebrochen, alles musste wieder schließen. Sie beide sitzen nun bei Markus Lanz und sprechen über ihre Ansätze.
Deutlich spürbar trauert Palmer seinem Modellversuch nach. Er betont, dass das Bundeskanzleramt den Versuch in einem Telefonat nicht als gescheitert bewertet habe. Er sei nur wegen der bundesweiten Einheitlichkeit gestoppt worden. Nachdem nun auch in Tübingen die Außengastronomie geschlossen ist, lassen sich statt wie zuvor 5000 Bürger nur noch 500 am Tag testen.
Ohne Anreiz würden sich die Leute nicht testen lassen, sagt Palmer. Es sei kein Öffnungsversuch gewesen. "Eigentlich war es ein alternativer Kontrollversuch." Sie hätten immerhin zwischen 20 und 30 Infizierte herausgetestet und so Infektionsketten unterbrochen.
Boris Palmer präsentiert stolz eine Inzidenz-Kurve, die er als "eben" bezeichnet, aber eigentlich steigt sie an. Zwar nur leicht, aber deutlich sichtbar. Peter Tschentscher kommentiert ehrlich irritiert: "Dass Sie hier keinen Anstieg sehen, wundert mich", sagt er in Richtung Palmer.
Aber für Palmer zählt vor allem der Vergleich zu den Inzidenz-en der Landkreise. Und da ist die Stadt Tübingen nicht so stark gestiegen. Für Tschentscher, der mit seiner Ausgangssperre die Inzidenzen gesenkt hat, zählen nur die absoluten Zahlen. Die will er unter allen Umständen niedrig halten, ohne jedes Experiment. "Mehr testen und den Einzelhandel öffnen ist für mich keine Lösung."
Wenn der Einzelhandel schon längst geschlossen hat, dürfen die Schulen allerdings noch geöffnet haben. Seit Anfang der Pandemie hieß es: Schulen sind keine Infektionstreiber, Kinder infizieren sich kaum, sind eigentlich nicht ansteckend, kurz: Kinder spielen keine Rolle im Pandemietreiben. Aber in Tschentschers Stadt Hamburg gibt es mit dem Infektionsgeschehen an der Heinrich-Hertz-Schule im September 2020 ein gut erforschtes Gegenbeispiel.
Weil dort die Viren von erkrankten Schülern und Lehrern sequenziert wurden, konnte festgestellt werden, dass 32 Infektionen auf einen Schüler zurückgehen. Die Ergebnisse wurden erst ein Vierteljahr später, im Dezember, veröffentlicht. Man habe das "einfach sehr sorgfältig" untersucht, versucht Tschentscher eine Erklärung, als Lanz einen Vertuschungsversuch wittert. Und in der Tat, es ist nicht wirklich zu verstehen, warum die Politik nicht die offenbar bekannten Gefahren an den Schulen längst breit thematisiert hat. Markus Lanz fasst seinen Eindruck zusammen:
Und dann legt er noch nach: "Die politische Erzählung, Schulen sind keine Infektionstreiber, ist doch so nicht mehr zu halten." Und die Virologin Jana Schroeder gibt ihm Recht.
Lanz lädt sich ja immer gern einen Journalisten-Kollegen als Verstärkung ein, um Gäste in die Zange zu nehmen. Aber Anja Maier vom "Weser-Kurier" kann diesmal eine ruhige Kugel schieben. Sie kommt kaum zu Wort – was auch daran liegt, dass die Virologin Jana Schroeder das Thema Kinder und Covid in einer Klarheit behandelt, wie man es bisher kaum gehört hat.
Zuletzt ließen die Zahlen Zweifel aufkommen, dass Kinder keinen Teil an der Pandemie haben. Schroeder stellt klar: Dass Kinder nur selten schwer erkranken, ist richtig. Aber dafür infizieren sie sich aktuell sehr oft. In Schroeders Heimatstadt Münster liege die allgemeine Inzidenz aktuell bei 100, in der Gruppe der Kinder allerdings bei 222 – ein deutliches Zeichen, dass man sich dieser Bevölkerungsgruppe widmen sollte.
Bereits im August 2020 hat die Gesellschaft für Virologie darauf hingewiesen, dass man die Gefahr von Infektionen bei Kindern nicht unterschätzen dürfe. Doch bei den Diskussionen um Schulschließungen ging es ausschließlich um die sozialen Folgen, die verpasste Bildung und das Betreuungsproblem für berufstätige Eltern. "Ich würde mir ein Ehrlichmachen in der Debatte wünschen. Es ist ja nicht so, als würde das Infektionsgeschehen vorbeigehen an den Schulen", macht sich Schroeder Luft.
Long-Covid und das Pims-Syndrom (eine Überreaktion des Immunsystems) können auch Kinder treffen. Von Spätfolgen, von denen man noch nichts weiß, ganz zu schweigen. Die Virologin fordert, dass die Politik eine Strategie entwickelt mit "einer gewissen Solidarität den Kindern gegenüber", die die Inzidenzen so weit herunterbringt "dass Kinder sicher in die Schule gehen können".
Und da wurde bisher eben viel zu wenig getan. Keine Luftfilter, kein wirklicher Fortschritt beim digitalen Lernen. Wenn man bedenkt, dass es für Kinder als einzige Gruppe bisher noch keine zugelassene Impfung gibt, ist es höchste Zeit, dass dort etwas passiert.